Kurz und gut: Alben von Mary Timony, Modern English und Real Estate

Mary Timony credit Chris Grady

Die Sounds & Books-Reviews zu den am 23.02.2024 erscheinenden Alben von Mary Timony, Modern English und Real Estate

von Werner Herpell

Drei teilweise über Jahrzehnte gereifte Musiker/Bands unterschiedlicher stilistischer Herkunft stellt Sounds & Books in seiner neuen Ausgabe von „Kurz und gut“ vor: das Solo-Comeback der US-Singer-Songwriterin und Gitarristin Mary Timony nach rund 15 Jahren, das neue Werk der britischen Postpunk/Wave-Band Modern English, und die aktuelle Gitarrenpop-Platte der New-Jersey-Softrocker Real Estate.

Mary Timony: Untame The Tiger

Es ist ja nicht so, dass Mary Timony seit Ewigkeiten untätig war, immerhin trat sie immer mal wieder in Bands und Projekten wie

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Helium, Autoclave, Ex Hex oder Wild Flag hervor. Als Solomusikerin aber machte die mittlerweile 53-jährige Singer-Songwriterin eine lange Pause – und kehrt jetzt mit „Untame The Tiger“ umso überzeugender zurück. Der „Rolling Stone“ führt sie als eine von wenigen Frauen unter den größten Gitarristen aller Zeiten („The ferociously brilliant Mary Timony has been rewriting the guitar rulebook for three decades“), und dementsprechend selbstbewusst trumpft sie hier an den sechs Saiten auf. Die neun Tracks sind sparsam, fast schon trocken inszeniert, die Vocals klingen unangestrengt, aber auch nicht besonders markant – daher kommt die lässige Power der Timony-Gitarre in diesem Sound-Umfeld so richtig zur Geltung.

Das neue Album entstand nach dem Ende einer langjährigen Beziehung – und es wurde zudem vom Tod der Eltern überschattet, deren Pflege Timony während der „Untame The Tiger“-Aufnahmen übernommen hatte. „Da ich mich mit der Realität des Verlustes auseinandersetzen musste, wurde mir klar, was mir am Leben wichtig war, und ich hatte weniger Angst“, sagt sie über diese schwere Lebensphase. „Die Platte wurde zu meinem Anker in einer Zeit, in der ich so viel um mich herum verlor.“ Ein berührender Hintergrund für ein kraftvolles Gitarrenrock-Album, das den Status dieser Frau als Indie-Kultstar der 90er untermauert.

„Untame The Tiger“ von Mary Timony erscheint am 23.02.2024 bei Merge Records / Cargo Records. (Beitragsbild: Mary Timony by Chris Grady)

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Modern English: 1 2 3 4

Was, die gibt’s immer noch? Oder wieder? Ich gebe offen zu, dass ich Modern English tief in den 80ern abgespeichert hatte, als sie das legendäre Debüt „After The Snow“ (1982) herausbrachten und zusammen mit Echo & The Bunnymen, The Teardrop Explodes oder The Chameleons eine spannende britische Melodic-Wave-Szene bildeten. Dabei besteht die in Colchester/Essex abseits des Londoner Punk-Hypes gegründete Band seit 1977 mit Unterbrechungen in einer konstanten Kernbesetzung: Sänger Robbie Grey, Gitarrist Gary McDowell, Bassist Mick Conroy, Keyboarder Stephen Walker. Und jetzt, da sie mit „Take Me To The Trees“ (2017) plötzlich wieder da waren, gelten Modern English für viele junge Postpunk-Bands als Pioniere und wichtiger Einfluss. Wenn man die zehn neuen Stücke hört, weiß man auch warum.

Die politisch aufgeladenen Tracks „Not My Leader“ und „Plastic“ oder das Gitarrenbrett „Exploding“ stampfen herrlich düster und doch melodisch daher – ohne Anbiederung an den Zeitgeist, aber nie peinlich retro. Der alte Punk-Spirit schwebt über Songs wie „Long In The Tooth“ oder „Out To Lunch“, aber auch Psychedelia („Crazy Lovers“) oder Shoegaze („Genius“) spiegeln sich in den Liedern. Der konkrete Grund für „1 2 3 4“ ist eher banal: „Uns war allen stinklangweilig, weil wir nichts tun konnten“, erinnert sich Sänger Grey an die Pandemie-Zeit. Aber Frust und Langeweile waren ja auch schon in der Punk-Frühphase vor fast 50 Jahren gute Gründe, um Musik zu machen.

„1 2 3 4“ von Modern English erscheint am 23.02.2024 bei InKind Music/The Orchard.

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Real Estate: Daniel

Wie man in Klang gegossene Behaglichkeit zu einem Markenzeichen und trotzdem reizende Musik machen kann – das beweist auch auf ihrem neuen Album die US-Indiepop-Band Real Estate. Wieder jingeln und jangeln und klingeln und jauchzen die Gitarren herzallerliebst im Byrds- und Feelies-Modus, wieder singt Frontmann Martin Courtney jungenhaft und schläfrig wunderhübsche Lieder mit Titeln wie „Flowers“ oder „Victoria“, kein schräger Ton durchbricht das hochsommerliche Phlegma . Das hört sich jetzt etwas fies an, und tatsächlich kann man sich ein bisschen wundern, dass eine so begabte Band seit ihrem tollen Zweitwerk „Days“ (2011) auf hohem Niveau stagniert. Wobei: Schön ist dieser schluffige, melodiesatte Gitarren-Softrock-Sound halt schon…

Dass der mit dem Grammy ausgezeichnete Countrypop/Americana-Produzent Daniel Tashian (Kacey Musgraves, A Girl Called Eddy, The Silver Seas) den Klang von Real Estate zusätzlich aufpoliert hat, fällt (abgesehen vom wohl aus Dankbarkeit gewählten Albumtitel) kaum auf – der war schon vorher watteweich. So bleibt als Fazit, dass Fans erneut sorgenfrei zugreifen können, denn keiner der elf Songs von „Daniel“ fällt aus dem gewohnten Rahmen, aber es gibt auch keine Ausschussware. Und wer vergleichbare Jangle-Pop-Bands wie Beach Fossils oder Teenage Fanclub mag, weiß einen über viele Jahre konstanten Sound ohnehin zu schätzen. Wie schon der unfehlbare Sven Regener über Element Of Crime sinngemäß sagte: Vielleicht wird stetige Weiterentwicklung in der Popmusik ja auch total überschätzt.

„Daniel“ von Real Estate erscheint am 23.02.2024 bei Domino.

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