Elbow: Audio Vertigo – Albumreview

Elbow Credit Athena Caramitsos

Elbow schaffen es weiterhin, sich nie zu wiederholen – auch „Audio Vertigo“ klingt anders als der Vorgänger. Funktioniert die Hinwendung der Brit-Artrocker zum Groove mit Gefühl?

von Werner Herpell

Es ist ein Kontrastprogramm, das Elbow ihren Fans zumuten. Auf das weltumarmende, aber auch mit Brexit-Wut aufgeladene „Giants Of All Sizes“ (2019) und das melancholisch-leise „Flying Dream 1“ (2021) lassen sie eine erneute Kehrtwende folgen. Der erste Kontakt mit „Audio Vertigo“, dem zehnten Studioalbum der Britrock-Sympathen, kann daher ein kleiner Schock sein. Denn während der unmittelbare Vorgänger von der Pandemie geprägt war und mit seinem ätherischen Klangbild an die späten Talk Talk, die schottischen Melancholiker The Blue Nile oder David Sylvian erinnerte, liefert das Manchester-Quintett nun wieder Musik für die Massen.

Ein paar neue Stadionrock-Perlen

Elbow Audio Vertigo Albumcover

Es gibt ja nur wenige

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Musiker, bei denen der Begriff „Stadionrock“ weitestgehend ohne negativen Beigeschmack auskommt. Bruce Springsteen ist so einer mit ganz besonderer, positiver Magie auch für die anonymsten Betonschüsseln dieser Welt. Und Elbow sind es ebenfalls – sie füllen die Arenen zwar nur in Großbritannien, dort aber gehören sie zu den Größten ihrer Zunft. „Audio Vertigo“ enthält im Gegensatz zum dezenten Vorgänger also wieder einige Perlen des Stadionrock.

Spätestens mit dem Durchbruch-Meisterwerk „The Seldom Seen Kid“ (2008) und phänomenalen Singles hatten Sänger Guy Garvey und seine vier Mitstreiter Hits beisammen, die sich in einem riesigen Kessel glücksseliger Fans wunderbar mitsingen ließen. Diese Popularität kulminierte in Auftritten bei den Olympischen Spielen in London und einem Jubiläums-Feiertag der britischen Königin. Zu den bewährten Crowdpleasern dürften dank „Audio Vertigo“ wuchtige Songs wie „Lovers‘ Leap“ oder „Balu“ hinzukommen – auch sie haben das Zeug zur Überwältigung mittels Gefühl und Groove.

Etwas Schmutziges und Energiegeladenes

Für die neue Platte seien Elbow „in ein Wohnstudio in den Cotswolds gegangen, haben zusammen gegessen und getrunken, zusammen gespielt und viel gelacht“, erinnert sich Garvey im Zoom-Interview für Sounds & Books an die „Audio Vertigo“-Sessions. „Jetzt hieß es: Lasst uns etwas Schmutziges schreiben, lasst uns etwas Energiegeladenes machen, wir könnten unser Konzert-Set mit vier oder fünf (Songs) davon aufpeppen, ohne Elbow-Puristen zu verärgern.“

Fast schon brachial knallen uns Guy Garvey (Vocals), Craig Potter (Keyboards), Mark Potter (Gitarre), Pete Turner (Bass) und Alex Reeves (Schlagzeug) ihre neue „Dreckigkeit“ und Energie mit fetten Beats und Gitarrensoli um die Ohren. Auf den noch eher unscheinbaren Opener „Things I’ve Been Telling Myself For Years“ folgt mit „Lovers‘ Leap“ gleich ein Song für die Elbow-Favoriten-Shortlist – so lässig und relaxt klangen sie selten. Danach gehen die fünf Musiker mit weiteren rhythmusorientierten Tracks („Balu“, „Very Heaven“ und „Her To The Earth“) in die Vollen. Hier lässt sich nachvollziehen, warum Garvey so gern den Fun-Faktor betont: „Ich wollte mit diesem Release ein bisschen Spaß haben. Und ja, er macht musikalisch Spaß, wir hatten richtig Spaß dabei.“

Elbow bleiben experimentierfreudig

Der Elbow-Frontmann – auch auf dieser Platte wieder mit einer brillanten Gesangsleistung, die sich immer mehr vom Vorbild Peter Gabriel emanzipiert – macht deutlich, dass die Band den Vorgänger „Flying Dream 1“ trotz seiner vergleichsweise bescheidenen Albumcharts-Performance im UK (Platz 7) weiterhin schätzt: „Wir lieben diese Platte wirklich und sind immer noch stolz darauf.“ Aber nach der Pandemie sei es eben Zeit für eine optimistischere, körperbetontere Ausrichtung gewesen – auch wenn die ganz große melodische Raffinesse nun etwas seltener aufblitzt: „Ich will Musik hören, die mich aufmuntert.“

„The Picture“, „Knife Fight“ und „Good Blood Mexiko City“ treiben daher ebenfalls kraftvoll im Stadionrock-Modus voran, ehe Elbow den wohl ambitioniertesten Track ihres neuen Werks versöhnlich ans Ende gesetzt haben: „From The River“ hat eine so herrlich jazzige Sophisticated-Pop-Leichtigkeit, dass man durchaus an die 80er-Jahre-Legenden Prefab Sprout denken darf.

Elbow haben als „sehr gute Freunde“ viel Spaß

Ein perfekter Abschluss eines nicht ganz perfekten (weil etwas unrunden) Albums. Aber Elbow wiederholen sich halt nie, bleiben experimentierfreudig und unberechenbar. Keine geringe Leistung für eine so massentaugliche Artrock-Band, die zudem, wie Garvey (gerade 50 geworden) betont, auch nach so vielen gemeinsamen Jahren weiterhin „sehr gute Freunde“ sind. „So viele Leute kommen ins mittlere Alter und werden zu griesgrämigen Bastarden, aber wenn man auf uns schaut, so zeigt sich jeder von seiner besten Seite. Wir alle sind reifer geworden. Wir gehen ein bisschen geduldiger miteinander um. Und das führt letztlich dazu, dass wir viel mehr Spaß haben.“ Da ist er wieder, der neue Fun-Faktor bei Elbow.

Das Album „Audio Vertigo“ von Elbow erscheint am 22.03.2024 bei Polydor/Universal. (Beitragsbild von Athena Caramitsos)

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