A.S. Fanning: Mushroom Cloud

A.S. Fanning by Neil Hoare

Was für eine Stimme! Wer den Iren A.S. Fanning singen hört, kommt aus dem Staunen kaum noch heraus. Sein drittes Album „Mushroom Cloud“ ist ein dunkel schimmerndes Opus magnum.

von Werner Herpell

Alle paar Jahre, manchmal sind die Abstände auch größer, kommt eine Wunderstimme daher, die die Popwelt mit ihrem dunklen Schimmer und ihrer Bariton-Pracht aus den Angeln zu heben scheint. In den 50ern war es Frank Sinatra, in den 60ern kamen Scott Walker und Jim Morrison hinzu, in den 80ern David Sylvian und David Gahan, für die Zeit danach sind Nick Cave, Neil Hannon, Stuart Staples und Richard Hawley zu nennen. Eine Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit, na klar, aber mit höchstem Respekt vor großer Gesangskunst. Ist es da nun übertrieben oder

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abwegig, die Vocals von A.S. Fanning auf dem neuen Album „Mushroom Cloud“ neben diese ikonischen Tieftöner zu stellen? Nein, ist es nicht.

Eine Stimme mit riesigem Charisma

A.S. Fanning Mushroom Cloud Cover K&F Records

Denn der seit vielen Jahren in Berlin beheimatete Ire hat als Sänger verschatteter, betörender Lieder – vorwiegend natürlich Balladen – ein solches Format und Charisma, dass man ihn nach drei tollen, seine Stimme in den Mittelpunkt stellenden Platten bereits zu den Besten des Bariton-Pop-Fachs zählen darf, ja muss. Und auf „Mushroom Cloud“ hat sein vorher bereits eindrucksvolles Songwriting dieses ganz besondere Extra, das ein Album aus der Masse heraushebt. Denn auch wenn Fannings aktuelle Texte meist niederschmetternd verzweifelt sind – zusammen mit dem Flair dieser tiefen, melodisch-warmen Stimme wird aus den acht Liedern ein Hochgenuss.

„It’s no picnic, if that’s what you’re asking“, sagte A.S. Fanning – Freunden und Bekannten unter dem Rufnamen Stephen bekannt – vor einiger Zeit über die Atmosphäre bei seinen Konzerten. Da war gerade sein zweites Album „You Should Go Mad“ (2020) erschienen, dessen Live-Präsentation von der Pandemie zusätzlich verdunkelt wurde. „Kein nettes Picknick“ und „keine Dance-Party“ sei seine Musik, machte der nachdenkliche Musiker aus Dublin also vorab klar – was sich auch bei den jetzt anstehenden Gigs zur Feier von „Mushroom Cloud“ bestätigen dürfte (26.05. Berlin; 28.05. Beverungen, Orange Blossom Special Festival; 30.05. Köln; 31.05. München; 02.06. Hamburg; 03.06. Rostock; 08.07. Leipzig, Ancient Echoes Festival).

Ein melancholisches Meisterwerk

„Mushroom Cloud“, dessen Titelsong bei Sounds & Books bereits als Song des Tages hymnisch besprochen wurde, ist genau jenes melancholische Meisterwerk geworden, das Fanning schon lange in sich trug. Waren das behaglich warme Debüt „Second Life“ von 2017 und der etwas weniger auf Wohlklang produzierte Nachfolger „You Should Go Mad“ – beide weiterhin via Bandcamp erhältlich – bereits äußerst gelungen, so hat Album Nummer drei nun eine Abgründigkeit, die schaudern lässt. Fanning hat für ihn persönlich und ganz generell schwierige Zeiten (das Ende einer langjährigen Beziehung, die Corona-Pandemie) in acht so pessimistische wie erhebende Lieder einfließen lassen.

Der aus der Zeit des ersten Lockdowns stammende Opener „Mushroom Cloud“ reizt die Wucht einer international besetzten Band und der monumentalen Vocals sofort atemberaubend aus. Die Streicher des Oriel Quartetts und die Drums von Jeff Collier treiben den Song unerbittlich voran, während der Sänger seinen inneren Scott loslässt. „It was a definite hat tip to Scott Walker, that was part of my thinking“, räumt Fanning in einem Interview von „God Is In The TV“ ein. Muss man sich auch erstmal trauen, so eine selbstbewusste Annäherung an die Dark-Pop-Legende.

Ganz viel A.S. Fanning – und eine tolle Band

„Haunted“, „I Feel Bad“, „Disease“, „Colony Collapse“ – die Songs auf „Mushroom Cloud“ tragen dunkle Stimmungen und scharfe Dissonanzen oft schon im Titel. Faszinierend ist aber, dass diese ausufernden, auch mal sperrigen Folkrock- und Barockpop-Lieder bei aller Tiefe und Schwere nie zu unverdaulicher Kost verkommen. Das liegt zum einen an der luftigen Produktion von Robbie Moore – zum anderen an der souveränen Performance von Sänger und Begleitband (Schlagzeuger Jeff Collier, Bassist Felix Buchner, Gitarrist Bernardo Sousa, Keyboarder Dave Adams,  Percussionist/Xylophonist Martin Lorenz) in den Berliner Impression Recordings Studios.

Mit dem bezaubernden „Pink Morning/Magic Light“, das an Richard Hawleys bestes Album „Truelove’s Gutter“ (2009) anzuknüpfen scheint, hellt sich die Fanningsche Palette zum Schluss etwas auf. Der Singer-Songwriter hofft auf Besserung nach diesem kathartischen Album-Meisterstück: „I suppose the best I can do is to see it as a document of a low point. A sort of scorched earth that hopefully leads to a new beginning.“ Möge also „Mushroom Cloud“ für Fanning eine heilsame Wirkung haben. Seine (hoffentlich rasch anwachsende) Fangemeinde findet hier jedenfalls viel Stoff zum Schwelgen.

„Mushroom Cloud“ von A.S. Fanning erscheint am 26.05.2023 bei K&F Records/Proper Octopus Records. (Beitragsbild von Neil Hoare)

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