Alba de Céspedes: Aus ihrer Sicht

Alba de Cespedes Aus ihrer Sicht Cover Insel Verlag

Ein großer Lesespaß und wichtige historische Erfahrungen: Neu-Auflage des Roman „Aus ihrer Sicht“ der italienischen Autorin Alba de Céspedes

Auch über 25 Jahre nach ihrem Tod wird Alba de Céspedes noch immer vielerorts vermehrt. 1911 in eine kubanisch-italienische Diplomatenfamilie hineingeboren, hat sie sich zeit ihres Lebens privat und mit ihrer Arbeit auf die Seite der Unterdrückten und Verfolgten gestellt. Schon ihr erster Roman von 1939 wurde im faschistischen Italien beinahe zensiert, weil ihre weibliche Hauptfigur dem Regime unpassend selbständig und freigeistig erschien. Während des zweiten Weltkriegs engagierte sich de Céspedes in der Resistenza gegen Mussolini und führte danach als Herausgeberin einer Literaturzeitschrift und erfolgreiche Autorin von Drehbüchern und Romanen ein unabhängiges Künstlerinnen-Dasein in Rom und Paris.

Ein freier Geist

Alba de Cespedes Aus ihrer Sicht Cover Insel Verlag

Nun legt der Insel-Verlag ihren zweiten Roman neu auf. In „Aus ihrer Sicht“ berichtet die Ich-Erzählerin Alessandra von ihrer Jugend in Rom in den 1930er Jahren. Schon früh wird ihr eingebläut, welche Rolle für Frauen vorgesehen ist – nämlich zuhause bleiben, verfügbar sein, kochen, sich nicht einmischen, zugunsten ihrer Männer verzichten. Zunächst erfährt sie diese Rolle vor allem durch ihre Mutter. Später jedoch auch in ihrer eigenen Ehe. Doch Alessandra ist ein freier Geist, politisch aufgeklärt und kämpferisch. Sie will nichts weniger als Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Der Konflikt der Geschlechter ist unversöhnlich und bildet das Zentrum dieses Romans. Hierum kreisen sich Charakterzeichnungen und Handlungsstränge.

Alba de Céspedes als Vorreiterin von Elena Ferrante

Dieses radikale Anklage des Patriarchats war bei Erscheinen des Romans 1949 ein Skandal. Aus heutiger Perspektive bietet der Roman ein Verständnis für die herausragende Rolle und den Mut, den Alba de Céspedes vor über 70 Jahren aufbrachte. Der Roman lässt an vielen Stellen autobiographische Züge vermuten und entwickelt auch deshalb an vielen Stellen eine dringliche Sogwirkung. Es wird klar, warum Céspedes als Vorreitern von Elena Ferrante und Annie Ernaux gilt.

Hat auch seine Längen

Auf den knapp 600 Seiten hat der Roman natürlich auch seine Längen. So entsteht vor allem bei der Zeichnung einiger Figuren der Eindruck eines gewissen Sorgfaltsmangels. Andererseits schafft es Céspedes immer wieder mit Leichtigkeit, ihr Publikum zurückzuholen. Im Katalog der Autorin ist „Aus ihrer Sicht“ nicht ganz so überzeugend wie das Debüt und vor allem „Das verbotene Notizbuch“, bietet aber dennoch großen Lesespaß und vor allem wichtige historische Erfahrungen.

Alba de Céspedes: „Aus ihrer Sicht“, Insel, aus dem Italienischen von Karin Krieger, Hardcover, 637 Seiten, 978-458-64366-1, 28 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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