Die isländische Alternative-Rock-Metal-Band Sólstafir untermauert mit ihrem siebten Studioalbum den Status als bedeutsamer musikalischer Export des Inselstaates
Wikipedia bezeichnet Sólstafir aus Reykjavík, Island, zutreffend als „Alternative-Rock-Band“. Vor einigen Jahren hätte „Metal-Band“ da gestanden, eventuell sogar „Black-Metal-Band“; hundertprozentig „Post Metal-Band“. Mit ihrem am Freitag erscheinenden, inzwischen siebten Studioalbum „Endless Twilight Of Codependent Love“ gehören diese Attribute unbedingt wieder zur Beschreibung – verwöhnen Sólstafir die geneigten Hörer*Innen doch weit mehr als in jüngster Vergangenheit mit ausladendem und manchmal harschem Melodieaufbau, der ebenso zum Schwelgen wie zum extatischen Ausdruckstanz einlädt. Selbst die Pressemitteilung zur 2019 absolvierten Tour, bei denen das Quartett von einem Keyboarder sowie vier Frauen an Streichinstrumenten verstärkt wurde, sprach in lobender Intension von „seichten“ Nuancen in deren Sound.
Ein auf Englisch gesungener Sólstafir-Song
Nun, „seicht“ klangen die Insulaner nie – die wiedergefunde Dynamik verbindet die als düstere Viking-Metal-Band gestartete Formation jedoch mit den zum größten Teil im Heimatidiom dargebrachten Songs über Depression oder Sucht und illustriert damit eindrucksvoll das Auf und Ab der beschriebenen Gefühlswelten. Sänger, Gitarrist, Songschreiber sowie Co-Produzent Aðalbjörn Tryggvason, selber trockener Alkoholiker, weiß nicht nur aus eigener Erfahrung um Selbstzerstörung, sondern beschreibt auch weit seltener thematisierte Co-Abhängigkeiten, zum Beispiel im einzigen auf Englisch vorgetragenen Song „Her Fall From Grace“. Nach diesem gediegeneren Stück packen Sólstafir in „Dionysus“ die Axt aus – mit kehligem Geschrei, Blastbeats und sägend-flimmernden Gitarren in der Tradition ihres 2009 veröffentlichten Meisterwerkes „Köld“.
Die Diversität des neuen Albums
Die Jubiläums-Konzerte zu diesem Album im vergangenen Jahr haben dessen Songs anscheinend wieder mehr ins Gruppenbewusstsein gespült, sehr zum Wohle der Diversität auf der hier besprochenen Neuerscheinung. Bereits die Albumeröffnung „Akkeri“ vereinigt viele der Trademarks der Band – treibende Beats und Gitarrenarbeit in höherem Geschwindigkeitsbereich nach einem sanften Vorspiel, mit Unterbrechungen zum Verschnaufen sowie plötzlichem Innehalten – all das in der für Sólstafir nicht untypischen Songlänge von 10 Minuten und 10 Sekunden. Länger wird es danach nicht mehr, das kürzeste Lied bringt es auf knapp viereinhalb Minuten.
Sólstafir und die postrockigen Gitarrenwände
Im Midtempo geht es nach „Dionysus“ weiter, bis „Or“ als vorletztes Stück weitere instrumentale Klangfarben auspackt – ein lässiges Werk mit Bass und Orgel als Soundteppich, über die vereinzelte, am Blues geschulte Gitarrenläufe blicken, bis in der zweiten Hälfte postrockige Gitarrenwände dominieren und Tryggvason wieder lautstark klagt. Ein Highlight, laut Interview im aktuellen Rock Hard ursprünglich nur als Bonustrack geplant. In der Deluxe-Ausgabe wird es zwei andere Bonustracks geben, die mir zum Zeitpunkt dieses Schreibens noch nicht bekannt sind, den RH-Rezensenten jedoch am ehrfürchtigsten werden lassen. Warten wir’s ab. Die neun Titel der gewöhnlichen Edition sind schon Kaufgrund genug und zeigen einmal mehr, warum Sólstafir sich mit der weiblichen Personifikation Islands auf dem Cover schmücken dürfen und als einer der inzwischen bedeutsamsten musikalischen Exporte des Inselstaates gelten.
„Endless Twilight Of Codependent Love“ von Sólstafir erscheint am 06.11.2020 bei Season Of Mist / Soulfood. (Beitragsbild von Iris-Dogg Einarsdottir
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