Eine der wichtigsten US-Folk-Stimmen meldet sich zurück. Frisch mit Grammy und Pulitzerpreis dekoriert, begeistert Rhiannon Giddens in zwölf neuen Songs.
von Werner Herpell
Die Bedeutung von Rhiannon Giddens für die (afro-)amerikanische Musik der Gegenwart lässt sich kaum überschätzen. Mit den Carolina Chocolate Drops und später solo nahm sie herausragende Platten zwischen Old-Time-Folk, Bluegrass, Country, Soul und Gospel auf. Im Projekt „Songs Of Our Native Daughters“ kümmerte sie sich zusammen mit den Songwriter-Kolleginnen Allison Russell, Amythyst Kiah und Leyla McCalla in zwölf berührenden Americana-Liedern um das kulturelle Erbe schwarzer Frauen. Und zuletzt erhielt sie eine der höchsten Kunst-Auszeichnungen überhaupt – den Pulitzerpreis für Musik 2023.
Rhiannon Giddens und ihre erste Oper
Dabei war es Giddens‘ erste Oper „Omar“, die
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die Jury und die Kritiker begeisterte. Das historisch basierte Werk über den afrikanischen Sklaven Omar Ibn Said, geschrieben mit dem Komponisten Michael Abels, sei „a multigenre, multicultural swirl – a tour through the sound worlds of Islam, bluegrass, spirituals and more“, schwärmte die „New York Times“ im Mai. Und ganz gewiss wird es auch jetzt wieder Hymnen auf die enorme Kreativität und Klasse von Rhiannon Giddens geben – für ihr neues Soloalbum.
„You’re The One“ ist erneut eine mühelose und uneitle Zurschaustellung all der Qualitäten dieser wunderbaren, inzwischen 46 Jahre alten Musikerin. Ihre kraftvolle, variable Stimme, ihr Können an Banjo und Bratsche, ihre vielseitig arrangierten Lieder, ihre intensiven, oft nachdenklich-gesellschaftskritischen Texte – Giddens ist (ähnlich wie die bereits erwähnte Freundin Allison Russell, deren neues Album „The Returner“ mit dem VÖ-Termin 08.09.2023 ebenfalls in den Startlöchern steht) ein Multitalent.
Ausschließlich eigene Stücke
Das dritte Solo-Studioalbum der 2022 mit einem Folk-Grammy für das Album „They’re Calling Me Home“ ausgezeichneten Sängerin, Komponistin und Kinderbuch-Autorin Giddens ist zugleich ihr erstes, das ausschließlich eigene Stücke enthält. Die zwölf Lieder wurden von Jack Splash (Kendrick Lamar, Solange, Alicia Keys) produziert und in den Criteria Recording Studios in Miami aufgenommen. Dort fanden sich einige von Giddens‘ engsten musikalischen Kreativpartnern aus jüngerer Zeit ein, darunter ihr Lebensgefährte Francesco Turrisi an den Keys, Multiinstrumentalist Dirk Powell, Bassist Jason Sypher und Gitarrist Niwel Tsumbu. Hinzu kamen Musiker aus Splashs Umfeld sowie eine Bläsersektion, die den auch mal in Richtung Pop, Funk oder Nachtclub-Jazz („Who Are You Dreaming Of“) ausgreifenden Sound des Albums mitprägte.
Eine bunte Stil-Mixtur
„Ich hoffe, dass die Leute schlicht amerikanische Musik hören“, sagt Giddens über die bunte Stil-Mixtur. „Blues, Jazz, Cajun, Country, Gospel und Rock – es ist von allem etwas dabei. Ich bewege mich gern an der natürlichen Schnittstelle zwischen diesen Genres. Die Songs machen Spaß, und mir war es wichtig, dass sie möglichst viele Leute erreichen, denen sie gefallen, obwohl sie ansonsten vielleicht gar nicht wissen, was ich so mache. Wenn sie mich durch dieses Album kennenlernen, hören sie sich vielleicht auch andere Musik von mir an und machen neue Entdeckungen.“ Das sollte klappen – und es würde sich lohnen.
Rhiannon Giddens: Eine starke Frau
Zumal auch das insgesamt so lebensbejahende „You’re The One“ wieder seine engagierten politischen Momente hat. „Yet To Be“ (mit dem einzigen Promi-Albumgast Jason Isbell) erzählt die Geschichte einer schwarzen Frau und eines irischen Mannes, die sich in Amerika ineinander verlieben. Und „Another Wasted Life“ wurde inspiriert von der tragischen Geschichte Kalief Browders, eines afroamerikanischen Jugendlichen, der von 2010 bis 2013 ohne Prozess auf der New Yorker Gefängnisinsel Rikers Island einsaß.
Ein großes Album einer starken Frau.
„You’re The One“ von Rhiannon Giddens erscheint am 18.08.2023 bei Nonesuch Records/Warner. (Beitragsbild von Ebru Yildiz)