In seinem zweiten Roman lässt Moritz Hildt seine Hauptfigur ein entscheidendes Wagnis eingehen
Lukas dachte, er wisse alles über seine Frau Helen. Jedenfalls hatte er keinen Grund zur Annahme, Hellen habe ihm irgendetwas verschwiegen. Lukas, Anfang 30, betreibt mit Helen das Café Strandflucht auf einer Ostesseinsel, die eigentlich gar keine Insel ist. Beide kennen sich bereits aus der Schulzeit. Später verließ Helen zwecks Studium das Dorf, während Lukas, aus dessen Sicht Moritz Hildt den Roman geschrieben hat, die Schule schmiss und fortan als Kellner arbeitete. Sie verloren sich aus den Augen und trafen sich ein paar Jahre später wieder im Bus, der sie früher zur Schule brachte. Helen erzählte ihm von den USA und ihrer Ehe mit Ferdinand, der bei einem Unfall ums Leben kam. Helens Traum von einem eigenen Café trug er mit. Gemeinsam zog es sie an die Ostsee, sie die Eigentümerin, er eine Art „Oberkellner“.
Moritz Hildt schickt seinen Protagonisten von der Ostsee in den Süden der USA
Es hätte schlechtere Lebensentwürfe für die beiden geben können. Das Café floriert, so dass Helen über eine Erweiterung nachdenkt. Ihr geordnetes Leben erfährt jedoch einen tiefen Schnitt, als plötzlich Helens totgeglaubter Ex-Mann im Café auftaucht. Der war in krumme Geschäfte verwickelt und hatte seinen Tod nur vorgetäuscht. Um einige nun aufgeworfene Fragen zu klären, beschließt Helen, Ferdinand zurück in die Staaten zu begleiten und in vier Wochen zurückzukehren. Das Café geschlossen, die Frau auf bestimmte Zeit weg und Lukas auf sich allein gestellt.
Er hätte den überschaubaren Zeitraum bis zu Helens Rückkehr einfach abwarten können. Allein, die Neugier und der Zweifel obsiegen. Spontan reist er ebenfalls in die USA, Helens dortiger Vergangenheit auf der Spur. Lediglich der zwischen Helen und Ferdinand gefallene Name Joe Mitchum und die Insel-Stadt Galveston in Texas dienen ihm als Anhaltspunkte. Am Ende seines Trips durch den Süden der Vereinigten Staaten trifft Lukas auf Ferdinand und Helen, die ihn mit einem wichtigen Detail aus ihrem Leben konfrontieren. Eine weitere Entscheidung Helens verändert sein Leben schließlich vollends.
Ein Risiko wagen
Der in Tübingen lebende Autor Moritz Hildt, der uns an dieser Stelle bereits eine Liste mit seine Top-Ten-Alben vorgestellt hat, geht in seinem nach „Nach der Parade“ zweiten Roman elementaren Fragen nach. Wann weiß der Einzelne alles über das Leben seines ihm am Nächsten stehenden Menschen? Können wir anderen so weit Vertrauen, um ihnen die eigenen, dunkelsten Geheimnisse zu verraten? Für die Protagonisten in „Alles“ ein unmögliches Unterfangen. Aber sie gehen Risiken ein, verlassen eingetretene Pfade und brechen in eine ungewisse Zukunft auf. Dass Wagnisse dieser Art, wie für Lukas, auch unbequeme Konsequenzen nach sich ziehen, liegt wohl in der Natur der Sache. Mit seiner realistischen, zwischen Unaufgeregtheit und Taumel changierenden Prosa, erzählt Moritz Hildt von dem radikalen Wandel eines Individuums. Eine Prosa, der wir gerne folgen.
Moritz Hildt: „Alles“, duotincta, Kartoniert, 268 Seiten, 978-3-946086-56-7, 17 Euro. (Beitragsbild von Jan Münster)
Erhältlich bei unseren Partnern:
Auch hinter einem Online-Magazin steckt journalistische Arbeit. Diese bieten wir bei Sounds & Books nach wie vor kostenfrei an.
Um den Zustand zukünftig ebenfalls gewährleisten zu können, bitten wir unsere Leserinnen und Leser um finanzielle Unterstützung.
Wenn Sie unsere Artikel gerne lesen, würden wir uns über einen regelmäßigen Beitrag sehr freuen.
Spenden Sie direkt über PayPal oder via Überweisung.
Herzlichen Dank!