Ulla Lenze: Der Empfänger – Roman

Ulla Lenze Der Empfänger Cover Klett-Cotta Verlag

In ihrem neuen Roman „Der Empfänger“ taucht Ulla Lenze tief in das New York der End-30er-Jahre sowie in die Zeit des Nachkriegsdeutschlands ein

Er wollte ein Niemand sein und in der Anonymität der Großstadt verschwinden. Das gelang Josef Klein ab 1925 vorbildlich, als er von Düsseldorf nach Amerika, in die Metropole New York auswanderte. Dort schlug er sich angestellter Drucksetzer durchs Leben und genoß den Melting Point Big Apple. Eine Bleibe fand er in Harlem und es gefiel ihm, er wohnte gerne dort: „Gutes Essen, hübsche Frauen und der beste Jazz der Welt“. Nach Feierabend das Nachtleben und die Musik von Duke Ellington, Ethel Waters und Ella Fitzgerald. Aus Josef wurde schnell Joe, er hatte sich vom Rheinländer in einen New Yorker verwandelt, längst zu einem unauffälligen, aber zufriedenen Bürger der Millionenstadt assimiliert.

Die Nazis in New York des Jahres 1939

Ulla Lenze Der Empfänger Cover Klett-Cotta Verlag

Vom Gedankengut der Nazis war Klein im Jahre 1939 weit entfernt, in Berührung mit ihnen kam er trotzdem, schließlich gehörte die „Amerikanische Nazipartei“ zu den Kunden seines Chefs Arthur, der sich seine Klienten aufgrund der finanziellen Lage angeblich nicht aussuchen konnte und von ihm Kontaktpflege fordert. So findet sich Joe Klein unversehens auf einer Großveranstaltung des „Amerikadeutschen Bundes“ im Madison Square Garden zwischen einer Rede des Leiters Fritz Kuhn und „Sieg-Heil“-Rufen wieder. Zum Verhängnis wird ihm seine Leidenschaft für das Amateurfunken. Reichlich naiv lässt er sich von seinen ehemaligen Landsleuten einspannen, für die er gegen gutes Geld arbeitet und zu spät merkt, oder es nicht wirklich merken möchte, dass die verschlüsselten Botschaften nicht für Hamburger Unternehmen wichtig sind, wie ihm offiziell aufgetischt worden ist, sondern in Wirklichkeit natürlich an den deutschen Geheimdienst adressiert sind.

Erst seine wesentlich jüngere Freundin Janet, die er über sein Funk-Hobby kennen gelernt hat, überredet ihn, sich beim FBI zu melden, der ihm eindringlich zu einer Doppelagententätigkeit rät. So entgeht Klein der auf Spionage während des Krieges stehenden Todesstrafe und wandert für einige Jahre ins Gefängnis. Weiterhin begegnen wir dem Protagonisten auf seinen Nachkriegsstationen in Neuss, Buenos Aires und San José in Costa Rica, wo der Roman 1953 beginnt und endet.

Ulla Lenze überzeugt und fesselt mit ihrem sachlichen Sprachstil

In Form von Zeitsprüngen rekonstruiert Ulla Lenze in „Der Empfänger“ die Lebensetappen Josef Kleins, dessen Geschichte auf die des gleichnamigen Großonkels der Autorin basiert. In ihrem fünften Roman bedient sich die 1973 in Mönchengladbach geboren Schriftstellerin eines durchweg sehr sachlichen Sprachstils, der trotz seiner Nüchternheit zu fesseln vermag und perfekt zum betont unaufgeregten und stillen Charakter ihrer Hauptfigur passt. Ihr Blick auf die zwei wichtigsten Schauplätze des Romans, das New York der Vorkriegs- und das der deutschen Wohnstuben der Nachkriegszeit, fängt die jeweiligen Atmosphären prägnant und erlebbar ein. Nicht nur aufgrund der immer noch aktuellen Thematik entpuppt sich „Der Empfänger“ von Ulla Lenze als eine der wichtigsten Neuerscheinungen des literarischen Frühjahrs.

Ulla Lenze: „Der Empfänger“, Klett-Cotta, Hardcover, 302 Seiten, 978-3-608-96463-9, 22 €. (Beitragsbild: Buchcover)

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