Sebastian Stuertz: Meine Top-Ten-Alben

HAM.LIT 2020 Uebel & Gefährlich Sebastian Stuertz by Gérard Otremba

Die zehn Lieblingsalben des Schriftstellers Sebastian Stuertz

Exklusiv für Sounds & Books stellt der Autor und Musiker Sebastian Stuertz, dessen wunderbaren Debütroman „Das eiserne Herz des Charlie Berg“ wir unlängst in unserem Online-Magazin besprochen haben, seine zehn Lieblingsalben vor. Er folgt damit seinem Kollegen Torsten Seifert, den wir zuletzt in dieser Rubrik zu Gast hatten. Wir wünschen viel Spaß mit der Liste der

Top-Ten-Alben von Sebastian Stuertz

Lieblingsalben – sind das die, die einen in der Jugend geprägt haben, die einem eine neue Tür aufgestoßen haben, den Blick auf die Welt verändert haben, und sei es nur auf die Welt der Musik? Ich bin selber Musiker, und so haben bestimmte Alben einen enormen Einfluss auf mein Schaffen gehabt – auch wenn ich sie zum Teil heute eher selten anmache. Sicher ist: Die lebenserschütternden Alben lernte ich (wie wohl jede*r?) in meiner Jugend und Adoleszenz kennen, und viele von ihnen höre ich noch immer gerne. Je älter ich werde, desto seltener reihen sich Alben für die Ewigkeit in diese Sammlung ein. Darum besteht meine Mischung überwiegend aus Alben, die im letzten Jahrtausend erschienen sind. Einige davon tauchen sogar in meinem Roman „Das eiserne Herz des Charlie Berg“ auf. Hier zehn meiner prägendsten Alben – in chronologischer Reihenfolge:

1) Beatles: The White Album (1968)

Dieses Album kann ich immer hören und es ist unter Garantie auch das Album, das ich in meinem Leben bisher am häufigsten gehört habe. Mein Bruder und ich schenkten es dem Gitarristen unserer ersten Band zum 14. oder 15. Geburtstag, ich nahm es mir vorher noch schnell auf Kassette auf. Das mit der eigenen Band war gerade neu – Mehrspuraufnahmen mit einem kleinen Vierspurgerät selber machen zu können veränderte kurz darauf mein Leben. Die Beatles machten es vor: Sie arbeiteten hier bereits teilweise alleine, experimentierten herum, auch für die Beatles war die Mehrspurtechnik etwas Neues, das erst ab der Hälfte ihrer Karriere verfügbar war. Paul McCartney spielte alle Instrumente bei „Why don’t we do it in the road“ allein. Die vier waren auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Kreativität und veröffentlichten ein Doppelalbum, auf dem sie alles ausprobierten, was sie wollten. Natürlich liebe ich auch St. Pepper, Revolver, Abbey Road – aber das White Album wird immer mein Liebling bleiben und „Happiness is a warm Gun“ mit seinen aneinandergereihten Teilen und Taktverkürzungen der Prototyp für experimentelle Popmusik nach meinem Geschmack.
Lieblingssong: Happiness is a warm Gun

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Lyrics: „She’s well-acquainted with the touch of the velvet hand like a lizard on a window pane / The man in the crowd with the multicolored mirrors on his hobnail boots / Lying with his eyes while his hands are busy working overtime / A soap impression of his wife which he ate and donated to the National Trust“
Bei einem Doppelalbum mit so vielen Titeln ist leider auch Ausschuss dabei: Die Collage „Revolution 9“ mag musikgeschichtlich relevant und interessant sein, hören kann ich das nicht. Und auch „Ob-la-di Ob-la-da“ skippe ich meistens. Ansonsten: Ein irrer Trip durch die Genres und immer noch unfassbar, was das für Typen waren.
Textstelle in meinem Roman: S. 704 „Ich weiß, wie Vinyl riecht, wie das White Album riecht, doch ich kann kein Lied vor meinem inneren Ohr heraufbeschwören.“

2) Pink Floyd: Ummagumma (1969)

Diese Platte hörte ich das erste Mal 1994 während meines Zivildienstes im Seemannsheim Bremen. Eine alter ehemaliger Seefahrer und Hippie, der dort im Heim wohnte, legte sie mir nahe und erzählte mir eindringlich davon, wie er sie damals auf LSD hörte und die Musik anfassen konnte. Ich war und bin kein großer Freund vom restlichen Werk der Band, das erreichte mich irgendwie nie, Ummagumma hingegen, eine Doppel-LP, haute mich um, vor allem die Studio-Experimente der zweiten LP. Zum Teil handelt es sich um Noise-Kollagen, nichts, was ich mir heute noch anhöre – aber damals faszinierte mich das Konzept: Jedes Mitglied der Band füllte eine halbe LP-Seite alleine – überwiegend mit experimentellem Klang-Kollagen. Sysyphus Part 1 löst heute noch Herzklopfen bei mir aus, so magisch kommt mir diese Soundwelt vor. Die Rede in Phantasie-Sprache bei „Severel Species in a Cave …“ ist unfassbar lustig und legendär. Auch das Cover ist großartig. Keine Platte, die ich häufig höre, dafür ist sie phasenweise zu anstrengend – doch zur Entwicklung meiner musikalischen Ausdrucksform hat sie enorm beigetragen.
Lieblingsstück:Sysphus Part 1

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Die Platte wird gleich zwei Mal in meinem Roman erwähnt: S. 233 „Die unzähligen Momente, in denen ich nach unten in den Studiokeller gekommen war, Dito mit ausgebreiteten Armen und Beinen in der Mitte des Sofas flezte, in seinem Sweet Spot, und laut Bitches Brew von Miles Davis oder Ummagumma von Pink Floyd hörte.“
S. 583 – S. 584 „Der dunkle Volvo der Feinin­gers fuhr auf den Hof. Rorax. Aus dem Inneren erklang Ummagamma. Das Doppelalbum von Pink Floyd kannte ich von Dito. Rorax hörte die Live­ LP, mir gefielen die Studioexperimente auf der zweiten LP besser.“

3) The Cure: Pornography (1982)

Seventeen Seconds oder Pornography? Meine Entscheidung ist zugunsten der extremeren Platte gefallen. Ich liebe von The Cure alles von „Three Imaginary Boys“ bis hin zu „Disintegration“ und höre die Alben bis heute gerne. Ab „Wish“, ein Album das z.T. noch okay war, ging es bergab, danach kam nur noch Murks. Pornography ist ganz klar das düsterste und kaputteste, was sie je abgeliefert haben. Robert Smith war zerfressen von langen Tourneen, Alkohol und Drogen, LSD gab es zum Frühstück und während der Aufnahmen zum Album entstand im Studio eine Skulptur aus Bierdosen, die unter keinen Umständen weggeräumt werden durfte. Alle Schallschluckelemente im Aufnahmeraum wurden entfernt bevor das Schlagzeug eingespielt wurde, dementsprechend hallig klingt das Ganze. Ich glaube, ich kann bis heute alle Texte mitsingen, die ultimativ deprimiert und todessehnsüchtig sind, es ist ein Fest. Die absolut beste Musik für depressive Teenager. Noch heute mache ich diese Platte an, wenn es mir schlecht geht, und lasse mich von Robert Smiths Gejammer trösten, wissend, es geht immer noch schlimmer. 
Lieblingssong: Siamese Twins

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Beste Textstelle: „Dancing in my pocket / Worms eat my skin / She glows and grows / With arms outstretched / Her legs around me / In the morning I cried“
Erwähnung in meinem Roman: S. 321/ S. 322 „Im Unterricht schwieg er, in den Pausen drückte er sich im Dummkauf herum, nachmittags lag er in seinem Zimmer und hörte Pornography von The Cure, eine Platte, die er sich einst nur aufgrund des Titels bei einem Musikversand bestellt hatte und verabscheute.“

4) Tom Waits: Rain Dogs (1985)

Bei Tom Waits fällt es mir nicht schwer, mich für ein Album zu entscheiden. Zwar hat er sehr gute andere Platten herausgebracht (Closing Time, Blue Valentine, Swordfishtrombones), doch Rain Dogs ist mein persönlicher Meilenstein. Nahezu jeder Song ist fantastisch, der unmöglich im Jahr 1985 verortbare Sound der Band dermaßen einmalig und geschlossen, die Texte sind kleine Universen oder Fenster in ein schon damals  längst vergangenes Amerika … Ich habe Tom Waits 1992 als Anhalter kennengelernt, also nicht persönlich, aber als ich als Abiturient an einem sonnigen Herbsttag von der Schule nach Hause trampte. Das Laub umwehte meine Füße und es hielt ein Citroën. Eine attraktive, ältere Frau (also damals vermutlich Mitte 30 😂) nahm mich mit, es lief unglaublich schöne, kaputte Musik. Die Frau trug kräftig Kajal und hatte anscheinend gerade ein wenig geweint, eine dicke, schwarze Tränenspur zog sich über ihre Backe. Wir redeten kein Wort, erst beim Aussteigen fragte ich noch schnell: „Was ist das für Musik?“, hörte das erste Mal den Namen „Tom Waits“ und besorgte mir recht bald die erste Tom-Waits-Platte, die ich im Second-Hand-Plattenladen fand: Rain Dogs. (Diese kleine Episode habe ich übrigens nahezu 1 zu 1 in meinem Roman verarbeitet, s.u.)

Die Platte gehört auch zu meinem persönlichen Soundtrack des Jahres 1993. In einer der vielen weltverrückenden Nächte dieses besten Jahres aller Jahre waren wir zu Dritt im Innenhof des Ziviwohnheims meines Freundes (und späteren Lektors) Matthias gestrandet, es war Sommer und die Barackensammlung bestand aus aufeinandergestapelten, kleinen Zimmern, wie man sie eigentlich nur aus amerikanischen Filmen kennt. Ein anderer Zivi namens Heiko, der seinen Raum in der oberen Etage hatte, machte eines Abends aus heiterem Himmel die Tür auf, um den Innhof brechend laut mit RAIN DOGS zu beschallen. Es war Zufall, er wusste nicht, wie wichtig diese Platte für uns zu dieser Zeit war und ich hielt es für ein Zeichen. Ich entkleidete mich vollständig, kniete mich hin und huldigte Heiko ausgiebig mit vielen Verbeugungen.
Lieblingssong: Es ist eigentlich unmöglich von diesen vielen nur einen zu nennen, aber sagen wir einfach mal Rain Dogs, weil die Textstelle so gut zum Wahnsinn der damaligen Zeit passt.

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„Oh, how we danced and we swallowed the night / For it was all ripe for dreaming / Oh, how we danced away all of the lights / We’ve always been out of our minds“
Erwähnung in meinem Roman: S. 543 „Als ich mich setzte, begann ein Mann zu singen, der zum Frühstück Rasierklingen gegurgelt hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass es Musik gab, die gleichzeitig so gebrochen und so wunder­schön sein konnte.“

5) Metallica: And Justice for all (1988)

An diesem Album scheiden sich die Geister der Fans – aufgrund des Schlagzeug-Sounds. Auch über den Drummer Lars Ulrich als Person lässt sich nicht viel Positives erzählen. Doch als ich im Jahre 1988 das erstemal Metallicas „To live is to die“ hörte, veränderte sich meine Welt. Ich lauschte zum Einschlafen einer Punk-/Hardcore-Radiosendung, eine der wenigen Quellen für neue, harte Musik. Die Rockgitarre hatte bis dahin überwiegend in Form von Funpunk und einigen Hardcore-Bands den Weg zu mir gefunden. Doch dann kam Metallica: Mit chirurgischer Exaktheit bretterten sie mir ihre ultrasauberen Riffs und vertrackten, ellenlangen Stücke ins noch nicht vollständig ausgebildete Gehirn und veränderten dies für immer. Bei „To live is to die“, das Stück, welches kurz vor Mitternacht aus dem Radiowecker von unten in das Hochbett meines Kinderzimmers schallte, handelt es sich über weite Strecken um ein Instrumentalstück, das mit balladesken Akustikgitarrenparts und einem Streichquartett überrascht. Die für Metallica typischen, kitschig-hymnischen Leadgitarrenmelodien zeigten mir, dass es möglich war, gefühlvolle mit harter Musik zu kombinieren, und dass durch den Kontrast beide Seiten gewannen. Beim Text, der nur gesprochen wird, handelt es sich um ein Gedicht des ehemaligen Bassisten, der tragischerweise bei einem Unfall mit dem Tourbus ums Leben kam. Als ich Metallica dieses Stück kurze Zeit später live performen sah, musste ich das erste Mal auf einem Konzert weinen.
To live is to Die:

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„When a man lies he murders some part of the world / These are the pale deaths / Which men miscall their lives / All this I cannot bear to witness any longer / Cannot the kingdom of salvation take me home“

6) Element of Crime: Weißes Papier (1993)

Ich mochte Element of Crime tatsächlich schon, als sie noch englisch gesungen haben. Sven Regeners Umschwung auf die deutsche Sprache hat mich als Songschreiber und Sänger endgültig davon überzeugt, dass es absolut keinen Sinn macht, englisch zu singen, wenn man ansatzweise authentische Musik machen möchte. Genausowenig wie man als Autorenfilmer oder Buchautor sein (Dreh-)Buch in englischer Sprache verfassen würde (ich rede nicht von anschließenden Übersetzungen), kann man als deutscher Muttersprachler auch keine ernst gemeinten Texte auf englisch schreiben – das empfinde ich bis heute so, es bleibt für mich immer eine Imitation, ein Nacheifern von englischen oder amerikanischen Vorbildern, bei dem man nur verlieren kann. Zurück zu Element of Crime: Eigentlich müsste hier aus eben genannten Gründen das erste deutschsprachige Album „Damals hinterm Mond“ aufgeführt sein – ebenfalls eine wahnsinnig gute Platte mit dem traurigsten Über-Hit aller Zeiten „Ofen aus Glas“ – aber ihr unbestrittenes Meisterwerk, da sind sich ausnahmsweise alle einig, ist ganz klar „Weißes Papier“. Kein deutscher Texter schafft es, mich so zuverlässig zu zerlegen wie Herr Regener. Die Bilder, die Melancholie, die kitschfreie Romantik, die Geschichten, die er mit wenigen Worten andeutet und die sich anfühlen wie Erinnerungen, das alles ist einfach so kilometerweit über allem, was jemals irgendjemand in deutscher Sprache gesungen hat, nichts hat mich danach wieder so berührt und wird mich je wieder so erreichen. So gibt es auch in meinem Roman eine kleine Element-of-Crime-Huldigung.
Lieblingssong des Albums: Du hast die Wahl

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Beste Textstelle: „Ich warte am Bahndamm / Zwischen den Gleisen / Bis entweder ein Zug kommt / Oder ein Zeichen von dir / Ob das Erpressung ist / Ist mir doch egal / Du wirst geliebt / Du hast die Wahl“
Leider auch auf dem Album: „Immer unter Strom“ – ich meine mich zu erinnern, dass sogar Sven Regener sich später von diesem unfassbaren Ausfall distanziert hat.
Erwähnung in meinem Roman – wenngleich ich dort einen Song von „Damals hinterm Mond“ zitiere: »Element of Crime. Kennst du die?«»Nein.«»Der Texter ist so gut, ich wünschte, er würde Bücher schrei­ben.«Kafka schwieg. Das konnte er am besten.

7) Portishead: Dummy (1994)

Mit Dummy begann ich verstärkt elektronisch produzierte Musik zu hören. Dieses Album hat damals das Trip-Hop-Vokabular etabliert, das bis heute Gültigkeit hat. Sphärischer Frauengesang, hypnotische Beats, Wurlitzerpianoriffs, die ultimative Abhängmusik mit angenehmen Hip-Hop-Anleihen, poppig aber doch ultracool. Wegen Portishead kaufte ich mir einen Sampler, der bald das zentrale Element meines musikalischen Schaffens wurde. Die Texte haben mich nur am Rande interessiert.
„Wandering Star“

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8) Mr. Bungle: Disco Volante (1995)

Schon das erste, von John Zorn produzierte Album dieser Jazzcoreband um Faith-No-More-Sänger Mike Patton deutete den Paradigmenwechsel an, den diese Band einläuten sollte. Laut Wikipedia ist „Disco Volante“ eines der innovativsten Alben der 90er Jahre – ich würde um „aller Zeiten“ erhöhen. Hier passiert alles, gleichzeitig, nacheinander, ungestüm, wild, irrsinnig, vollkommen verrückt: Filmmusik, Operngesang, Freejazz, Doom- und Deathmetal, Klezmer, Techno, Ambient und tausend Stile mehr. Auch das Konzert der Band in der Markthalle Hamburg ist für mich nach wie vor das beste Konzert, auf dem ich je war. Selten habe ich versucht, einer Band oder einem Stil möglichst exakt nachzueifern – Mr. Bungle bildet die Ausnahme. Mein Freund Nikolaus und ich versuchten genau so verrückte, sich alle paar Takte ändernde, durchgeballerte Musik zu machen. Das hemmungslose Stile-Vermischen ging mir mit dieser Platte in Fleisch und Blut über. Ich würde mich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, dass diese Art von Eklektizismus auch meine Art zu schreiben beeinflusst hat oder sich zumindest darin widerspiegelt: In meinem Debütroman kombiniere ich Krimi, Coming-of-Age, Liebesgeschichte, Künstlerroman und Familiensaga – das war kein Plan, es kommt mir normal vor. Die Texte dieser Platte sind mir tatsächlich vollkommen unbekannt und auch egal, Mike Patton setzt sein Stimme über weite Strecken sowieso nur wie ein Instrument ein. 
Ich empfehle dringend, das 9-minütige „Carry Stress in the Jaw“ im Dunkeln mit geschlossenen Augen und Kopfhörern sehr laut zu hören. In dieser musikalischen Reise steckt alles drin, was man wissen muss.

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9) Björk: Homogenic (1997)

Ich hatte Ende der 90er keine Band mehr, mit der ich regelmäßig auftrat oder probte – wir hatten nur noch PROJEKTE und konzentrierten uns aufs Produzieren elektronischer Musik, alleine, zu zweit, höchstens zu dritt. Techno war noch bäh oder wurde bestenfalls ironisch oder als Zitat in die Finger genommen. Für mich war WARP das Label der Stunde. Boards of Canada, Aphex Twin, Plaid waren meine Benchmarks. Als großer Fan von elektronischen Beats, Noch-nie-Dagewesenem bei gleichzeitigem Bedienen der Popformel kam Homogenic für mich genau zur richtigen Zeit. Die vollkommen außerirdischen Beats, die heute noch absolut fresh klingen, der Pomp, die Streicher, darüber Björks typischer Elfengesang – ein Traum. 
Unravel – eines der schönsten Liebeslieder überhaupt:

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„While you are away / My heart comes undone / Slowly unravels / In a ball of yarn / The devil collects it / With a grin / Our love / In a ball of yarn / He’ll never return it / So when you come back / We’ll have to make new love“
Ausfall: Der vorletzte Song „Pluto“ hat mich schon immer gestresst. Viel zu anstrengend.

10) Kanye West: 808s & Heartbreak (2008)

Kanye West ist ein vollkommen bekloppter Vollidiot. Ich kann üblicherweise Werk und Schöpfer*in nicht voneinander trennen. Als ich beispielsweise erfuhr, dass Beck Scientologe ist, konnte ich seine Musik nicht mehr hören. Manchmal reicht es, ein unsympathisches Interview mit einem Künstler oder einer Künstlerin zu sehen, und sofort ist es vorbei. Ich interessiere mich nicht für Kanye West, alles was ich in den letzten Jahren von ihm mitbekommen habe ist unsympathisch und peinlich. Ich habe auch eine ziemlich intensive Hip-Hop-Phase gehabt, über die misogynen Texte hinweggesehen oder sogar darüber gelacht, für die galaktische Wortkunst und kilometerlangen Reimketten Eminems beschämenderweise seine gerappten Femizidphanstasien durchgewunken – inzwischen bin ich wahnsinnig Hip-Hop-müde und kann den ganzen sexistischen Angeber-Scheiß kaum mehr ertragen. Deshalb hat mir 808s & Heartbreak schon damals außergewöhnlich gut gefallen: Hier rappen nur die Gäste, Kanye West singt – komplett mit AutoTune – einer verflossenen Liebe hinterher und verarbeitet so eine Trennung. Das Instrumentarium ist extrem reduziert auf eine 808, Piano, ein paar Keyboards oder Streicher hier und da – und Mönchschöre. Ein gebrochener Mann mit Liebeskummer, der zwischen Weinerlichkeit, Verletzlichkeit, Hass, Selbsthass und Verzweiflung, schließlich Schadenfreude und Spott oszilliert, mit großartigen Feature Parts u.a. von Kid Cudi und Lil Wayne, die dabei auch komplett ohne Ausfall klargehen. Lustigerweise ist dies die Kindheitsmusik unserer Söhne – wir haben das Album wahnsinnig oft gehört als sie noch klein waren, Len 7, Laszlo 3 – mit dem Album verbinden sie also Kindheitserinnerungen und wir hören es bis heute gerne alle zusammen.
Bei aller Zickigkeit, die auch hier immer wieder aufschimmert – im Song „Bad News“ geht mir Kanye nahe – er beschreibt wie er erfährt, dass seine Freundin ihn betrügt, und tut so, als ob er es schon wusste. Ab der Hälfte fliegt der Track instrumental weiter – die wahnsinnig gut klingende 808 rollt schnell aber völlig entspannt dahin, als hätte Kanye gerade erst den Breakbeat erfunden, dazu ein paar Klavierakkorde, Streicher. Einfach toll und traurig und einmalig.

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„Didn’t you know, I was waiting on you / Waiting on a dream that’ll never come true / Didn’t you know, I was waiting on you / My face turned to stone when I heard the news / When you decide to break the rules / ‚Cause I just heard some real bad news“
Insgesamt ein großartiges, außergewöhnliches Nicht-Hip-Hop-Album von einem der größten Hip-Hop-Produzenten überhaupt. Lediglich der Bonus Track „Pinocchio Song“ – ein live Freestyle Track – ist absolut unterirdisch.

Herzlichen Dank an Sebastian Stuertz für die Vorstellung seiner Top-Ten-Alben bei Sounds & Books (Beitragsbild von Gérard Otremba).

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Kommentare

  • <cite class="fn">Niki</cite>

    Danke Sebastian – ich habe nichts zuzufügen- vermutlich weil wir die bezeichnendste aller Zeiten zusammen verbracht haben. Bei Nummer 10 bin ich auch wenn es ein recht schöner Song ist nicht dabei bei mir wären das Animal Collective gewesen, die mir endlich wieder gezeigt haben, dass die Musik in diesem Jahrtausend noch nicht tot ist.

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