Torsten Seifert: Meine Top-Ten-Alben

Torsten Seifert Pressefoto

Die zehn Lieblingsalben des Schriftstellers Torsten Seifert

Unsere beliebte Rubrik, in der Autoren ihre zehn Lieblingsalben vorstellen, geht in die nächste Runde. Heute haben wir den in Potsdam lebenden Schriftsteller Torsten Seifert zu Gast. Seifert war im Jahre 2017 mit seinem auch bei Sounds & Books rezensierten und im Tropen Verlag veröffentlichten Roman „Wer ist B. Traven?“ der erste Gewinner des Blogbuster-Preises. Wir freuen uns über seine Affinität zur Rock-Pop-Musik und wünschen viel Vergnügen mit den

Top-Ten-Alben von Torsten Seifert

1. Nick Cave: „The Good Son“ (1990)

Gospeleinflüsse, portugiesischer Chorgesang, viel Pianospiel, Glocken und Vibraphon – auf „The Good Son“ verabschiedete sich Nick Cave von der lärmenden Vergangenheit und erfand sich neu. Das Klangspektrum, das die Band damals präsentierte, haut mich noch heute um. Es deutete bereits an, wohin die Reise für den Australier in den nächsten Jahrzehnten gehen sollte. Legendär u.a. „The Weeping Song“, das Duett von Cave und Blixa Bargeld, zudem es ein herrlich besoffenes Video gibt. Ein Album? Nein, ein Gottesdienst!

2. Marillion: „Misplaced Childhood“(1985)

Marillions erstes Konzeptalbum und vermutlich die einzige Platte, die ich auch noch 34 Jahre nach ihrem Erscheinen lückenlos mitsingen kann. Die Gedanken, Erinnerungen und Gefühle, die Sänger Derek William Dick alias Fish hier in Bezug auf seine Kindheit in Edinburgh in Musik übersetzt hat, erwischen mich regelmäßig auf dem falschen Fuß, bis ich dann bei „Childhoods End?“ erleichtert heulen muss. Jeder hat seine Alben, bei denen andere es nur schwer verstehen können, warum man sie so liebt. Dieses hier ist meines. Ganz allein war ich mit dieser Meinung allerdings nicht. In UK ging „Misplaced Childhood“ seinerzeit direkt auf 1.

3. The Killers: „Hot Fuss“ (2004)

Das erste Killers-Album ist so gnadenlos unterhaltsam, dass es Funken sprühen könnte. Pop in Übergröße, mal hymnisch wie in „Glamorous Indie Rock & Roll“ mal versöhnend wie „Smile like you mean it“, mal hysterisch bunt wie „Mr. Brightside“ – einem Song, den ich jederzeit überdreht mitsinge, wenn er während einer Autofahrt im Radio läuft. Vorausgesetzt, ich habe keine Beifahrer. Für den tieferen Sinn der Texte, muss ich mein Hirn beim Mitgrölen zum Glück nicht einschalten. Da ist keiner außer: Party! Dass die Band auch noch aus Las Vegas kommt, passt für mich als bekennenden Fan des Zocker-Mekkas wie Arsch auf Barhocker.

4. Fleetwood Mac: „Rumours“(1977)

Nicht ganz die erste Platte, die ich mir in meinem Leben vom eigenen Geld gekauft habe, aber vielleicht die dritte oder vierte (Ja, die „Rumours“ wurde tatsächlich in der DDR veröffentlicht). Es ist eines der Alben, das heute in jeder größeren „Beste Platten aller Zeiten“-Befragung Chancen auf einen der vorderen Plätze hat. Mit mehr als 40 Millionen verkauften Tonträgern gehört es zum Kulturgut der Musikgeschichte wie Mozarts Zauberflöte. Die Songs sind so wunderbar eingängig, dass man leicht vergisst, um was es in den Texten eigentlich geht: um Verrat, Verzweiflung und Verlust. Dass die Personen, mit denen hier abgerechnet wird, niemand anderes sind, als die Bandmitglieder selbst – Fleetwood Mac galt als eine Band, in der nahezu jeder mal mit jedem im Bett war – macht die Geschichte dahinter ebenso außergewöhnlich.

5. White Lies: „To Lose My Life“ (2009)

Die White Lies waren nie stilprägende Vorreiter. Aber als Erben dessen, was Joy Divison, The Chameleons oder die Psychedelic Furs hinterlassen haben, machen sie einen verdammt guten Job. Vergleichbar vielleicht mit einem Hochspringer, der heute davon profitiert, dass vor 50 Jahren Dick Fosbury meinte, man könne doch auch mal mit dem Rücken zuerst über die Latte fliegen. „To Lse My Life“ ist schwermütig, glamourös und zugleich herrlich hoffnungsvoll. Die Melodien sind nahezu perfekt gesetzt, die Songs scheinen mit zunehmender Spielzeit regelrecht zu wachsen und die Refrains wickeln einen locker um den Finger. Das wird jeder unterschreiben, der die White Lies schon mal auf einem Konzert erleben konnte und „Let’s grow old together and die at the same time“ mitgrölte.

6. London Grammar: „Truth Is A Beautiful Thing“ (2017)

Schon im Opener „Rooting for you“ macht Frontfrau Hannah Reid klar, wo bei London Grammar der Hammer hängt. Spielend leicht spaziert sie durch mehrere Oktaven. Doch ihre vokalistische Machtdemonstration hat zu keiner Zeit etwas von Muskelspiel. Für ihre Gänsehautstimme kann sie nun mal nichts. Seit Annie Lennox gab es vermutlich keine Sängerin mehr im Popbusiness, die über eine derartige Virtuosität verfügt. „Truth Is A Beautiful Thing“, das zweite Album des britischen Trios, steckt voller süchtig machendem Dreampop mit gelegentlichen Indie- aber auch TripHop-Elementen, die Hannah Reids kraftvollem und über jeden Zweifel erhabenem Organ gekonnt den Teppich ausrollen. Haben sich die Songs erst mal im Ohr festgesetzt, richten sie sich dort auf längere Zeit häuslich ein. Mir ging das vor allem bei „Who Am I“, „Big Picture“ und dem beinahe schon groovig zu nennenden „Non Believer“ so.

7. Editors: „An End Has A Start“ (2007)

Ich habe die Editors schon oft live gesehen und bei irgendwem die tolle Formulierung entdeckt, dass „wenn einem der Festivalschweiß brennend in die Augen läuft und man sie kurz schließen muss, man sich gut vorstellen kann, dass da oben nicht Tom Smith, sondern Ian Curtis von Joy Division steht.“ – Ganz offenkundig tragen die Editors die Nähe zu ihrer wichtigsten Referenzband stolz vor sich her. Warum auch nicht, diese Melodien, die stark von der großen Zeit des Post-Punk und Neo-New-Wave geprägt sind, muss man als Fan dieser Zeit einfach mögen und mit in die dunkle Nacht nehmen. Bereits nach „Smokers At The Hospital Doors“ wollte ich das Album nicht mehr loslassen. Das sind nicht einfach Melodien, sondern düstere Mitsinghymnen ­– melancholisch aber kein bisschen kitschig. Als „Weltuntergangsstimmung vor einem Sommerplatzregen“ hat das ein Rezensent mal passend beschrieben. Als ich noch regelmäßig die Berliner S-Bahn nutzen musste, war das Intro zu „The Racing Rats“ (thematisch passend) der Klingelton meines Handys.

8. Oasis: „(What’s The Story) Morning Glory“ (1995)

Eine Platte, zu der man eigentlich nicht viel sagen muss. Ein Meisterwerk mit Ansage, der Kulminationspunkt von Britpop, das Album, mit dem UK die musikalische Weltherrschaft zurückforderte. Der grandiosen Großmäuligkeit der Gallagher-Brüder konnte auch ich mich spätestens seit „Don’t Look Back in Anger“, „Wonderwall“ und „Champagne Supernova“ nicht mehr entziehen. Perfekte Pop-Perlen, die Sir Paul McCartney stolz gemacht haben dürften – schließlich standen die Beatles bei Oasis immer irgendwie Pate. Zu recht eines der erfolgreichsten Album der britischen Musikgeschichte.

9. Florence + Machine: „Ceremonials“ (2011)

Bei der Auswahl meiner Top 10-Platten stand „Ceremonials“ lange Zeit in der zweiten Reihe: Nicht das, was ich auf den Spitzenplätzen erwartet hätte, aber immer noch viel zu gut, um von der Liste gestrichen zu werden. Kein Wunder, Florence Welch geht auf „Ceremonials“ sofort zum Großangriff über. Sie hat dem Bombast die Türen geöffnet und bei mir damit offene eingerannt. Breite Synthesizersounds sorgen für großes Kino. Fast jeder Track scheint das Potenzial für einen Megahit zu haben. Dazu opulente Chöre, Harfen, Klavier, fette Drums, massige Gitarren und üppig übereinandergestapelte Gesangsspuren. Songs wie „Shake it Out“, „Only If For A Night“ oder das ebenso episch wie erhabene „What the water gave me“ machen kein Hehl daraus, dass sie den Hörer nicht unterhalten, sondern überwältigen wollen. Ich wette, Richard Wagner hat bei Erscheinen dieses Albums verwundert von seiner Wolke heruntergeschaut.

10. The National: „Boxer“ (2007)

Eine Band, die seit 18 Jahren zuverlässig hochklassige Alben abliefert, von denen für mich gleich mehrere als Kandidaten für die Top 10 in Frage gekommen wären. Vorne liegt am Ende „Boxer“, eine Platte voller bitterschöner Geschichten über Enttäuschungen, Entfremdungen und Einsamkeit in einer Welt, die sich von all dem unbeirrt weiterdreht. Trotz der vielfältiger Facetten ist „Boxer“ ein Album wie aus einem Guss. Matt Berningers brummelnder Bariton erinnert an einen guten Rotwein oder an teure Schokolade, von der man sich eigentlich nur ein paar kleine Stückchen gönnen will, um möglichst lange etwas davon zu haben. Der Song „Fake Empire“ ist eine Sensation, wie sie nur alle paar Jahre gelingt und „Squalor Victoria“ oder „Mistaken For Strangers“ stehen ihm um nicht viel nach. Die orchestrale Instrumentierung sorgt dafür, dass die Platte bei aller Selbstversunkenheit dennoch lebendig und dynamisch bleibt.

Herzlichen Dank an Torsten Seifert für die Vorstellung seiner Top-Ten-Alben bei Sounds & Books (Beitragsbild: Pressefoto, Torsten Seifert).

Kommentare

Kommentar schreiben