Blur: The Ballad Of Darren – die Story zum Album

Blur Credit Reuben Bastienne-Lewis

Kaum ein anderes Album wurde 2023 mit so großer Spannung erwartet wie das Blur-Comeback nach acht Jahren. Ist es die Aufregung wert?

von Werner Herpell

Der von Medien massiv angeheizte Zweikampf „Blur versus Oasis“ um die Britpop-Krone – meine Güte, ist das lange her. Mitte/Ende der 90er Jahre war das, und was hat sich seitdem in der Entwicklung dieser beiden ikonischen englischen Bands (auch ein London-versus-Manchester-Battle, remember?) nicht alles getan. Dabei war das Scharmützelchen doch schnell entschieden – zugunsten von Damon Albarn, Graham Coxon, Alex James und Dave Rowntree, deren offenes Pop-Konzept schon nach den vier meisterlichen Alben „Parklife“ (1994), „The Great Escape“ (1995), „Blur“ (1997) und „13“ (1999)  im Vergleich zur Beatles/Slade-Fixierung der meist tief zerstrittenen Gallagher-Brüder das ungleich spannendere war.

Believe the hype!

Solchen Gedanken hängt man jetzt wieder nach, da Blur ein weltweit

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gefeiertes Live- und Album-Comeback feiern – während Oasis mausetot sind und selbst eine starke Leistung von Noel Gallagher`s High Flying Birds mit dem respektablen Album „Council Skies“ überwiegend nur wohlwollendes Interesse hervorruft. Und, Noel, Du musst jetzt ganz stark sein: „The Ballad of Darren“, diese kackfrech mitten in die VÖ-Sommerpause gesetzte Blur-Platte, wird dem Hype mehr als gerecht. Gut immerhin, dass sich die beiden Frontmänner längst versöhnt haben und der nervige (ziemlich einseitige) Konflikt daher wohl nicht neu eskalieren wird.

Damit nun konkret zu dem erst neunten Blur-Studioalbum seit ihrem Debüt „Leisure“ von 1991. Zwei wichtige Informationen liefert der Titel. Erstens ist er – sympathischer Move der Band – eine Verbeugung vor Darren „Smoggy“ Evans, dem früheren Blur-Bodyguard, der jetzt für Albarn tätig ist. „Darren steht für viele Leute, ist aber auch eine konkrete Person“, erklärt der mittlerweile 55 Jahre alte Sänger. „Es gibt ein Bild von Darren im Album. Nicht auf dem Frontcover. Das sollte eigentlich so sein, aber dann haben wir es auf die Innenhülle gesetzt, weil Darren keine größere Aufmerksamkeit wollte.“ Und zweitens ist „The Ballad Of Darren“ – ein Balladenalbum. Und was für eines.

„The Ballad“ als programmatischer Opener

Blur The Ballad Of Darren Cover Parlophone Warner Music

Schon der Opener, programmatisch „The Ballad“ genannt, ist ein majestätischer Schleicher, in dem Damon Albarn mit einem seiner schönsten Vocals den charmanten Crooner gibt. Selbst für Blur-Verhältnisse ist es einigermaßen mutig, mit einem so ruhigen, streichergesäumten Lied in ein Album zu starten, das als mehrfaches Ausrufezeichen („Die Britpop-Champions sind zurück!!!“) verstanden werden darf. Dafür lässt die Band im folgenden „St. Charles Square“ mit schräger Coxon-Gitarre, bollerndem James-Bass und treibenden Rowntree-Drums die Sau raus – und natürlich mit einem Albarn-Geheul, das an den Glamrock von The Sweet ebenso erinnert wie an (kennt das noch jemand?) „Crazy Horses“ von The Osmonds. „Barbaric“ ist danach ein zunächst nur sehr eingängiger, smarter Popsong, der in ein dramatisches Strings-Finale mündet.

So unterschiedlich die Blur-Alben bis hin zum tollen 2015er Studiowerk „The Magic Whip“ auch waren – einige pophistorische Referenzen wie The Beatles, The Kinks, Paul Weller oder XTC blieben im Laufe der Jahre doch gültig. Für „The Ballad Of Daren“ muss man nun definitiv David Bowie ergänzen.

Damon Albarn ist „irgendwie David Bowie“

Schon im erwähnten Opener, erst recht aber in der nächsten großen Ballade „Russian Strings“ kommt man am „Thin White Duke“ als Albarn-Vorbild kaum vorbei. Der Blur-Sänger und Haupt-Songwriter hat auch kein Problem damit, es einzuräumen: „Das trifft’s, auch wenn es keine bewusste Wahl war“, sagte Albarn kürzlich in einem Interview zum Bowie-Vergleich. „Ich habe seit Jahren nicht mehr Bowie gehört, ich brauche das auch nicht, weil ich es im Herzen trage. Irgendwie bin ich David Bowie, seit er tot ist.“ Er meine das gar nicht in einer arroganten Weise. „Aber es ist halt so, ich sag’s ganz ehrlich: Manchmal denke ich, ein Teil von David Bowie lebt durch mich weiter.“

In punkto chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit hat Albarn sicher Recht. Denn diese ist wie bei Bowie ein Merkmal seiner gesamten Karriere, ob mit Blur, den Gorillaz, dem All-Star-Projekt The Good, The Bad & The Queen, mit Africa Express oder solo. Und hat man nicht schon früher, etwa in einem Blur-Song wie „Strange News From Another Star“, diese Verbindung gespürt? Auch in „Goodbye Albert“ vom neuen Album singt Albarn nun so einfühlsam mit klarer Baritonstimme wie Bowie, und in der ersten Single-Auskopplung „The Narcissist“ spürt er dem auch von Krautrock und Gitarren-Krach beinflussten „Heroes“-Helden der mittleren 70er (Berlin-)Jahre nach.

Ruhige Gangart statt Punkpop-Power von Blur

Ein Balladen-Album von Blur also, eine Verbeugung vor dem größten englischen Solo-Popstar aller Zeiten. Bis zum Schluss bleibt das so auf „The Ballad Of Darren“. Wer (abgesehen von „St. Charles Square“) die knackig-punkigen Songs früherer Platten vermisst und einen gewissen Mangel an Abwechslung moniert, hat zweifellos einen Punkt. Aber die insgesamt zehn (in der Limited Edition zwölf) kompakten neuen Lieder machen mit ihrer melodischen Frische und der Reife des Songwritings einfach so viel her, dass man Blur die überwiegend ruhige Gangart nachsieht.

Und hach, wann hat man je schönere Lieder von ihnen gehört als das walzernde „Far Away Island“, das direkt von Albarns melancholischem Solowerk „Everyday Robots“ stammen könnte, oder das beatleske „Avalon“? Überhaupt wird „The Ballad Of Darren“ zum Ende hin immer besser. Der würdige Closer „The Heights“ ist ein weiteres, ein letztes Highlight mit quengelnder Coxon-Gitarre, einem wuchtigen Rowntree/James-Rhythmuseinsatz, Albarns waidwundem Gesang und noisigem Outro.

Die vier „Jungs“ von Blur – immer unterwegs

„Innovative, ever-morphing Brit-pop band with punch that nabbed constant critical adulation and the occasional massive hit“, schreibt das immer empfehlenswerte Online-Magazin Allmusic über den heutigen Status von Blur. Volltreffer! Wenn man dann noch bedenkt, dass Drummer Dave Rowntree Anfang des Jahres ein überzeugendes Soloalbum („Radio Days“) herausgebracht hat und Gitarrist Graham Coxon zusammen mit seiner Lebensgefährtin Rose Elinor Dougall kurz darauf einen sogar noch besseren Longplayer unter dem Alias The Waeve

Ganz zu schweigen vom hibbelig hyperaktiven Pop-Tausendsassa Albarn. Allein für dieses Jahr stehen in seiner Bilanz: eines der karrierebesten Alben mit der Cartoon-Band Gorillaz („Cracker Island“), die Co-Produktion und prominente Teilnahme am Afrobeat-Funk-Pop-Meisterwerk „London Ko“ von Fatoumata Diawara aus Mali, und jetzt das grandiose Blur-Comeback im Studio und auf den riesigen Bühnen. Nicht nur wer den ewig jungenhaften Performer mit seiner Kumpels-Band kürzlich bei den ausverkauften Londoner Wembley-Konzerten erlebt hat, wird diesen Musiker für einen Britpop-Superhelden halten: The unstoppable Damon, long may he run!

Das Album „The Ballad Of Darren“ von Blur erscheint am 21.07.2023 bei Parlophone/Warner. (Beitragsbild von Reuben Bastienne-Lewis )

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