Gorillaz: Cracker Island – die Story zum Album

Gorillaz Cracker Island Cover Parlophone Warner Music

Was als originelle künstlerische Zusammenarbeit zweier Freidenker begann, ist zu einem der langlebigsten Pop-Projekte überhaupt geworden. Die Gorillaz sind also immer noch da – und Blur, die legendäre Band ihres Frontmannes, zumindest live bald auch wieder.

Wer vor gut 20 Jahren auf eine lange Karriere der Gorillaz gewettet hätte, wäre wohl von den meisten Pop-Propheten für ziemlich abgedreht erklärt worden. Zu sehr schien das virtuelle Quartett um Damon Albarn (Blur) und den Comic-Zeichner Jamie Hewlett („Tank Girl“) mit dem selbstbetitelten Debüt (2001) auf Gag-Wirkung ausgelegt zu sein. Der Charme der schrägen Cartoon-Typen 2D, Noodle, Murdoc Niccals und Russell Hobbs würde – so dachten viele – bald verpuffen. Von wegen.

Mit dem achten Album immer noch frisch

Jetzt ist das achte Studioalbum der inzwischen mit einem Grammy und vielen anderen Auszeichnungen geehrten Gorillaz draußen – und sie klingen so frisch wie eh und je. „Cracker Island“, durch einige Singles seit Monaten perfekt angeteasert, dürfte sogar eines der besten und rundesten POP-Alben (Pop hier ganz bewusst in Großbuchstaben) der Comicfiguren-Viererbande sein.

Das Album fällt im Vergleich mit dem ebenfalls bärenstarken, aber etwas überladenen Gaststar-Vehikel „Song Machine Season One: Strange Timez“ (2020) fast schon bescheiden aus, aber es hat in Summe die besseren Songs zu bieten. Man merkt dem Frontmann und Hauptsänger Albarn (54) jedenfalls keinerlei Ermüdungserscheinungen an. Und das, obwohl er bekanntlich seit etlichen Jahren auf vielen Hochzeiten tanzt – zu einer davon später mehr.

Zwei überragende Promi-Gastspiele

Gorillaz Cracker Island Cover Parlophone Warner Music

Neue Tracks wie „Cracker Island“ (mit dem herrlich blubbernden Bass des Jazz-Funk-Neutöners Thundercat), der psychedelisch verspielte Hip-Pop-Song „New Gold“ (mit Tame Impala und Bootie Brown) oder das hübsch 80s-soulige „Silent Running“ (mit Gastsänger Adeleye Omotayo) sind wieder allerfeinste Gorillaz-Ware – eingängig und intelligent, weltumarmend und ambitioniert zugleich. Von den vor der Albumveröffentlichung noch nicht so bekannten Stücken ragen zwei Promi-Kollaborationen heraus: „Oil“, das nicht nur wegen der 70s-Pop-Stimme von Stevie Nicks (74) ein zartes Fleetwood-Mac-Flair entwickelt, und „Possession“ mit Beck, eine der schönsten Balladen der (für Slow-Songs freilich eher weniger berühmten) Gorillaz.

Albarn hat, auch wegen seiner vielfältigen Interessen für Musik jenseits des Blur-Britpops, inzwischen ein ziemlich einmaliges Standing in der aktuellen Musikszene. Und er nutzt dies für immer neue Zusammenarbeiten auch mit scheinbar stilistisch weit entfernten, hoch angesehenen und hoch angesagten Künstlern.

Eine schier endlose Gorillaz-Gästeliste

Die Liste ist jetzt schon fast endlos – und sie wird immer länger: Bobby Womack, Bruce Willis, Neneh Cherry, Terry Hall, Lou Reed, Snoop Dogg, Mark E. Smith (The Fall), Robert Smith (The Cure), St. Vincent, Tony Allen, Beck, Elton John, jetzt also auch Stevie Nicks. Für solche Gastspiele im Gorillaz-Cartoon-Universum schreibe er „anderen Leuten gern Briefe“, gab Albarn mal in einem dpa-Interview preis. „Und dann bin ich  auch nicht sauer, wenn mal einer Nein sagt.“ Kommt wohl recht selten vor.

„Ich habe ja nicht einmal angenommen, dass ich selbst so lange im Musikgeschäft dabei bin“, sagte Albarn in besagtem Gespräch lachend über die dauerhafte Karriere seiner Comic-Kombo. „Also nein, gerade mit den Gorillaz hatte ich das nicht erwartet. Es war ja eigentlich eine kurzfristige, ein One-off-Idee. Eine Abweichung von meinem Alltagsjob mit Blur, etwas mit mehr Synthesizern. Aber wir haben dann ziemlich schnell gemerkt, dass es mehr ist als nur ein Seitenprojekt.“

„Cracker Island“ ist wieder ein Charts-Favorit

Gut so – denn auch „Cracker Island“ ist wieder ein knallbuntes, genreübergreifend modernes Album der Cartoon-Charaktere Stuart Harold „2D“ Pot (alias Sänger Damon Albarn), Gitarristin Noodle, Bassist Murdoc Niccals und Schlagzeuger Russell Hobbs geworden. Und es dürfte angesichts seiner ganz unpeinlichen Zugänglichkeit erneut weltweit höhere Charts-Platzierungen einfahren als die meisten Platten von Albarns „Startrampe“ Blur.

Dabei ist auch bei dieser ikonischen Band des Britpop-Booms der 90er derzeit wieder einiges los. Nicht nur weil in diesem Jahr schon vor Albarn gleich zwei Blur-Mitglieder hörenswerte Alben vorgelegt haben – es wird in wenigen Wochen zumindest ein Live-Comeback des Quartetts in Originalbesetzung geben: 16 Konzerttermine vom 1. Juni („Primavera“-Festival in Barcelona) bis zum 20. August („Summer Sonic 2023“ in Osaka/Japan) sind auf der Band-Website gelistet (Stand: 23.2.2023), mit dem großen Höhepunkt Wembley/London am 8. und 9. Juli.

Starke neue Alben von Rowntree und Coxon

Der vielseitige Schlagzeuger Dave Rowntree (58) hat mit „Radio Songs“ bereits im Januar „eine introvertierte, auf Gefühle und Stimmungen statt auf Hooks und Beats setzende Platte“ herausgebracht, wie Sounds & Books in einer Kurzreview schrieb. Gitarrist Graham Coxon (53) brillierte Anfang Februar auf dem Debüt seines Orchestral-Folk-Duos The Waeve mit Partnerin Rose Elinor Dougall – Sounds & Books lobte die beiden in seiner Review als „moderne, furchtlos experimentierfreudige und zugleich fest in der Pophistorie verwurzelte Grenzüberschreiter“. Nur von Blur-Bassist Alex James (54) hat man zuletzt länger nichts Neues gehört.

Grenzüberschreiter waren Albarn, Rowntree, Coxon und James zeitweilig ganz sicher, selbst das bisher (und womöglich auf längere Zeit) letzte Blur-Studioalbum „The Magic Whip“ (2015) wusste mit kreativem Mut und stilistischer Offenheit zu überraschen und zu überzeugen. Ob auf die mit riesiger Spannung erwartete Live-Reunion im Sommer irgendwann neue Musik folgt, lässt man aber im Unklaren.

Nach den Gorillaz doch wieder ein Blur-Album?

„Es ist keine große Sache“, spielte Albarn bei der Wembley-Ankündung im November die gemeinsamen Pläne noch herunter. Die Band sei „ein riesiger Teil meines Lebens und ihrer Leben“ gewesen. „Also wertschätzen wir alle diese Erinnerungen, aber wir würden sie nicht gern ruinieren.“ Alex James äußerte sich derweil ein bisschen offener zu Studio-Optionen. „Ich weiß wirklich nie, was als nächstes bei Damon passiert. Es könnte unsere letzte Show sein, aber auch zu einem neuen Album führen. Das ist ein Teil des Spaßes – ich weiß echt nie, was demnächst (mit Blur) passiert.“

„Cracker Island“ von den Gorillaz erscheint am 24.02.2023 bei Parlophone/Warner. (Beitragsbild: Albumcover)

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