Kathrin Weßling: Super, und dir? – Roman

Kathrin Weßling credit Melanie Hauke

Kathrin Weßling legt mit dem Roman „Super, und dir?“ den Nerv einer ganzen Generation offen

Marlene Beckmann könnte man als eine klassisch weiße und heterosexuelle, gut ausgebildete, privilegierte und hübsche Frau beschreiben, die es in ihrem Leben geschafft hat: Abitur als Jahrgangsbeste, große Wohnung mit ausgewählt geschmackvollen Möbeln in einer hippen Großstadt, ein attraktiver Freund, eine Stelle als Volontärin für Social Media bei ihrem Wunschunternehmen. Doch hinter der sorgfältig geschminkten Fassade der 31-jährigen bröckelt es gewaltig.

Ich zu sein war lange sehr einfach. Bis es dann sehr kompliziert wurde. Das klingt nach etwas, das man auf einen Jute-Turnbeutel drucken lassen kann, den man in einem dieser Geschäfte erwirbt, in denen es auch Postkarten mit ironisch-tiefsinnigen Sprüchen gibt und Polaroid-Kameras.

Kathrin Weßling Super und dir? Cover Ullstein VerlagNicht nur beruflich sieht sich Marlene gezwungen, die glitzernde Scheinwelt des Internets aufrechtzuerhalten, auch privat fühlt sie sich diesem Anspruch unterworfen. Obwohl sie es hasst, jeden Tag mit ihrer Kollegin in einem engen, lichtlosen „Schlauch“ zu hocken und Bloggern unbezahlte Kooperationen für nutzlose Produkte aufzuschwatzen, spielt sie mit, stellt gut ausgeleuchtete Selfies mit scheinbar tiefgehenden Sprüchen auf Facebook und fühlt sich durch die „Likes“ in ihrer Normalität bestätigt. Alles super, oder? Doch diese unbestimmte Sehnsucht, dieses tiefe Loch in ihr drin kann sie damit nicht ausfüllen. Um den Mangel nicht spüren zu müssen, greift sie zu Drogen: Ohne Kokain und Speed kann der Tag nicht beginnen und vor allem nicht weitergehen, auch andere Substanzen wirft sie scheinbar wahllos ein, dazu Wodka zum runterkommen. Mit krasser Drogensucht hat das natürlich nichts zu tun:

Ist doch nur Spaß, ist doch morgen wieder vorbei, ist doch geil, ist doch unser Lifestyle.

Doch wie lange kann man verheimlichen, dass man nicht nur ein emotionales, sondern auch ein körperliches Wrack ist – wie lange kann man seinen engsten Vertrauten und vor allem sich selbst das Blaue vom Himmel lügen? Irgendwann fällt das sorgfältig konstruierte Kartenhaus in sich zusammen und der verzweifelte Notruf wird nicht erhört. Wie kommt man da jetzt wieder raus? Aber hey, mir geht’s super, und dir?

Kathrin Weßling hat mit ihrem dritten Buch, „Super, und dir?“, erneut den Nerv einer ganzen Generation offengelegt, ob man diese nun als Generation Y oder Digital Natives bezeichnen möchte: Wie findet man zu seiner eigenen Authentizität, wenn online alles nur Schein und Sein ist, die Optionen unzählig und die Exzesse fotogen? Die schonungslose Beschreibung der Selbstzerstörung ihrer Hauptfigur fühlt sich beim Lesen an wie ein Schnitt ins Fleisch, wie das Vorhalten eines Spiegels: Schau mal, erkennst du dich wieder? Hast nicht auch du gestern noch ein Schnuten-Selfie mit Weinglas vor Sonnenuntergang auf Instagram gepostet? Sind wir nicht alle ein bisschen Marlene Beckmann? „Super, und dir?“ ist ein Roman, der Grenzen auslotet, sie überschreitet, der schmerzt, aufrüttelt, empört und nachdenklich macht. Ein himmelschreiender Exzess in Buchform und eine radikale Absage an die finsteren Schattenseiten der medialen Selbstoptimierung, die niemanden kalt lassen wird.

Kathrin Weßling: „Super, und dir?“, Ullstein Verlag, Hardcover, Klappenbroschur, 256 Seiten, 9783961010103, 16 €. 

(Beitragsbild: Kathrin Weßling by Melanie Hauke)

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