Wilco live in Edinburgh 2023

Wilco live Frankfurt Alte Oper 2022 by Gérard Otremba Sounds & Books

Diese Reise in Schottlands Hauptstadt hat sich für alle gelohnt: Wilco brillieren in Edinburgh mit einem gut zweistündigen Gig voller Spielfreude und Virtuosität.

Text von Werner Herpell, Fotos von Gérard Otremba (Beitragsbild, Live-Archiv) und Werner Herpell

Gegen Ende des Konzerts, die Fans sind schon längst im Taumel der Begeisterung, kommt von Jeff Tweedy ein sehr typisches, leicht linkisch-zerknautschtes Jeff-Tweedy-Kompliment. „Ihr seid unser bestes Publikum überhaupt“, sagt der Wilco-Frontmann in der proppevollen, brodelnden Usher Hall von Edinburgh. „Und es will was heißen, dass ich das sage, denn ich mag mein Publikum eigentlich gar nicht.“ Um dann fortzufahren: „Ist doch nur Spaß.“

Freude und Glück bei Jeff Tweedy

Jeff Tweedy mag seine Zuschauer an diesem Abend des 02.09.2023 sogar sehr. Man merkt ihm, der als einziger Live-Wortführer der vielleicht besten Rock-Band der Welt manchmal recht muffelig oder schmallippig daherkommen kann, die Freude über einen wirklich unfassbar großartigen Wilco-Gig an. Oft verbeugt er sich oder lächelt glücklich angesichts der von Anfang an euphorischen Reaktionen in Edinburgh, wo sich zu den heimischen Konzertbesuchern auch viele Touristen gesellt haben, die sowieso gerade in der prachtvollen schottischen Hauptstadt sind (der Schreiber dieser Zeilen gehört dazu).

Wer die Band schon oft live gesehen hat (wie ebendieser schreibende Langzeit-Fan), wird den Edinburgh-Auftritt zu ihren allerbesten zählen. Die enorme Spielfreude dieser sechs Musiker (die schon seit fast 20 Jahren eine kreative Einheit bilden), ihr traumwandlerisch präzises Zusammenwirken, ihre Virtuosität auf jeder einzelnen Position – all das lässt immer wieder staunen. Wer mit einem der sperrigsten Songs des Repertoires, dem Krautrock-Groove-Monster „Spiders (Kidsmoke)“ als letzte Zugabe, das Publikum zum kollektiven Mitsingen bringt, hat in den zwei Stunden davor wohl eine Menge richtig gemacht.

Alle Facetten des großen Wilco-Katalogs

Aber von Anfang an. Mit dem eher selten gespielten, filigranen „Hell Is Chrome“ legen Wilco verhalten, aber intensiv los. Doch schon „Handshake Drugs“ ist ein klassischer Crowdpleaser, der die Fans mächtig auf Touren bringt. Der Folksong „I Am My Mother“ und das wunderschön melancholische „Cruel Country“ zeugen von der aktuellen Wiederentdeckung einer rootsigeren Stilrichtung mit dem hervorragenden „Country-Album“ aus dem vorigen Jahr.

Wilco haben live stets alle Facettten ihres reichhaltigen Werkkatalogs seit dem rustikalen Debüt „A.M.“ von 1995 präsentiert – mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Diesmal sind es die rund zwei Dekaden zurückliegenden Alternative-Rock-Meilensteine „Yankee Hotel Foxtrot“ (2002) und „A Ghost Is Born“ (2004), aus denen das Sextett sich besonders gern bedient. Aber auch andere Alben wie das golden schimmernde Juwel „Sky Blue Sky“ (2007), der beatleske Poprock von „Summerteeth“ (1999) und sogar die unauffällige Interims-Platte „Star Wars“ (2015) werden mit einzelnen Liedern gestreift.

Auch seltenere Perlen im Angebot

Man kann auch nach einem gut zweistündigen, grandiosen Auftritt immer das Fehlen bestimmter Lieblingssongs bedauern – gern hätte man mal wieder „Art Of Almost“ gehört oder „Love Is Everywhere“ oder „The Lonely 1“. Der Edinburgh-Gig bietet freilich etliche Wilco-Perlen, die man nicht so häufig zu hören bekommt – die Band macht es sich auf einer Tournee nie mit einer starren Setlist bequem. Dazu sind Jeff Tweedy (Gesang, Gitarre), Nels Cline (Gitarre), John Stirratt (Bass), Mikael Jorgensen (Keyboards), Pat Sansone (Gitarre, Keyboards) und Glenn Kotche (Schlagzeug) viel zu abenteuerlustig.

Auch ein brandneues Stück – „Evicted“ vom Ende September erscheinenden Artpop-Album „Cousin“ – steht auf dem Programm des Abends. Vier weitere Songs stechen hervor: „Bird Without A Tail“ (von „Cruel Country“) wird live zur Sensation mit all den kleinen oder großen Soli dieser meisterlichen Band; „Jesus Etc“ (von „Yankee Hotel Foxtrot“) wird in einer sagenhaft sensiblen Version abgeliefert; der vielleicht beste Wilco-Song überhaupt, „Impossible Germany“, feiert die atemberaubenden Gitarrenkünste von Nels Cline, der wieder mal völlig abhebt; und „You And I“, auf „Wilco (The Album)“ ein zartes Tweedy-Duett mit Leslie Feist, bezaubert mit der zu Recht gefeierten Support- und Gastsängerin Courtney Marie Andrews.

Ein Wahnsinnskonzert von Wilco

„Die vielleicht beste Rock-Band der Welt“, so hieß es am Anfang dieses Textes. Nach dem Auftritt in der altehrwürdigen Usher Hall im Herzen der schottischen Kulturmetropole kann kein Zweifel mehr bestehen, dass diese Einschätzung ohne Wenn und Aber zutrifft. Ein Wahnsinnskonzert in Edinburgh – danke, Wilco!

Kommentare

  • <cite class="fn">Chris Mars</cite>

    Mein Eindruck auf der diesjährigen Europa-Tournee ist, dass Wilco kompakter auftreten (und „nur“ noch ca. 2 Stunden spielen) und für ihre Verhältnisse eine diesmal starrere Setlist haben. In Utrecht sind sie zweimal aufgetreten und haben die Setlist am 2.Abend zu ca.50% variiert.
    Ansonsten kann ich Dir nur zustimmen. Grandiose Konzerte auch in Utrecht.
    Schöne Nachberichterstattungen von fast sämtlichen Wilco-Konzerten gibt es übrigens auch auf https://viachicago.org/

    • <cite class="fn">Werner Herpell</cite>

      Lieber Chris, danke für Deinen netten Fan-Kommentar. Wir sind also beide restlos begeistert – zu Recht, was für eine Band, nach so vielen Jahren immer noch steigerungsfähig. In Edinburgh habe ich mit 2 Stunden 5 Minuten und 23 Stücken eines meiner längsten Wilco-Konzerte (von rund 12) erlebt, ansonsten waren es meist so knapp 2 Stunden. Und zum Thema „starrere Setlist“ – da vergleiche ich halt eher mit Springsteen: So genial der auch 2023 noch ist, die Konzertabfolge war seeeehr ähnlich. Wilco wechseln dagegen immer noch schön durch. Long may they run!

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