Songwriterin Grace Cummings im Interview

Grace Cummings Common Man credit Tajette O'Halloran

„Ich sage ja zu mehr Sachen“: Die australische Songwriterin Grace Cummings über ihr kommendes Album „Ramona“ im Interview mit Sounds & Books

Interview von Ullrich Maurer

Eine Persönlichkeit reicht der australischen Songwriterin Grace Cummings offensichtlich nicht aus. Und so schlüpft sie auf ihrem dritten Album „Ramona“ gleich in mehrere Rollen, um ihre Reflexionen über Trauer, Selbstzerstörung und emotionale Gewalt aus verschiedenen Perspektiven betrachten zu können. So präsentiert sich Grace auf diesem Album auf ihrer Suche nach Selbsterkenntnis zum Beispiel als Mutter, Kriegsbraut, Cowboy, Konfuzius und natürlich auch als die titel-gebende Ramona – einer komplexen Figur, die dereinst Bob Dylan in seinem Song „To Ramona“ ins Leben rief. Grund genug also, sich zumindest mal mit der „echten“ Grace Cummings über ihr neues Album zu unterhalten. 

Grace Cummings und Jonathan Wilson

In einer Abkehr der bisherigen Gewohnheit, ihre Alben selbst zu produzieren, tat sich Grace Cummings für ihr neues Album „Ramona“ mit dem amerikanischen Produzenten und Musiker Jonathan Wilson zusammen, um ihren oft monumental angelegten Geschichten eine adäquate musikalische Basis bieten zu können. Denn Wilson hatte mit seinen Arbeiten für Künstler wie Father John Misty, Margo Price, Conor Oberst oder Angel Olsen schon bewiesen, dass er ein Händchen dafür hat, seinen Produktionen eine zeitgemäß angepasste Revitalisierung des legendären Laurel Canyon- und Cosmic American Music-Geistes zu verpassen, ohne dabei die Idiosynkrasien der betreffenden Künstler und Künstlerinnen unterzubuttern.

Grace Cummings auf der Suche nach dem großen Sound

Grace, was war denn Dein Beweggrund, mit einem Produzenten wie Jonathan Wilson zu arbeiten, obwohl Du doch selbst schon als Produzentin gearbeitet hattest?

Grace: Sicher habe ich meine ersten beiden Alben „Refuge Cove“ und „Storm Queen“ selbst produziert – aber eher aus

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der Notwendigkeit heraus. Ich wollte aber immer schon mal etwas wirklich Großes, Großartiges, Theatralisches und Dramatisches machen. Und es bot sich nun für mich erstmalig die Möglichkeit, so etwas realisieren zu können. Bei  meiner ersten Scheibe war es fast schon ein Zufall, dass ich überhaupt einen Plattenvertrag ergattern konnte und ich musste dann halbherzig ein paar Folk-Songs zusammensuchen, die ich schon auf Tasche hatte.

Die zweite Platte nahm ich dann mitten in der Covid-Pandemie auf – wobei wir nur eine bestimmte Anzahl von Leuten überhaupt in einem Raum haben durften. Wir konnten damals nicht proben und uns auch nicht treffen. Jetzt hatte ich erstmals die Chance das zu machen, was ich immer schon hatte machen wollen. Ich hatte wirklich Glück, dass ich das dann auch noch mit jemandem wie Jonathan Wilson verwirklichen konnte, der sofort zusagte, als ich den Mut zusammen nahm ihn zu kontaktieren nachdem ich die Scheibe „Big Time“ von Angel Olsen gehört hatte, die er produziert hatte.

Die Rollenspiele von Grace Cummings

Auf der neuen Scheibe präsentierst Du Dich ja in vielen verschiedenen Rollen – wie ja auch auf der Bühne. Wie viele Versionen gibt es denn von Grace Cummings?

Grace: Das weiß ich noch gar nicht. Ich denke, es gibt eine Menge Katharsis, die in meine Performances einfließt – und eine Menge an Emotionen. Ich denke, dass ich im richtigen Leben ziemlich verschieden bin von dem, was ich etwa auf der Bühne oder meinen Alben darstelle. Die Bühne ist aber der einzige Ort für mich, an dem ich mich so darstellen kann, wie ich es möchte und wie ich es dann tue, denn dort lege ich mir keine Limitationen auf und tue das, was ich gerade fühle – einfach weil es mir erlaubt ist.

Auf der Suche nach „Ramona“

Kommen wir mal zu dem Leitmotiv des Albums. Die „Ramona“, um die es hier geht, wurde von Bob Dylan 1963 in seinem Song „To Ramona“ zum Leben erweckt. So, wie Dylan das damals anlegte, scheint seine „Ramona“ eine doch recht vielschichtige, komplexe und komplizierte Persönlichkeit zu sein. Musikalisch hat Grace Cummings‘ Titelsong ihres neuen Albums nichts mit dem Bob Dylan Song zu tun – aber als Projektionsfläche scheint „Ramona“ doch eine große Anziehungskraft für sie zu besitzen.

Was meinst Du denn damit, wenn Du im Titeltrack davon singst, dass es an der Zeit für Dich sei, selbst eine „Ramona“ sein zu wollen?

Grace: Ich denke, dass „Ramona“ für mich immer noch entblättert werden muss und ich selbst noch herausfinden muss, was sie für mich eigentlich bedeutet. Sie bedeutet auf jeden Fall sehr viel. ‚Ramona‘ ist ein Name, den ich mir selbst gegeben habe und einer, der schwierige Dinge, beziehungsweise Dinge, die im Leben eben schwierig sind, bequem für mich zusammenfasst – und auch Sachen, die größer als das Leben sind.

Heißt das, dass „Ramona“ eine Metapher für die eigenen Empfindungen ist – und somit mehr als eine bloße Rolle?

Grace: Ja, denn man kann ja die Welt um sich herum ja nicht aus der Position einer anderen Person heraus verstehen. Wenn man aus der Perspektive eines anderen Charakters schreibt, wird man automatisch immer auf die eigenen Erlebnisse zurückgeworfen. 

Musik als Therapieform

Geht es dabei dann vielleicht auch um therapeutische Aspekte – also darum, mit der eigenen Musik Seelenforschung betreiben zu wollen?

Grace: Ja, ich denke jeder, der sagt, er tue das nicht, lügt. Natürlich erschafft man Dinge, um das Leben bewältigen zu können – ob man das nun realisiert oder nicht. Alles, was wir Künstler erschaffen, dient dazu, mit dem Leben als solchem umgehen zu können.

Kennst Du Dich denn heutzutage selber besser als zu Beginn des „Ramona“-Projektes?

Grace: Auf gewisse Weise ja – aber auf andere Weise gewiss nicht. Ich würde sagen, dass ich heute zumindest besser weiß, wer ich sein möchte – sowohl als ich selbst, wie auch als Musikerin. Ich weiß heute, dass ich besser werden möchte und in welcher Weise ich als Musikerin wachsen möchte. Ich freue mich auch darauf, Sachen auszuprobieren die vielleicht gar nicht funktionieren könnten – einfach weil mir das hilft über mich hinauszuwachsen. Ich weiß also immer noch gar nicht so viel über mich selbst – aber ich bin zumindest gewillt, mehr über mich herauszufinden.

Ermächtigung durch Gesang

Das bringt uns zu einem interessanten Punkt: Denn wenn man mehr über sich selbst herausfindet, führt das doch gewiss zu einem stärkeren Selbstbewusstsein. Zumindest gesanglich scheinst Du dieses Ziel anzustreben, denn emotionaler, kraftvoller und intensiver hast Du Dich – zumindest auf der Konserve – bislang noch nicht präsentiert.

Geht es auf diesem Album also auch um das Thema Empowerment?

Grace: Ja, da stimme ich zu. Ich denke, dass die Art in der ich mich am besten selbst ermächtigen kann, der Gesang ist, denn das ist etwas, von dem ich weiß, dass ich es tun kann.

Kommen wir mal zur musikalischen Seite.  Es fällt zum Beispiel auf, dass das neue Material vollkommen anders – und fern des üblichen Strophe/Refrain-Schemas – strukturiert sind, als der Rest von Graces Oeuvre.

Grace Cummings sagt nicht allzu oft „nein“

Welchen Ansatz verfolgtest Du musikalisch, als Du mit Jonathan Wilson ins Studio ging?

Grace: Solche Sachen entwickeln sich für mich immer sehr langsam. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals hinsetze und mir sage: ‚So – ich arbeite jetzt von früh bis spät an diesem und jenen und möchte, dass es so oder so wird‘. Es passiert bei mir immer ein wenig ungeplanter. Aber ich denke, dass der Ansatz der war, mich nicht in eine bestimmte Ecke drängen zu lassen, wie ich das zuvor getan hatte – ob ich das nun realisierte oder nicht. Ich wollte etwas darstellen, von dem ich dachte, dass es gut sein könnte. Ich erlaubte mir einfach zu schreiben, wie ich fühlte. Auf der Scheibe habe ich verschiedene Genres und Stile ausprobiert und verfügte so über eine große Bandbreite an Farben. Ich denke aber, dass das jetzt keine sehr gute Antwort auf die Frage nach meinem Ansatz ist. Ich würde sagen, dass der Ansatz der war, mir zu erlauben ich selbst zu sein – und nicht allzu oft ’nein‘ zu sagen, sondern ‚ja‘ zu mehr Sachen. Es macht den ganzen Prozess dann auch sehr unterhaltsam, wenn Du zu allem ‚ja‘ sagst, denn man kann später ja immer noch ’nein‘ sagen.

Bereit zum Risiko

Das heißt dann doch sicher, dass es Dir darum ging, auch mal Risiken einzugehen und neue Wege zu erforschen?

Grace: Ja gewiss. Wenn alles immer schon sicher ist, dann geht man ja keine Risiken ein. Es wird dann auch alles schnell ziemlich langweilig. Ich stelle immer sicher, dass die Sachen, die ich mir selbst anhöre, etwas unterschiedlich sind. Ich möchte nicht die Person sein, die immer nur dieselbe Art von Zeug mag. Man absorbiert schließlich viel von der Welt, was man dann in seinem Inneren hin und her dreht, bis man selber etwas produzieren kann. Wenn man dann immer wieder nur das gleiche absorbiert, kann man selber auch nichts unterschiedliches produzieren. Ich versuche immer mich selbst dadurch zu motivieren, dass ich die Welt, die Musik, die Kunst und die Menschen aus allen möglichen Richtungen und Orten betrachte und studiere.

Das führt dann vermutlich ja auch dazu, dass die neuen Songs einen geradezu filmischen Charakter annehmen, oder?

Grace: Ja sicher – schließlich kann überhaupt so alles Mögliche inspirierend sein. Seien es Gemälde oder Filme oder der Ozean oder eine Kraft oder ein Stück Musik. Eigentlich alles.    

Wie lief denn die faktische Zusammenarbeit mit Jonathan Wilson ab? 

Grace: Jonathan hat zwar definitiv seinen eigenen Sound – und den kann man gewiss auch auf der Scheibe hören. Aber er ist auch niemand, der einem diesen Sound aufdrängen würde. Ich denke, wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Wir genossen die Gesellschaft des Anderen und haben dieselben Ansichten über Kunst und Musik geteilt. Es ist einfach mit jemandem zu arbeiten, wenn man sich so ähnlich ist. Wir haben immer beide verstanden, worum es ging und was für uns wichtig war.

Gefühle sind wichtig für Grace Cummings

Und was war wichtig? Was zeichnet einen guten Song für Dich aus?

Grace: Ein guter Song muss Dich etwas fühlen lassen. Ganz egal was – eine Emotion etwa, oder aber, dass Du einfach tanzen möchtest. Einen Song sollte man nicht schreiben, damit er analysiert wird oder damit er cool ist oder Erwartungshaltungen bedient. Ein Song sollte Dich etwas fühlen lassen und Dich aus Deiner Welt zumindest für einen Moment heraus reißen.

Das Album „Ramona“ erscheint am 05.04.2024. (Review folgt) auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label ATO Records. Im Anschluss daran wird es auch einige Live-Shows im deutschsprachigen Raum geben. (Beitragsbild von Tajette O’Halloran)

Weitere Informationen sind auf der Bandcampseite der Künstlerin erhältlich.

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