Pearlfishers-Mastermind David Scott im Interview

David Scott credit Werner Herpell

Ein Musikjahr mit neuem Album von David Scotts Pearlfishers ist immer ein gutes. Über die wunderbare Comeback-Platte „Making Tapes For Girls“ sprachen wir mit dem Schotten in Glasgow.

Interview und Fotos von Werner Herpell

Wohl niemand propagiert das Schöne und Gute und Zeitlose im Pop so beharrlich wie David Scott, Mastermind des schottischen Bandprojekts The Pearlfishers. Etliche brillante Alben voller Sixties- und Seventies-Bezüge, mit offenkundiger Liebe zu The Beatles, The Beach Boys, Burt Bacharach und Prefab Sprout, hat der Sänger und Multiinstrumentalist seit dem Pearlfishers-Debüt beim Sophisticated-Pop-Label Marina („The Strange Underworld Of The Tall Poppies“ von 1997) herausgebracht. Nach „Love & Other Hopeless Things“ (2019) musste man um The Pearlfishers Sorge haben, weil die Hamburger Plattenfirma von Frank Lähnemann und Stefan Kassel zumindest bei Neuveröffentlichungen dichtzumachen schien.

Zum Glück zurück bei Marina

Doch nun sind beide wieder da – Scotts aktuelles Großwerk mit dem herrlich nostalgischen Titel „Making Tapes For Girls“ erscheint wie gewohnt bei Marina (VÖ 24.05.2024). Wir haben mit dem 59-Jährigen im Glasgower Kult-Recordstore Monorail gesprochen – über das unverhoffte Comeback seiner Band, Schottlands oft unterschätzte Indiepop-Metropole, die Karriere als Kritiker-Liebling mit kleinem, aber feinem Fan-Publikum, sein qualitätvolles Songwriting im Stil der ganz Großen. Und den Zauber von Mix-Tapes hat David uns auch gleich noch erklärt.

Hi David, es ist mir eine große Freude, dich hier zu treffen, für ein Interview in deiner Heimatstadt Glasgow. Denn du bist einer der schottischen Künstler, die ich am meisten bewundere und deren Alben ich von Anfang an gesammelt habe. Du hattest schon vorher eine Karriere, ich weiß, aber das Pearlfishers-Debüt von 1997 bei Marina war meine erste Platte von dir. Ich habe es geliebt. Und ich habe die Pearlfishers-Platten von da an immer geliebt. Jetzt ist das neue Album eines, das ich gar nicht mehr erwartet habe – denn dein Label schien geschlossen zu sein. Ich habe sogar einen Nachruf dafür geschrieben – und nun kommt eine neue Pearlfishers-Platte bei Marina heraus. Was ist da passiert?

David Scott: Nun, Marina sagte, sie würden schließen. Sie wollten „Love & Other Hopeless Things“ machen, meine Platte für 2019, und dann die Marina-Compilation „Goosebumps“. „Love & Other Hopeless Things“ war aber noch nicht fertig, also brachten sie erst „Goosebumps“ heraus und dann „Love & Other Hopeless Things“. Sie machten einfach weiter Platten und konzentrierten sich hauptsächlich auf Wiederveröffentlichungen. So sind jetzt alle Pearlfishers-Platten auf Vinyl erschienen, die meisten davon auf Doppel-Vinyl mit zusätzlichen Tracks. Das war ein schönes Projekt. Es war damals entweder das Musikmagazin „Shindig!“ oder eine Tageszeitung, die mich zur Schließung von Marina befragten, und ich sagte: Sie werden niemals schließen, auch wenn sie es sagen, denn sie sind Vinyl-Junkies. Sowohl Stefan als auch Frank sind sehr in Musik vernarrt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie nicht dabei sein wollten. Also habe ich viele der Songs fertiggestellt…

„Lass uns das zusammen machen“

Die neuen Songs?

David Scott: … ja, neue Songs. Und ich teilte sie mit Stefan, so wie ich es immer getan habe. Er sagte: Lass uns das zusammen machen. Genau so kam es dann.

Marina hat also „eine Ausnahme von der Regel“ gemacht, wie wir in Deutschland sagen.

David Scott: Ja. Und ich glaube, diese Regel war wie … wie hieß noch das Zitat von Mark Twain? „Die Gerüchte über meinen Tod sind stark übertrieben.“ (lacht)

Mein Nachruf auf Marina war also auch verfrüht. Und das ist eine sehr gute Sache.

David Scott: Genau.

Weißt du, ich habe mit meiner letzten Pearlfishers-Kritik 2019 einen Liebesbrief an dieses Label verbunden. Und da gefragt: Wo werden all diese Qualitäts-Popsongs und Qualitäts-Platten nun veröffentlicht? Jetzt haben wir also deine neue Platte, und das ist eine richtig tolle Sache.

David Scott: Danke, Werner. Auch für mich gibt es eine starke Verbindung zu Marina. Als ich zum ersten Mal von ihnen hörte, fand ein Konzert in Glasgow statt. Ich glaube, das war 1995 oder so, mit Cowboy Mouth und The Bathers und vielleicht noch einer anderen Band. Ich dachte eigentlich, dass meine Band nicht cool genug wäre, um bei Marina zu sein. Als sie wollten, dass ich dabei bin, war das ein sehr guter Moment.

David Scott by Werner Herpell

Hauptstadt des schottischen Pop

Bevor wir dein neues Album besprechen, möchte ich mit dir – weil ich nun gerade hier bin – über Glasgow als Musikmetropole reden, als Stadt voller großartiger Musiker wie dir. Ich hatte einige Tage Zeit, um hier herumzuschlendern und auch die „Glasgow Music Tour“ zu machen. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst, dass Glasgow die Hauptstadt des schottischen Pop ist, vielleicht sogar eine der Hauptstädte des britischen Pop. Worin liegt also die Magie dieses Ortes, dieser Stadt, dass sie einen solchen Einfluss ausüben kann?

David Scott: Das ist eine Frage, über die ich auch schon viel nachgedacht habe. Ich glaube nicht, dass es nur eine Antwort gibt…

Wir haben genug Zeit.

David Scott: … wenn man sich so umschaut, kann man feststellen, dass es eine Ähnlichkeit zwischen Glasgow und Hamburg gibt. Es gibt Gegenden in Hamburg, die sich sehr wie Glasgow anfühlen, denke ich. Dasselbe gilt für Liverpool, Belfast, Manchester und Dublin. Alles großartige Musikstädte. Das hat zum Teil mit der Atmosphäre des Ortes zu tun. Es gibt dort einen Reichtum an Architektur, einen Reichtum an Geschichte. Ein Teil dieser Geschichte ist durchaus problematisch.

Gibt es eine besondere Rauheit in all diesen Städten?

David Scott: Vielleicht, ja. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass es sich um Städte handelt, aus denen die Menschen weggehen und wieder zurückkommen. Diese Städte haben etwas an sich, das Selbstständigkeit fördert. Vielleicht trägt das dazu bei, dass die Künstler sehr aktiv sind und viel selbst machen. Wenn man sich die Geschichte der Glasgower Musik anschaut, waren die meisten der wirklich wichtigen Bewegungen unabhängige Bewegungen. Ob es nun das Label Postcard ist oder andere, die von Musikern außerhalb des Major-Label-Kontexts ins Leben gerufen wurden. Und ich denke, das ist vielleicht eines der Merkmale von Musikstädten, in denen sich Menschen zusammenfinden, also Gleichgesinnte, die etwas bewegen wollen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Achse BMX Bandits/Teenage Fanclub – viele von uns waren in diesen Bands und haben dort zusammen an Musik gearbeitet. Ich war jahrelang. mit Unterbrechungen, bei BMX Bandits. Da gibt es ein Gemeinschaftsgefühl. Ich werde später in diesem Jahr 60. Wir alle haben also seit 40 Jahren eine herzliche Verbindung – sowohl eine persönliche als auch eine musikalische.

David Scotts Leuchtturm-Alben aus Glasgow

Du wirst bald 60, James Grant von Friends Again und Love & Money aus Glasgow zum Beispiel wird auch 60. Dies ist die Generation der jungen Musiker aus den 80er-Jahren, jetzt sind sie gereifte Musiker und machen immer wieder tolle Musik. Wenn du drei Glasgower Platten empfehlen solltest – welche wären das dann?

David Scott: Ich würde sagen: „Songs From Northern Britain“ von Teenage Fanclub. Das ist ihre beste Platte, auf der viele Glasgower Einflüsse zusammenkommen. Dann das erste Bert-Jansch-Album – auch wenn er kein Glasgower war, aber vieles von dem, was er gemacht hat, wurde in Glasgow begründet. Und das dritte? Die Platte von Friends Again von 1984, eines meiner Lieblingsalben, mit Chris Thomson.

Gibt es denn eine spezielle Musikszene in Glasgow, auf die du dich verlassen kannst, wenn du deine Platten machst? Einige Namen tauchen auf euren Alben immer wieder auf. Ist das quasi deine Band?

David Scott: Oh ja. Jamie Gash, der Schlagzeug spielt und singt. Dee Bahl am Bass. Gabriel Telerman, obwohl der jetzt nicht auf der neuesten Platte dabei war. Stuart Kidd, Becky Wallace. Das ist die Kern-Band. Die Leute, die ich für die Streicher und die Bläser nehme, sind auch immer die gleichen. Das ist also eine ziemlich große musikalische Familie.

Ich denke, es muss ja auch so sein, wenn man kein Riesenbudget hat. Man kann dann nicht nach London oder Manchester fahren und sich dort Musiker aussuchen – man muss sich auf Freunde verlassen, auf diese musikalische Familie in Glasgow.

David Scott: Ganz genau.

Ein Sound, der „so richtig groß“ klingt

Deine neue Platte klingt so prachtvoll und opulent wie immer. Man kommt nicht darauf, dass es sich um kein großes Studioalbum aus Los Angeles oder so handelt.

David Scott: Es gibt eine Menge guter Studios auch in Glasgow. Für dieses Album habe ich in einem kleinen Studio namens La Chunky aufgenommen, mit tollen analogen Vintage-Geräten. Die Streicher habe ich an einem Ort namens Chem 19 eingespielt, damit es so richtig groß klingt. Einiges habe ich auch zu Hause aufgenommen, und einiges an der Universität in Ayr an der Westküste Schottlands.

Du bist ein Kritikerliebling, ein bisschen auch ein Kult-Songwriter. Die Reviews zu deinen Alben sind immer hervorragend. Bist du es nicht leid, dass das keine „Hit-Platten“ sind?

David Scott: Ach nein, ich habe schon vor vielen Jahren aufgehört, darüber nachzudenken. Ich habe ein Publikum für meine Musik, die Leute lieben sie. Ja, ich würde gerne weitere 50 000 Platten verkaufen. Das ist mir aber eben nicht gelungen. Doch ich weiß, dass meine Musik einen Einfluss auf die Leute hat. Ja… das bedeutet mir viel, das tut mir gut.

Ja, du scheinst wirklich ein glücklicher Mann zu sein… Also, lass uns jetzt über den Albumtitel sprechen. Vielleicht kennen nicht alle jüngeren Leute der Spotify-Playlist-Generation dieses Phänomen. Also, erkläre uns bitte: Was ist „Making Tapes For Girls“?

David Scott: Es geht hier um die Kultur der Mix-Tapes. Etwas, das übrigens auf die Spotify-Generation übergegangen zu sein scheint. Man stellt seine Lieblingsmusik, die einem etwas bedeutet, als Compilation zusammen. Um diese dann zu verschenken – entweder einfach nur, um zu sagen: Ich glaube, das wird dir gefallen, oder: Das ist es, was ich über dich denke. (lacht) Es ist also nicht allein so eine romantische Sache. Als ich den Titel „Making Tapes For Girls“ fand, war ich als fast 60-jähriger Mann ein bisschen besorgt…

Ein Lied über das Erlernen von Beziehungen

David Scott von Werner Herpell

Ich ahne, was du meinst. Meine Tochter würde sagen: Papa, du bist zu alt für sowas. Andererseits: Bob Dylan ist 83, und er schreibt und singt ja auch noch über die Liebe. Warum also nicht?

David Scott: Genau. Und die andere Sache ist: Das Lied selbst ist eines über Musik und junge Menschen. Der Song handelt also nicht aktuell von „Do you wanna be my girlfriend?“. Es ist ein Song, der sich damit beschäftigt, wie man Beziehungen erlernt. Um aus dem Text des Liedes zu zitieren: „Musik zu teilen / ist einen Sinn zu teilen“.

Es gibt einige Vorbilder, die ich aus deiner Musik immer wieder heraushöre, obwohl deine Songs natürlich absolut einzigartig und originell sind. Da wären Paul McCartney und Brian Wilson und Paddy McAloon von Prefab Sprout und Burt Bacharach und Jimmy Webb, vielleicht noch einige mehr. Stimmst du zu, wenn jemand sagt: David Scott ist ein Retro-Pop-Songwriter, ein Songwriter für ambitionierte, edle Popmusik?

David Scott: Dem kann ich kaum widersprechen. Ich liebe ja alle diese Künstler. Paddy McAloon zum Beispiel hatte einen großen Einfluss auf mich als Songwriter, auf die Art und Weise, wie ich Texte konstruiere. „The Word Evangeline“ vom neuen Album ist ein gutes Beispiel dafür. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ich versuche, McAloon oder McCartney oder Joni Mitchell oder Bobby Gentry zu sein. Es geht eher darum, sich deren Niveau und Schönheit anzueignen oder zumindest darüber nachzudenken. Eines meiner großen Vorbilder ist auch Green Gartside von Scritti Politti. „The Word Evangeline“ hat etwas von seinem „The Word Girl“, das ich so liebte, als es herauskam (1985), einfach weil das ein so intelligenter Popsong war und in gewisser Weise auch einer über Popsongs. Das Lied war clever, aber es hatte trotzdem Herz und Seele.

Es sollte um etwas Universelles gehen

Also, David, wer ist diese mysteriöse „Sweet Jenny Bluebelle“ aus deinem letzten Song des neuen Albums?

David Scott: Meine Enkelin. Denn, Werner, die meisten meiner Songs sind entweder autobiografisch, oder es geht um ganz bestimmte Dinge, die darin auftauchen. Wenn ich einen Song wie „Sweet Jenny Bluebelle“ schreibe, über meine Enkelin – dazu könnte man natürlich sagen: Wozu überhaupt, wen interessiert’s? Was man dann als Songwriter tun muss, ist: Okay, da kommt das Lied her, davon handelt es – aber was braucht es nun, um daraus was Universelles zu machen, um es für andere Menschen zugänglich zu machen? Das ist die große Frage für einen Songwriter: Hat das Lied einen Zweck, der darüber hinausgeht?

Würdest du einige Schlüssel-Tracks der neuen Platte nennen – Songs, die am meisten über dich und deine Entwicklung erzählen?

David Scott: Der Titelsong – wir hatten darüber gesprochen. Dann „The Wild Lives“, vom Standpunkt der Produktion aus gesehen. Der andere Song, der ganz am Ende kam und den ich wirklich liebe, ist „Yellow & The Lovehearts“.

Klingt wie der Name einer fiktiven Band.

David Scott: Ja, es ist eine fiktive Band. Der Songtitel stammt von meiner Enkelin… Das wären also drei. Und wenn ich noch einen hinzufügen dürfte, wäre es „Hold Out For A Mystic“.

Aber es sind natürlich insgesamt zwölf tolle Songs auf der Platte. Man sollte sie sich als Ganzes anhören.

David Scott: Genau, das wäre super.

The Pearlfishers machen „das Beste daraus“

„Making Tapes For Girls“ ist, zumindest in meinen Ohren, eine zutiefst bewegende, eine zutiefst nostalgische Platte. Kommt das mit dem Alter? Oder hast du das schon immer so gemacht?

David Scott: Als Songschreiber bin ich ein ziemlich nostalgischer Mensch. Wenn man älter wird, bekommt man eine klarere Perspektive auf seine Kindheit, auf seine Vergangenheit. Das Altern bringt viele Dinge mit sich, eines davon ist: Wir werden nicht ewig hier sein. Und ein Teil davon wiederum ist, dass wir das Beste daraus machen müssen. Das kann oder sollte ein Songwriting durchdringen.

Vielen Dank für dieses Interview, David!

David Scott: Es war schön, dich kennenzulernen, Werner!

Das Album „Making Tapes For Girls“ von The Pearlfishers erscheint am 24.05.2024 bei Marina Records. Eine ausführliche Album-Review folgt.

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