Jerry Leger live in Berlin 2023

Jerry Leger Live Berlin 2023 Loophole by Werner Herpell Sounds & Books

Sein neues Album „Donlands“ ist bereits wieder ein Kritiker-Hit. Als Livemusiker wählt Jerry Leger in Berlin indes einen bescheidenen Rahmen. Wer ihn dort sieht, ist jedoch begeistert.

von Werner Herpell

Es ist eine reichlich unglamouröse Location, die Jerry Leger für seine Rückkehr nach Berlin ausgesucht hat. Das Neuköllner Loophole mit seinem winzigen Konzertraum würde eher zu einer noch unbekannten Punk-Band passen als zu einem aufstrebenden kanadischen Singer-Songwriter, der für seine prächtige Mischung aus Seventies-Folkpop, Heartland-Rock und Americana landauf-landab gefeiert wird – und deshalb womöglich ein größeres Publikum finden könnte als an diesem herbstlichen Abend des 07.11.2023.

Hochsympathisch und hochprofessionell

Aber nein, Leger fühlt sich wohl hier, lobt den von rund 50 (allerdings sehr beeindruckten) Leutchen frequentierten Club – und spielt sein 70-minütiges Konzert so motiviert, als wenn er vor Tausenden Menschen aufträte. Hochsympathisch und hochprofessionell, der Mann. Toll ist auch, dass der 38-jährige Sänger und Gitarrist aus Toronto Fans seines neuen, bisher besten Albums „Donlands“ nicht lange warten lässt und dessen Lieder komplett in einem Rutsch präsentiert.

Leger ist zu Recht stolz auf diese fantastisch produzierte Platte, die er mit seiner Live-Band The Situation eingespielt hat – deshalb räumt er ihr viel Platz in der Berliner Setlist frei. Das soulige „Three Hours Ahead Of Midnight“ (vom Frontmann als „a hit“ angekündigt, obwohl solche klassischen Popsongs doch zuletzt vor rund 50 Jahren Hits werden durften) und die wunderschöne Ballade „The Flower And The Dirt“ ragen heraus, später gehen „Wounded Wing“, „I Need Love“ und der Album-Closer „Slow Night In Nowhere Town“ besonders ans Gemüt.

Eine perfekt funktionierende Live-Band

Jerry Leger ist dabei stets ein begeisterungsfähiger Bandleader, dessen fröhliche Performance der Melancholie seiner Texte und Melodien ein wenig widerspricht. Auf seine Mitstreiter kann er sich hundertprozentig verlassen, sie sind – wie auch der überraschend klare Sound in dem engen Raum – erstklassig: Keyboarder Alan Zemaitis an E-Piano und Hammond-Orgel, Dan Mock am Bass, Kyle Sullivan an den Drums. Dass drei der vier Musiker von Jerry Leger & The Situation schon auf der 2013er Live-Platte aus der „Horseshoe Tavern“ in Toronto zusammenspielten, merkt man – das Verständnis untereinander und die Abstimmung funktionieren perfekt.

Mit Stücken aus dem vorletzten, von Michael Timmins (Cowboy Junkies) produzierten Durchbruch-Album „Nothing Pressing“ (2022) und noch älterem Material geht der „Loophole“-Gig auf die Zielgerade. Im Zugabenteil umgarnt Jerry Leger einige offenkundig aus seiner Heimatstadt Toronto stammende Fans, spielt „Factory Made“  und den augenzwinkernd als Ballade angekündigten Uptempo-Song „The Big Smoke Blues“. Mit einem Cover endet dieses starke Konzert – nicht wie erhofft ein Joni-Mitchell-Tribute am 80. Geburtstag der kanadischen Songwriterinnen-Ikone, aber immerhin „Jealous Guy“ von John Lennon. Auch dies ein würdiger Rausschmeißer.

Jerry Leger: Einer für die Langstrecke

„Als ich die Musik von Jerry Leger 2019 entdeckte, war relativ klar, dass es sich um eine langjährige Freundschaft handeln würde“, schrieb unser Sounds & Books-Chefredakteur Gérard Otremba kürzlich zum Erscheinen von „Donlands“. Der Verfasser dieser Live-Review kann das spätestens jetzt voll unterschreiben. Wer zeitlose Singer-Songwriter-Musik mit Einflüssen von Roy Orbison, Bob Dylan, Jackson Browne und Tom Petty mag, kann sich Jerry Leger bestimmt noch lange anvertrauen. Ein Künstler für die Langstrecke – demnächst dann wohl in größeren Clubs.

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