„Gute Gesundheit!“: Bill Ryder-Jones im Interview

Bill Ryder-Jones credit Marieke Macklon

„Iechyd Da“, das neue Album von Bill Ryder-Jones, ist hinreißend schön. S&B sprach mit dem Indiepop-Singer-Songwriter aus der Mersey-Region bei Liverpool.

von Werner Herpell

Als Teenager (mit 15!) gründete er die Psychedelic-Folkrock-Truppe The Coral, spielte dort die Leadgitarre – und verließ die Band 2008, als es mit ihrem Erfolg so richtig losging. Ein orchestrales, fast ausschließlich instrumentales Album nach einem Roman von Italo Calvino („If…“) folgte schon 2009 und wies Bill Ryder-Jones endgültig als Hochbegabten der englischen Indie-Szene aus. Diesen hervorragenden Ruf hat der inzwischen 40-Jährige auch mit seinen folgenden Soloalben, die mehr in Richtung Singer-Songwriter-Musik, Piano-Pop und Brit-Folk gingen, nie eingebüßt. Besonders gelungen war „A Bad Wind Blows In My Heart“ von 2013, dessen Klasse Ryder-Jones nun sogar noch toppt.

„Iechyd Da“ – eine grandiose Mixtur

Das walisisch betitelte „Iechyd Da“ (VÖ 12.01.2024) ist eines der frühesten Alben des Jahres, und es könnte am Ende durchaus noch zu den besten zählen: eine grandiose, vor Ideen überquellende Mixtur aus üppigem Sixties-Pop, feinen Psychedelia-Sounds, zartem Folk und der typischen hochmelodischen Mersey-Rockmusik aus Ryder-Jones‘ Heimatregion Liverpool. Wir hatten Gelegenheit, mit dem Sänger, Gitarristen, Pianisten und Produzenten (zuletzt für den UK-Kritikerliebling Michael Head, eine veritable Liverpooler Indiepop-Ikone) in Berlin zu sprechen.

Hallo Bill, vielen Dank für die Möglichkeit dieses Interviews. Ich bin besonders glücklich darüber, weil derzeit viele Leute mit dir

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sprechen wollen – über dein neues Album, das schon überall euphorisch besprochen wird.

Bill Ryder-Jones: Ja, es wird schon ein bisschen mehr als früher. Und ich war bisher auch noch nie in Berlin auf Promo-Tour – weil es sich einfach nicht lohnte. Also das ist alles ganz großartig derzeit.

Eine farbliche Verbindung

Lass uns zuerst mal gemeinsam auf das Cover des neuen Albums schauen. Es gibt da Verbindungen zwischen „Iechyd Da“ und „A Bad Wind Blows In My Heart“, deiner Platte von 2013. Die Farben des Cover-Artworks sind recht ähnlich: gelb, pink, blau und rot. Wolltest du so gleich deutlich machen, dass das neue Album in den Fußstapfen deines bisher besten Werks steht?

Bill Ryder-Jones: Nein, ich mochte einfach das Cover-Artwork von „A Bad Wind…“, seine Farben. Und das ist auch der Grund, warum ich das neue Artwork aussuchte. Es ging nur um die Farben.

Ganz nebenbei – danke, Bill, dass du mich mit meinen ersten walisischen Worten bekannt gemacht hast durch die Titel des Albums und eines Songs. „Iechyd Da“ heißt doch wohl so viel wie „Cheers!“. Und „Nos Da“ in etwa „Gute Nacht!“, oder?

Bill Ryder-Jones: Ja, „Iechyd Da“ heißt eigentlich auf Walisisch so viel wie „Gute Gesundheit!“, was aber zu „Cheers!“ umfunktioniert werden kann. Und „Nos Da“, ja, das bedeutet „Gute Nacht!“.

Warum hast du diese walisischen Titel für das Album und einen Song gewählt? Was verbindet dich mit Wales und der walisischen Sprache?

Bill Ryder-Jones: Also das ist ziemlich leicht zu beantworten – es gibt eine familiäre Verbindung. Mein Großvater kam von Wales nach England, von der Seite her bin ich Waliser. Schau mal in das Vinyl und die CD – wenn du die öffnest, siehst du ein Foto von mir, und das Gewässer dort ist die See (in Wales), da fuhren wir als Kinder in den Ferien hin. Zudem war ich immer fasziniert von der Sprache. Und dann ist da auch noch meine Liebe zu walisischen Bands wie Gorky’s (Zygotic Mync) und Super Furry Animals. Und auch zum Schriftsteller Dylan Thomas.

Ein Drink auf Walisisch

Sprichst Du denn selbst Walisisch?

Bill Ryder-Jones: Ich kann es lesen, aber keine Konversation führen. Immerhin werde ich besser, ich kann mich inzwischen auf Walisisch vorstellen und sagen: „Ich bin müde“ oder „Ich hätte gern einen Drink“ (lacht).

Du scheinst auch zu Schottland eine besondere Beziehung zu haben. Das Cover-Artwork von „Iechyd Da“ zeigt vornedrauf die kleine schottische Küstenstadt Crail. Ich war selbst dort im vorigen August, es ist sehr schön dort. Was bedeutet dir diese Region?

Bill Ryder-Jones: Also ich war selbst noch nie da oben in Crail. Ich war aber schon oft in Schottland, habe eine Zeitlang in Edinburgh gelebt, und ich habe Familienangehörige auf den Hebriden-Inseln, wo ich als Kind öfter zu Besuch war. Das Foto von Crail habe ich auf Instagram entdeckt und gleich gesagt: Wow, das will ich für mein Album haben. Ich wusste erstmal gar nicht so genau warum – vermutlich aus den Gründen, die du genannt hast, die Verbindung zu „A Bad Wind…“ mit der ähnlichen Farbpalette. Demnach war das ein rein visuelles Ding, nach dem Motto „Ich mag den Anblick“.

Keine „sichere“ Platte von Bill Ryder-Jones

Lass uns jetzt über die Musik des neuen Albums reden. Ein mächtig orchestrierter Cinemascope-Indiepop, erinnert mich an die Sixties und Seventies, etwa an The Zombies, oder auch tolle Musik der Eighties wie Echo & The Bunnymen oder The Pale Fountains. Würdest du mir zustimmen, dass dies dein bisher ambitioniertestes Album ist?

Bill Ryder-Jones: Hmmm, wie bemisst man „ambitioniert“? Aber ja, es war eine ganz bewusste Entscheidung, mich herauszufordern. Ich wollte keine „sichere“ Platte machen. Also ist es sicher das Ambitionierteste, das ich seit langer langer Zeit getan habe. 

Das britische „Mojo“-Magazin hat dein neues Album als „big-sky music for introverts“ bezeichnet. Also Musik, die zum Himmel strebt, aber auch für introvertierte Menschen gemacht ist. Okay für Dich?

Bill Ryder-Jones: Das ist doch eine nette Bezeichnung, oder? „Big-sky music for introverts“… ja, mag ich.

Du hast kürzlich eine „Iechyd Da inspiration playlist“ auf Spotify zusammengestellt. Super Idee. Du scheinst nicht so sehr wie andere Musiker davor zurückzuscheuen, deine Einflüsse zu benennen und deine Inspirationen zu erwähnen.

Bill Ryder-Jones: Überhaupt nicht. Wobei ich natürlich weiß, was in dieser Hinsicht richtig ist und was falsch. Ich tue da also auch nichts Unangemessenes.

Nach meiner Meinung fühlt sich „Iechyd Da“ wie ein echtes Album an – 13 Songs, die man als Ganzes hören sollte.

Bill Ryder-Jones: Das ist nett, danke dir.

„Mit all diesen Songs ziemlich einverstanden“

Aber gibt es nicht doch einige Schlüsselsongs – Lieder, auf die du besonders stolz bist?

Bill Ryder-Jones: Ja, ich liebe „…And The Sea…“. wirklich sehr. Allein deshalb, weil der Song etwas Besonderes war, und weil er echt Spaß machte. Auf „I Hold Something In My Hand“ bin ich auch besonders stolz. Aber es ist schwer, da jetzt etwas rauszupicken. Vielleicht noch „I Know That It’s Like This (Baby)“… Weiß nicht. Irgendwie bin ich mit all diesen Songs ziemlich einverstanden.

Ich habe gelesen, dass du immer zum Topniveau deines zweiten Albums „A Bad Wind Blows In My Heart“ zurückkehren wolltest. Du sagtest kürzlich selbst, dass das mit der dritten und vierten Platte nicht gelungen sei. Wie stehst du nun zu „Iechyd Da“, wo dieses Album fertig ist? Hast du erreicht, was du angestrebt hast?

Bill Ryder-Jones: Ja, ich habe das Gefühl, es erreicht zu haben. Wie du sagtest, ist „Iechyd Da“ mächtig orchestriert, es gibt viele Ideen, viele gute Überlegungen, eine Menge neue Aufnahmeansätze, veränderte Versionen von Songs, damit es zu dieser Platte passte. Deswegen bin ich wohl auch besonders stolz auf das Album.

Von Christina zu Christinha

Es gibt sogar eine Art „reprise song“ auf dem neuen Album: „A Bad Wind Blows In My Heart Pt 3“. Eine weitere Verbindung zu deiner zweiten Platte von vor elf Jahren?

Bill Ryder-Jones: Ja, ich hatte wirklich vor, die beiden Alben miteinander zu verknüpfen. Also hielt ich Ausschau nach einem Lied, das ich „A Bad Wind Blows In My Heart“ nennen konnte. Ähnliches gilt übrigens für meinen neuen Song „Christinha“. Das ist ein Mädchenname, den ich auch schon für „A Bad Wind…“ benutzt habe (im Song „Christina That’s The Saddest Thing“).

Es gibt also sichtbare und hörbare Verknüpfungen zwischen beiden Platten. Dann lass uns jetzt mal über die Texte von „Iechyd Da“ reden. Die sind sehr ehrlich, intim, den Hörer berührend. Was hat dich dazu inspiriert? Dein derzeitiger seelischer Zustand, deine künstlerische Entwicklung, deine Entwicklung als Mensch?

Bill Ryder-Jones: Es dürfte all das gewesen sein. Ich meine, die Texte schreibe ich aber letztlich so, dass sie der Melodie dienen. Wenn die Musik harmonisch gut ist, dann würde ich in diesem Rahmen die Melodie nicht für die Lyrics ändern. Das ist die Grenze für das, was ich zu sagen habe. Eine Melodie gibt also vor, welche Worte ich benutze. Ich verbringe daher nicht so viel Zeit mit den Texten.

Texte aus dem Leben von Bill Ryder-Jones

Du hast recht offen über mentale Probleme und den Verlust deines Bruders früh im Leben gesprochen. Sind auch deine Lieder so persönlich – oder doch eher abstrakt?

Bill Ryder-Jones: Die Songs, die ich schreibe, drehen sich immer um eine Person oder ein Ereignis aus meinem Leben. Ich denke, ich bin gar nicht gut genug, um Lyrics über jemand Anderen zu schreiben (lacht).

Es gibt auf dem Album ein Spoken-Word-Stück: „…And The Sea“. Michael Head, der legendäre Sänger von The Pale Fountains und Shack und jetzt Solo-Künstler mit einer tollen eigenen Band, liest da aus dem „Ulysses“ von James Joyce. War das seine Idee oder Deine? 

Bill Ryder-Jones: Das war natürlich meine Idee – also das ist ja auch mein verdammtes Album (lacht)! Und Michael Head ist einer meiner Freunde geworden – ich werde nie müde das zu betonen. Er war im Studio bei der Arbeit an seinem neuen Album, an einem Montag. Ich hatte bereits die Musik für „…And The Sea…“ am Wochenende davor geschrieben. Es gab eine Reihe wunderbarer Momente… Für mich war das was ganz Besonderes. Das stärkste Zusammenarbeits-Ding seit verdammt vielen Jahren.

„Baby“ haute Bill glatt um

Ein weiteres unerwartetes Feature auf dem Album ist das Gal-Costa-Sample im Opener „I Know That It’s Like This (Baby)“. Was bedeutet dir diese Art von brasilianischer Popmusik der Sixties/Seventies?

Bill Ryder-Jones: Es ist ein einmaliges Ding für mich – weil ich eigentlich nicht sehr von brasilianischer Musik beeinflusst bin. Abgesehen davon, dass sie schön ist und ich gute Musik mag. Mir ging es speziell um dieses Lied „Baby“. Das war ein Lied, das meine Ex-Freundin – um die sich viel dreht auf der neuen Platte – mir vorstellte. Wir beide hatten eine Playlist auf einer sehr bekannten Streaming-Plattform, die ihre Künstler nicht angemessen bezahlt. Wir bastelten also diese gemeinsame Playlist – abwechselnd ich einen Song, sie einen Song. Ein wunderbare Sache, um sich zu verlieben… „Baby“ von der Sängerin Gal Costa war das erste Stück, das sie mir vorstellte. Es hat mich glatt umgehauen, und es wurde unser Lied. Wir trennten uns dann, bevor ich meinen Song „I Know That It’s Like This (Baby)“ fertig hatte. Daher beginnt er ziemlich hoffnungsvoll über zwei verliebte Leute, und dann fällt alles auseinander.

Ist es denn nicht eine traurige Sache für dich, nun immer mit diesem Gal-Costa-Sample in einem Song zu tun zu haben?

Bill Ryder-Jones: Schon. Aber ich habe ja Lieder zu allen möglichen traurigen Sachen. Allerdings war diese Trennung besonders hart. Ich habe wirklich gekämpft, um davon wieder wegzukommen. Es hat zwei oder drei Jahre gedauert, bis ich darüber hinweg war.

Bill Ryder-Jones: Etwas Geld verdienen wäre super

Meine letzte Frage betrifft deine Hoffnungen und Erwartungen für die neue Platte. Es kommen ja wie gesagt schon viele tolle Reviews dazu rein. Könnte das dein großer Durchbruch sein? Wäre doch auch großartig, mal etwas Geld mit einem Album zu verdienen.

Bill Ryder-Jones: Oh, das wäre echt nett. Meine Reviews waren ja schon oft ziemlich gut, aber ich habe halt verdammt nochmal keine Platten verkauft. Die Rezensionen sind diesmal besonders gut, sogar noch besser als vorher – weil das auch ein besseres Album ist. Und ja, mal etwas Geld damit zu verdienen wäre schon super.

Jetzt freue ich mich noch mehr darauf, dich am 25. März in Berlin live zu sehen, Bill. Nochmals vielen Dank für dieses Interview! 

Das Album „Iechyd Da“ von Bill Ryder-Jones ist am 12. Januar bei Domino erschienen.

Konzerttermine Bill Ryder-Jones mit Band im März: 24.03.2024 – Hafenklang, Hamburg; 25.03.2024 – Kantine am Berghain, Berlin

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