Eine hierzulande noch fast unbekannte Sängerin verbindet Brit-Folk-Tradition und Rock-Avantgarde. Das vierte Album von Emma Tricca begeistert.
von Werner Herpell
Von Rom nach London, weiter nach New York und Texas, zurück in die britische Hauptstadt: Die gebürtige Italienerin Emma Tricca hat eine spannende künstlerische Reise hinter sich, die nun in einem tollen, so mystischen wie muskulösen Folkrock-Album kulminiert. Denn auf diesem Weg sind über die Jahre nicht nur ihr Songwriting und ihre Stimme immer weiter gereift – sie hat dabei großartige Musiker aus der US-Alternative-Szene kennengelernt, die nun auch für ihr viertes Album „Aspirin Sun“ (Premiere auf dem stilsicheren englischen Indie-Label Bella Union!) wichtige Beiträge leisten.
Einflüsse von Brit-Folk und dabei sehr eigen
Unter anderem sind erneut Schlagzeuger Steve Shelley von Sonic Youth, Gitarrist Jason Victor von The Dream Syndicate sowie
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der Bassist und Singer-Songwriter Pete Galub in Triccas Band, um die acht teils langen neuen Songs atmosphärisch aufzuladen und auszuschmücken. Doch trotz der Promi-Hilfe steht „Aspirin Sun“ – eine weitere kreative Steigerung nach dem Erfolg des starken Vorgängers „St. Peter“ vor fünf Jahren – ganz im Zeichen dieser geheimnisvollen Musikerin, die Brit-Folk-Einflüsse von Kate Bush über Sandy Denny (Fairport Convention) bis zu Marianne Faithfull und Judy Collins elegant in ihren Sound einwebt und einen markant vibrierenden Dunkle-Fee-Gesang darüber legt.
Wie eine weibliche Version von Nick Drake
In einigen Liedern – besonders „Christodora’s House“ und „Through The Poet’s Eyes“ – meint man einer weiblichen Version des Folk-Jazz-Genies Nick Drake (1948-1974) zu lauschen. Wie Tricca hier die Melancholie des tragischen englischen Singer-Songwriters ins Hier und Jetzt überträgt, ist fern jeder billigen Kopie – und atemberaubend schön. Ebenso faszinierend klingt die ätherisch in Zeitlupe dahinfließende Ballade „Leaves“. In „Rubens‘ House“ schlägt der von Gitarrist Jason Victor eingeführte Psychedelic-Rock-Anteil voll durch, gegen Ende des Stücks wird’s treibend krautrockig – ein fantastischer, wilder Trip über gut zehn Minuten. „Space And Time“ driftet hypnotisch in den Jazz.
Inspiriert wurde dieses bemerkenswert selbstbewusste Album einer bisher zumindest in Deutschland noch unbekannten Musikerin durch einen Todesfall: Im Winter 2018, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des von UK-Kritikern gelobten „St. Peter“, starb Emma Triccas Vater. „Ich denke, der Verlust hat die Stücke sehr beeinflusst“, sagt sie über die folgenden Monate, die im Kern das kommende Album ausmachten.
Emma Tricca neben Lankum – das passt
Licht und Schatten, Vergangenheit und Zukunft, Liebe und Verlust spiegeln sich in den Liedern. „Aspirin Sun“ ist ein zwischen Tradition und Avantgarde pendelndes Album, das sich hervorragend neben dem derzeit bei Kritikern so angesagten Irish-Folk/Drone-Rock-Meisterwerk „False Lankum“ der Dubliner Band Lankum einordnen lässt.
„Aspirin Sun“ von Emma Tricca ist am 07.04.2023 bei Bella Union/PIAS erschienen. (Beitragsbild von Christine Navin)