Angstmachende, aber alles andere als langweilende Klänge auf dem neuen Lankum-Album „False Lankum“
von Michael Thieme
„Go Dig My Grave“ – einer der Songs, der vorab als Single veröffentlicht wurde sowie der Opener des vierten Albums des Quartetts aus Dublin – macht Angst. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir eine Irish-Folk-Band in der Vergangenheit zuvor jemals musikalisch Angst gemacht hätte. Zugegeben, Experte bin ich nicht – und ich meine auch nicht die tonnenweise vorhandenen, tieftraurigen Texte, die von den Großmeistern der Zunft in den letzten Jahrzehnten bis Jahrhunderten offeriert wurden und sonst eher elegisch bis treibend vorgetragen werden. Nein, ich rede von den dargebotenen Klängen. „Go Dig My Grave“ schafft mit akustischen Instrumenten eine Intensität, wie man sie von Brachialbands wie den Swans kennt; ist schleichender, doomiger Lagerfeuer-Black Metal.
Irish-Folk goes Post-Punk
Kein Vergleich zum Liedgut des Debüts „Cold Old Fire“ (ursprünglich noch veröffentlicht unter dem Bandnamen „Lynched“, der irgendwann als
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unangemessen erachtet und verworfen wurde), das ebenso nicht frei war von schaurigen Geschehnissen, jedoch ebenso wenig von einer teilweise enervierenden Performance, die einen häufig eher zum Skippen als zum Verweilen einlud. Schritt für Schritt, Album für Album entwickelten sich die Iren weiter, ihr bisher letztes, „The Livelong Day“ (2019), hinterließ bereits einen äußerst eigenständigen Fußabdruck im Musikgeschehen. Irish Folk goes Post-Punk. Das passt zur gerade grassierenden Welle aus hauptsächlich UK-Bands, die alle was zu sagen haben, was sich inhaltlich nicht schön anhört und dieses in die unterschiedlichsten Sounds packen.
Ungewohntes aus der Folk-Bubble
Solche Inhalte oder Stimmungen in tanzbaren Violin-Exzessen wie „Master Crowley’s“ zu parken klingt, zumindest außerhalb der Irish-Folk-Bubble, ungewohnt und macht das Ganze weit attraktiver als zum gefühlt 1000x alte Pogues-Klamotten aufzuwärmen (die natürlich ebenfalls toll sind!). Zumal, wenn wie innerhalb dieses Stückes ein post-rockiger Einschub das Party-Idyll bedroht, welcher anschließend eine Synthese eingeht mit den traditionelleren Klängen. Bösartig gut. Entspannung mit Fingerpicking gibt es bei „Netta Perseus“, auch hier verzichtet man allerdings nicht auf ein nahendes Katastrophenszenario – diesmal sind es die Streicher, die Ungutes versprechen. „The New York Trader“, ebenso vorab bereits hörbar, schlägt am ehesten noch die Brücke zur Tradition des Genres wie zum eigenen Werk – Storytelling auf Art der Dubliners, das sich in über sieben Minuten konstant steigert, voluminöser wie gleichermaßen softer wird; am Ende jedoch Fiddle-wie Drehleier-Eskapaden mit tiefen Drones unterlegt und auch damit wieder Unheil evoziert.
Nerven Lankum nicht auf Dauer?
Überhaupt, die Länge der Songs: bis auf ein paar kleine Einschübe („Fugen“) bleibt kaum etwas unter der 5-Minuten-Marke, fünf Stücke sind länger als sieben Minuten, das längste ist das finale „Turn“ mit fast 13 Minuten Lauflänge. Langweilt oder nervt das irgendwann mal? Kein Stück, ganz im Gegenteil. Lankum klingen wie zehn Bands in einer und überwältigen mit ihrem vierten Album total. Meisterstück.
„False Lankum“ von Lankum erscheint am 24.03.2023 bei Rough Trade Records/Beggars Group. (Beitragsbild von Sorcha Frances Ryder)