Ein schonungsloser und doch warmherziger Debütroman von Demian Lienhard
In seinem Debütroman „Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat“ geht Demian Lienhard an die Schmerzgrenze des Erträglichen. Seine Ich-Erzählerin und Hauptprotagonisten Alba geht durch die Hölle auf Erden und wir folgen ihr gebannt, irritiert, aufmerksam und fasziniert. Und das, obwohl sie sich an einigen Stellen als eine recht unzuverlässige Erzählerin erweist, Behauptungen anstellt und diese schnell wieder revidiert. So tauchen vermeintlich verstorbene Personen wieder auf, doch an mangelnden Toten fehlt es in diesem Buch wahrlich nicht. Alba lässt die Geschehnisse ihres Lebens über einen Zeitraum von circa zehn Jahren Revue passieren, von Beginn der Achtziger- bis zum Beginn der 90er-Jahre.
Schwarzer Humor
In ihrer kleinen Heimatstadt nahe Zürichs herrscht eine ungewöhnliche hohe Selbstmordrate. Beliebtes Ziel der suizidgefährdeten Jugendlichen ist eine Brücke, die für Alba aufgrund ihrer Höhenangst nicht in Frage kommt. Sie verliert einige Schulfreunde, ihr eigener Selbstmordversuch jedoch scheitert. Während des anschließenden Klinikaufenthalts setzt Albas Geschichte ein, die die Klippen ihres Lebensweges zwischen 17 und 30 Jahren fast wie en passant erzählt und dabei einen Hang zum staubtrockenen, schwarzen Humor entwickelt („Ich habe Lea kennengelernt, als ich Jack zur Beerdigung begleitet haben. Ich mochte sie auf Anhieb. Lea ist Jacks Schwester. Und es war ihre Beerdigung“). Der 1987 im schweizerischen Baden geborene Demian Lienhard gibt seiner Hauptfigur außerdem die Gabe der Selbstironie mit auf dem Weg, gepaart mit einer rotzig-scharfsinnigen Erzählweise, die all das Ungemach, das in Albas Leben hereinbricht, für die Leser erträglich macht.
Demian Lienhards literarische Glanztat
Denn beim Suizidversuch bleibt es nicht. Autounfall, Trennungsschmerz, Abtreibung sowie ein verstärkter Heroinkonsum sind Albas unschönen Begleitumstände. Als Alba während ihres Klinikaufenthalts Jack kennenlernt, erfährt sie durch dessen Eltern, die nach dem Tod Leas, Alba wie eine Art Ersatztochter behandeln, ausnahmsweise mal so etwas wie Geborgenheit und Liebe, ganz im Gegenteil zum Verhalten ihrer Mutter, der gerne mal die Hand ausrutscht. Die Hoffnung eines neuen, positiveren Lebensabschnittes zerschlägt sich schnell für Alba. Jack taucht später als Drogendealer wieder, da hängt Alba längst an der Nadel.
Demian Lienhard verleiht seiner Heldin eine exklusive Stimme
Lienhards Protagonistin können wir uns als eine Mischung aus einer etwas älteren Christiane F. und der Rolle der von Karoline Herfurth verkörperten Marie im Film „Vincent will Meer“ vorstellen, die manchmal das ganze Weltelend eines Thomas Bernhard auf sich lädt. Demian Lienhard benutzt häufig eigenwillige Sprachbilder und erlaubt sich diverse stilistische Manierismen, verleiht jedoch seiner Heldin und Antiheldin Alba eine exklusive Stimme, an die man sich gewöhnen muss und dann lieben lernt. „Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat“ gehört zu den literarischen Glanztaten dieses Jahres. Ein schonungsloser, brutaler, und doch witziger und warmherziger Roman.
Demian Lienhard: „Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat“, Frankfurter Verlagsanstalt, Hardcover, 360 Seiten, 978-3-627-00260-2, 24 € (Beitragsbild von Laura J Gerlach).