Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit – Roman

Ein bewegender, schwermütiger und wunderbarer neuer Roman von Benedict Wells

von Gérard Otremba

Wer nah am Wasser gebaut ist, der wird bei der Lektüre von Benedict Wells‘ neuem Roman Vom Ende der Einsamkeit Sturzbäche an Tränen vergießen. Es ist das mit Abstand traurigste und schwermütigste Buch, das der 1984 in München geborene Autor geschrieben hat. Ein Roman von Benedict Wells kommt ohne gute Musik nicht aus und der Soundtrack zu Vom Ende der Einsamkeit spiegelt die Atmosphäre seines vorzüglichen neuen Werkes bestens wider. Eine tragende Rolle nimmt hier das mehrfach erwähnte Album Pink Moon von Nick Drake ein. Es ist eins von nur drei hinterlassenen Meisterwerken des 1974 im Alter von 26 Jahren an einer Überdosis Antidepressiva verstorbenen, genialen und immer noch viel zu unbekannten englischen Songwriters.

Unwesentlich älter ist sein amerikanischer und gleichsam zu wenig beachteter Kollege Elliott Smith geworden, der 2003 im Alter von 34 Jahren aus dem Leben schied und ähnlich wie Nick Drake an Depressionen litt. Sein Song „Between The Bars“ vom erstklassigen Album Either/Or ist ein weiteres wichtiges Band zwischen Ich-Erzähler Jules und der Liebe seines Lebens, Alva. Wer die Musik von Drake und Smith kennt und goutiert, weiß, welche Abgründe sich in Vom Ende der Einsamkeit auftun und kann sich in das deprimierende Setting ohne Probleme hineinversetzen. Jules ist zehn Jahre alt, als er seine Eltern bei einem Autounfall verliert. Zusammen mit seinen drei und vier Jahre älteren Geschwistern Marty und Liz kommt er ins Internat, eine gegenseitige Entfremdung folgt sehr schnell und alle drei entwickeln sich höchst unterschiedlich.

Während Liz alle mit ihrer Schönheit betört und sich in einem Sumpf aus Partys, Sex und Drogen aller Art wiederfindet, wird Marty zu einem sonderlichen Freak und Außenseiter und Jules versinkt immer mehr in Tagträumereien und Schwermut. In der verschlossenen Alva findet er eine einzige wesensverwandte Freundin im Internat, für die er bald mehr als Freundschaft empfindet. Bevor das Leben jedoch ein vorübergehendes Happy End für die beiden vorsieht, vergehen Jahre ins Land, Jahre voller unfassbarer tragischer Schicksalsschläge, die manchmal des Schlechten zu viel sind. Die ziehen nicht nur Jules, der sein knapp über 40-jähriges Leben rekapituliert, runter, sondern auch den Leser. Benedict Wells kompensiert allerdings das depressive Szenario mit seiner schriftstellerischen Gabe der Empathie. Einsamkeit, Trauer, Verlust, Schmerz und Tod sind allgegenwärtig, von Wells mit einer bewegenden Intensität inszeniert, die erschüttert und aufwühlt.

Für Jules ist nicht alles verloren. Er findet Halt in der Liebe zu seiner Frau Alva und den beiden Kindern, und die Beziehung zu seinen Geschwistern nimmt im Verlauf der Zeit wieder freundschaftliche und innige Züge an. Heitere Momente sind zwar rar gesät, aber Jules und Martys Umgang mit dessen Hochzeitsgeschenken besitzt skurril-absurden Humor. Vom Ende der Einsamkeit ist ein wundervoller Roman über das Älterwerden, über Erinnerungen, über existentielle Philosophie, über den Lauf der Zeit, über die Freiheit und die Selbstbestimmung über Leben und Tod. Es ist gut zu wissen, dass ein junger Autor wie Benedict Wells diese Themen nicht gänzlich älteren Kollegen überlässt und bereit ist für die essentiellen Dinge des Lebens.

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit, Diogenes, Hardcover, 368 Seiten, 978-3-257-06958-7, 22 €. 

Kommentare

  • <cite class="fn">masuko</cite>

    Schön, wie du dem Roman einen Sound schenkst, indem du einleitend erstmal über Musik sprichst. Am besten hat mir aber dein Satz „… Jahre voller unfassbarer tragischer Schicksalsschläge, die manchmal des Schlechten zu viel sind.“ gefallen. Danke dafür! Du bist der Erste, der das mal ausspricht. Ja, Benedict hat eine wundervolle Art, zu erzählen, zweifellos.
    Mir war der Roman einfach zu traurig, zu depressiv, ich hätte mir ein weniger tragisches Ende gewünscht. Schöne Grüße

  • <cite class="fn">susa</cite>

    ich habe es auch kürzlich gelesen und es unter Tränen genossen : http://www.sachenmacherin.blogspot.de/2016/02/vom-ende-der-einsamkeit.html
    ein tolles Buch, Punkt.
    bibliophile Grüße,
    Susa

  • <cite class="fn">Constanze Matthes</cite>

    Mich begeistern emotionale Bücher immer wieder. Ich „heul`“ dann auch gern mal. Das ist wie eine innere Reinigung und zeigt, dass man noch nicht abgestumpft ist. Es wird aktuell viel über diesen Roman geschrieben. Und auch Dein wunderbarer Beitrag sagt mir, ich muss ihn lesen. Viele Grüße

  • <cite class="fn">Steffi</cite>

    Hi du,

    gefällt mir sehr, deine Zeilen die Sounds and Books – typisch nicht nur von den Emotionen der Geschichte, sondern auch von dem begleitenden Soundtrack geprägt sind. Dieses Buch scheint uns alle zu berühren und zu begeistern. Ein ganz großartiger Autor.

    Liebe Grüße

    Steffi

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