Aoife O’Donovan: All My Friends

Aoife O'Donovan credit Sasha Israel

Einen Grammy hat Aoife O’Donovan bereits in der Vitrine. Mit einem fabelhaften Folk-Album über ihr Amerika (früher und heute) peilt sie den nächsten an.

von Werner Herpell

Pop und Politik – diese Verbindung kann schlimm in die Hose gehen. Pop mit Orchester und Chor – dito. Umso erstaunlicher, wie klug und stilsicher Aoife O’Donovan gleichzeitig beide Herausforderungen bewältigt. Denn die bereits mit einem Grammy ausgezeichnete Singer-Songwriterin (für den Roots-Song „Call My Name“) liefert jetzt ein Album ab, das ganz ohne Polit-Plattitüden und ohne sinfonischen Kitsch auskommt – und sowohl den Kopf als auch Herz und Seele erreicht. „All My Friends“ könnte ihr also nächstes Jahr erneut den höchsten US-Musikpreis einbringen – denn hier geht es auf kluge und sensible Weise um Amerika, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und womöglich auch seine Zukunft.

O’Donovans Klage: „America’s bleeding“

Aoife O'Donovan All My Friends Cover Yep Roc Records

„America’s

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bleeding/we’re watching her die/fire and blood on the screens“, so besingt die mit einer wunderbar warmen Stimme gesegnete Musikerin aus der Nähe von Boston (da war doch mal was in der amerikanischen Geschichte…) im Song „Over The Finish Line“ ihr zerrissenes Land als eine Frau, die blutet und leidet. Und weiter: „Her headlights receding/she’s waving goodbye/curtain comes down on the scene“. Das klingt pessimistisch – aber man weiß ja auch warum angesichts des Trends, die Freiheiten und Rechte der weiblichen Bevölkerung in den USA wieder zu beschneiden, der Möchtegern-Diktator Donald Trump und seine Spießgesellen leisten da schon vor einem im November drohenden Regierungswechsel ganze Arbeit.

Zurück zu „All My Friends“, einem orchestralen Folk-Album, wie man es in dieser Klasse nur selten findet (der Vergleich mit den Säulenheiligen Joni Mitchell und Judee Sill ist nicht übertrieben). O’Donovans erste selbstproduzierte Platte wurde inspiriert von der US-Verfassung und der Entwicklung der Frauenrechte in den Staaten. Die 41-jährige Sängerin der Bandprojekte Crooked Still und I’m With Her (mit Sara Watkins und Sarah Jarosz) griff dafür auf Reden und Briefe der Frauenrechtlerin Carrie Chapman Catt (1859-1947) zurück und brachte zugleich moderne Perspektiven und eigene Erfahrungen als Frau und Mutter in ihre neun neuen Lieder ein.

Für den gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung

Immer steht der Frage im Hintergrund, was sich für US-amerikanische Frauen in den 100 Jahren seit der Erlangung des Wahlrechts verändert hat. Und wie es Amerika heute insgesamt geht: „What is the democracy for which the world is battling/for which we offer up our man power, woman power, money power, our all?“, heißt es in „America, Come“. Das Titelstück erinnert zunächst an den Sommer 1920 im Bundesstaat Tennessee, als sich Befürworter und Gegner des Frauenwahlrechts einen erbitterten Kampf um den letzten Unterzeichner lieferten, der für die Ratifizierung des Gesetzes nötig war. „Die Saat dieses Songs geht dem gesamten Projekt voraus“, sagt O’Donovan. „In diesem Lied geht es um Kameradschaft, um Zusammenhalt, um Menschen, die im gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung vereint sind.“ Also zugleich um durchaus zeitgenössische Themen, gerade in den tief gespaltenen USA.

„All My Friends“ folgt auf O’Donovans dreifach für den Grammy nominiertes Album „Age Of Apathy“ (2022). Nach dessen Veröffentlichung nahm O’Donovan eine vollständige Neuinterpretation von Bruce Springsteens sprödem Meisterwerk „Nebraska“ auf und ging damit auf Tournee, mit Auftritten unter anderem beim berühmten Newport Folk Festival. Das neue und wohl beste Album in der Karriere der irischstämmigen Singer-Songwriterin ergab sich dann überwiegend aus zwei Aufträgen vom Orlando Philharmonic Orchestra und vom FreshGrass Festival in ihrer Heimat Massachusetts.

Aoife O’Donovan covert Dylan

Das Projekt wurde außerdem von musikalischen Gäste wie Anaïs Mitchell (im wunderschönen Duett „Over The Finish Line“), The Westerlies, The San Francisco Girls Chorus und Griffin Goldsmith (Dawes) begleitet. Dennoch, trotz all der üppigen Streicher, Bläser und Chorstimmen, klingt „All My Friends“ wundersamerweiser nie überladen. Und spätestens wenn Aoife O’Donovan als Closer Bob Dylans „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ in einer sehr eigenen Walzer-Version (mit herrlichem Trompeten-Motiv) covert, weiß man: Dieses Album ist ein Höhepunkt  des Folk-Jahrgangs 2024.

Das Album „All My Friends“ von Aoife O’Donovan erscheint am 22.03.2024 bei Yep Roc Records. (Beitragsbild von Sasha Israel)

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