Aiden Berglund alias Grimson im Interview

Grimson credit Werner Herpell

Mit einem fabelhaften Debütalbum startet Aiden Berglund alias Grimson von Berlin aus in eine hoffnungsvolle Singer-Songwriter-Karriere. Eine unserer großen Entdeckungen dieses Musikjahres im S&B-Gespräch.

Interview von Werner Herpell

Eines der schönsten Pop-Debüts dieses Musikjahres (auch bei S&B gebührend bejubelt) legt dieser Tage ein zuvor weitestgehend unbekannter Singer-Songwriter namens Grimson vor. Der junge Mann (bürgerlich Aiden Berglund) mit schwedischen und US-amerikanischen Wurzeln lebt seit einigen Jahren in Berlin. Wer durch Zufall, etwa via Bandcamp, auf ihn stieß, konnte sein Talent für wunderbare Barock- und Psychedelic-Pop-Lieder erkennen. Zumal auch seine Song-Videos echte Hingucker waren.

Jetzt also das Album „Climbing Up The Chimney“, von Grimson im Independent-Selbstverlag und auf Bandcamp am 01.09.2023 zunächst digital veröffentlicht. Aber im Laufe des September soll das erste Meisterstück eines Frühreifen zum Glück auch auf Vinyl und im Oktober auf CD herauskommen, eine Release-Party wird am 12.10.2023 im „Urban Spree“ Berlin gefeiert.

Reichlich Grund zum Feiern für Grimson 

Und Grund zum Feiern hat Grimson reichlich, denn die 14 Songs dieses Albums sind Sophisticated-Pop-Juwelen voller Wärme, detailverliebter Arrangements und feinster Produktionskünste (Robbie Moore). Außer dem Multiinstrumentalisten Berglund alias Grimson und Studiotüftler Moore haben nur wenige andere Musiker mitgewirkt – das famose Oriel String Quartet etwa, Chris Hill am Schlagzeug, und Berglunds Gitarristen-Kollege Rain Johannes. Der Nachwuchskünstler freut sich nun auf eine größere Öffentlichkeit für seine Songs, die schon vor Jahren geschrieben und dann teilweise im eigenen Schlaf- oder Wohnzimmer aufgenommen wurden. Und Grimson hat als zweiten Schritt nach dem Debüt noch viel vor, wie er Sounds & Books im Interview verriet.

Hallo Aiden, oder soll ich Dich lieber Grimson nennen? Dazu gleich meine erste Frage: Woher stammt dieser mysteriöse Künstlername? Was bedeutet Grimson?

Grimson: Zunächst mal, Du kannst mich gern Aiden nennen. Der Künstlername ist nicht mehr ganz so mysteriös, wenn Du hörst, dass mein Vater Grim heißt. Sein eigener Dad kam mit isländischen Wurzeln aus Schweden, daher hat mein Vater diesen skandinavisch-nordischen Namen erhalten. Grim und sein Sohn – ich habe das nur zusammengesetzt. Ich bin also Schwede von der väterlichen Seite, meine Mutter kommt aus den USA – aus New York, wo ich aufwuchs.

Ich erfuhr über Deine PR, dass Du aus Brooklyn stammst, aber schon vor Jahren nach Berlin gezogen bist. Und dass Du noch sehr jung bist, angeblich um die 20. In meiner Album-Review habe ich diese offizielle Geschichte angezweifelt, weil Deine Platte dafür viel zu reif und abgerundet klingt. Also, was stimmt?

Ganz so jung dann doch nicht

Grimson: Ja, ein bisschen älter bin ich schon (lacht). Ich wurde im Sommer 26. Aber als ich das erste Mal zum Studieren nach Berlin zog, da war ich ungefähr 20. Mein Vater lebte damals hier, daher entschied ich mich für Berlin, nachdem ich die Schule beendet hatte.

Bitte erzähl uns mal über Deine künstlerische Entwicklung. Du hast tatsächlich schon ganz früh im Teenager-Alter mit dem Songschreiben begonnen?

Grimson: Darf ich die Langfassung erzählen? Okay, also… Die Songs von „Climbing…“ wurden in der High School angelegt und ganz früh am College. Ich ging in Manhattan zur High School und kam dort in einen Songwriting-Kurs mit starkem Wettbewerbscharakter. Dort gab es viel Raum für Leute, die sehr gut an ihren Instrumenten oder als Sänger waren. Und es gab diese Klasse mit vielleicht 15 Leuten, die sich schon im Alter von 14 bis 18 Jahren als Songwriter verstanden. In diese Klasse wurde ich also reingesteckt, und die anderen waren echt begierig und… einfach saustark. Ich selbst hatte damals allerdings auch schon vier Jahre lang Songs geschrieben, in einem Punk-Trio gespielt, das von Sonic Youth, Dinosaur Jr, Fugazi oder Hüsker Dü beeinflusst war. Um die Geschicht abzukürzen: In dieser Klasse arbeiteten wir miteinander, viele Leute spielten unterschiedliche Instrumente, und wir hörten gegenseitig unsere Original-Stücke daraufhin an, ob sie auf Bühnen oder in Clubs von New York performt werden könnten.

Das hört sich echt spannend an. Wie ging es dann weiter?

„Diese Lieder gehören zusammen“

Grimson: Also auf diese Weise habe ich meine musikalische Identität gefunden. Ich entfernte mich von meiner Punk-Seite und wurde stattdessen beeinflusst vom Classic- und Psychedelic-Rock der 60er und 70er Jahre. Die meisten der Lieder vom ersten Album wurden während dieser High-School-Zeit geschrieben, sie sind also schon sehr alt. Es war dann gar nicht so einfach, mit diesem Material sorgfältig umzugehen. Mein Hauptziel war, etwas anzubieten, das zu Entdeckungen in dem alten Material anregt, da ich seitdem ja zwei oder drei weitere Alben geschrieben habe. Die Lieder von „Climbing…“ klingen jetzt so, als wenn sie wirklich zusammengehören – weil sie ja auch tatsächlich zusammengehören. Sie repräsentieren mich in einer Phase mit etwa 18 Jahren. Klar, seitdem bin ich als Mensch erwachsener geworden. Und eine Menge dieser älteren Songs ergaben sich aus damaligen Ängsten, Depressionen oder Konflikten – ich wollte damit jetzt eine Art emotionale Reise unternehmen. Ich mag die Idee, aus der Gegenwart heraus zu erzählen, was in der Vergangenheit los war.

Die Platte klingt ganz wunderbar mit all diesen kleinen Sounddetails, das erinnert mich an große Künstler wie The Beatles, Harry Nilsson, Jon Brion oder Elliott Smith. Hast Du diese legendären Leute im Hinterkopf gehabt beim Aufnehmen der Songs?

Grimson: Ja, ich war definitiv beeinflusst von all diesen Leuten, die Du gerade erwähnt hast. Ich bin ebenso süchtig wie sie nach solchen Details in der Musik, ich war auch nie zufrieden mit einem Song, der vier Akkorde und einen immer gleichen Rhythmus hat. Also ich liebe diese vielen Kleinigkeiten im Sound, etwa in „Sergeant Pepper’s“ oder „Revolver“ von den Beatles. Das kriegt man nicht stets sofort beim ersten Hören mit, aber es gibt dann halt immer wieder was zu entdecken. Ich finde, das ist eine sehr liebevolle und optimistische Herangehensweise an Kunst. Mit diesen Liedern wollte ich aber auch mich selbst unterhalten, weil ich ansonsten gelangweilt wäre.

Die Texte mancher Lieder wirken ziemlich traurig oder zumindest melancholisch, zum Beispiel „Never Dealt (With Anything This Hard)“ oder „I Hate Myself Now“. Sind diese Worte aus persönlicher Erfahrung oder fiktional?

Kein Song ohne Persönliches

Grimson: Definitiv persönlich. Vielleicht bereue ich irgendwann, das gesagt zu haben – aber ich könnte keinen Song schreiben ohne persönliches Element. Ich will mich da verbessern, um irgendwann auch die Geschichten anderer Leute zu erzählen. Aber als ich die Lieder von „Climbing…“ schrieb, als Teenager, war ich von meiner Realität so überwältigt, von meinen Beziehungen, der Familie – sie kommen also aus sehr spezifischen Situationen. Etwa „I Hate Myself Now“ – das Lied ist irgendwie auch witzig, weil es zu dieser Zeit, in dieser Songwriter-Klasse, üblich war, über Gras-Rauchen oder Sich-Verlieben oder das Weltall zu schreiben. Als ich mit 15 oder 16 in diesem Song mit meinen Ängsten daherkam, war das sehr uncool. Aber das Lied ist ehrlich, es geht um letztlich zeitlose Teenager-Gefühle, es ist halt ein Teenager-Song. Heutzutage ist so ein Thema dagegen ja sehr populär – bei Spotify dürfte es eine Million Songs mit den Worten „I Hate Myself“ geben …

Aiden, Du bist derzeit einer von vielen amerikanischen Künstlern in Berlin. Was gefällt Dir – oder was missfällt Dir – an dieser Stadt? Und willst Du noch länger bleiben, oder denkst Du daran, demnächst in die USA zurückzukehren?

Grimson: Also ich habe überhaupt keine Rückkehrpläne. Wenn man sich nur die politische oder soziale Lage dort in den Staaten anschaut… Als ich zum ersten Mal nach Berlin zog, war ich um die 20 und Donald Trump noch Präsident, daher war es für mich wie ein tiefer Atemzug mit frischer Luft, als ich mich von dieser bedrückenden Welt befreien konnte. Ich bin ja mit meinem schwedischen Pass auch europäischer Staatsbürger, ich muss also nicht dauernd um ein Visum kämpfen. Ich zog hierher und fühlte mich sofort behaglich. Es gab genug New York für mich in Berlin und zugleich genug Fremdes und neue Erfahrungen. Eine Mixtur aus Erleichterung und Herausforderung. Und ich traf hier schnell Leute, die Musik machen. Das war für mich das Wichtigste – eine Gemeinschaft zu finden.

Erzähl zum Abschluss bitte noch über die Pläne für Deine künstlerische Zukunft. Es steht also schon ein zweites Album am Horizont?

Grimson: Zweites Album wird reifer und direkter

Grimson: Zuerst mal bin ich erleichtert, dass „Climbing…“ jetzt draußen ist. Ich habe seitdem an viel Musik gearbeitet, die meine aktuelle Entwicklung als Künstler zeigt. Mein Ziel ist es, vielleicht ein Plattenlabel zu finden und einen Vertrieb, denn derzeit mache ich das ja alles independent. Ich nehme meine Musik sehr ernst, ich will, dass sie gehört wird, ich will sie auf die Bühne bringen. Das nächste Album ist zu 40 Prozent fertig – und ich denke, das sind die besten Songs, die ich bisher geschrieben habe. Sie haben noch viel mit den älteren Liedern gemeinsam, sind aber stilistisch reifer, die Emotionen sind direkter. Die Texte und die Rhythmen sind weniger als wenn man durch einen Wald spaziert – eher als wenn man eine Allee runterrennt. Ich bin sehr aufgeregt. Und ich werde ja auch nicht jünger…

Danke Dir für das Interview, Aiden. Und ganz viel Glück für Deine Zukunft – wo auch immer!

Das Album „Climbing Up The Chimney“ von Grimson ist am 1. September digital via Bandcamp erschienen (www.grimsoncamp.bandcamp.com/music). Es wird im Laufe des September auch auf Vinyl und im Oktober auf CD veröffentlicht. Eine Release-Party mit Grimson und Band ist am 12. Oktober im Berliner „Urban Spree“ geplant.

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