Yoko Ogawa: Der Duft von Eis

Yoko Ogawa Der Duft von Eis Credit SHINCHOSHA

Im Roman „Der Duft von Eis“ schickt Yoko Ogawa die Protagonistin auf eine Reise in die Vergangenheit, um mit der Gegenwart abzuschließen.

Ryoko ist zu einer Reise aufgebrochen. Von Japan nach Europa, der Vergangenheit ihres Freundes Hiroyuki auf der Spur. Mit ihm, einem äußerst begabten Parfümeur, hat sie exakt ein Jahr zusammengewohnt. Der Anschlussflug, der sie nun von Wien nach Prag bringen soll, hat fünf Stunden Verspätung. In den Hallen des Flughafens herrscht geschäftiges Treiben und draußen tost ein Gewitter. Genug Zeit, dass sich die Gedanken verselbständigen. Rückblickend versteht Ryoko immer noch nicht, wie es zu all dem kam. Und es bleibt die über allem schwebende Frage, warum der Mensch, den man zu kennen glaubt, sich das Leben nimmt. Ohne Erklärung, ohne Vorwarnung.     

Nichts ist, wie es scheint

Yoko Ogawa Der Duft von Eis Cover liebeskind

Ryoko ist beim Bügeln, als sie den Anruf  aus der Klinik erhält. Sachlich informiert man sie, dass sich ihr Lebensgefährte Hiroyuki an seinem Arbeitsplatz in der Parfümerie das Leben genommen hat. Eine Flasche reines Ethanol habe er getrunken und sei an den Folgen verstorben. Ryoko bügelt das angefangene Hemd fertig und macht sich auf den Weg in die Leichenhalle. Sie forstet in ihren Erinnerungen, geht die letzten Stunden durch. Sie findet nichts auffälliges, was nur annähernd das Geschehene erklären könnte. Am Abend zuvor hatten sie romantisch ihr einjähriges Zusammenwohnen gefeiert. Er schenkte ihr ein eigens für sie kreiertes Parfum und nannte es „Quell der Erinnerung“. Und am Morgen verabschiedete er sich von ihr wie immer.   

Geheimnisse

In der Leichenhalle warten die Geschäftsführerin der Parfümerie und ein Unbekannter auf Ryoko. Und als sich herausstellt, dass es sich bei dem anwesenden Mann um Hiroyukis jüngeren Bruder handelt, wird Ryoko hellhörig. Wieso wusste sie nichts von ihm? Hiroyuki hatte ihr erzählt, dass alle aus seiner Familie verstorben seien. Bei der Rekonstruktion von Hiroyukis Vergangenheit und Familiengeschichte stößt sie auf immer mehr Geheimnisse, die teilweise fünfzehn Jahre zurück liegen. Um diese zu entschlüsseln, begibt sie sich auf die Reise nach Prag. Dort hofft sie Antworten zu finden, die die jüngsten Geschehnisse erklären. Denn sie kann erst trauern, wenn sie versteht.   

Yoko Ogawa spricht die Sinne an

Leise, aufmerksam und zart bahnt sich Yoko Ogawa in ihrem Roman „Der Duft von Eis“ einen Pfad durch die menschliche Identität. Vergangenheit, Gegenwart und Surreales fließen ineinander und enthüllen ein kraftvolles Bild menschlicher Beweggründe. Yoko Ogawas wundervolle Erzählweise spricht die Sinne an und nimmt die Leser*innen mit auf eine verwobene Entdeckungsreise hinter die menschliche Fassade. 

Yoko Ogawa, „Der Duft von Eis“, Liebeskind, Hardcover, aus dem Japanischen von Sabine Mangold, 264 Seiten, 978-3-95438-150-0, 24,00 Euro. (Beitragsbild von Shinchosha)

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