„Nichts ersetzt die Therapie“ sagt die Berliner Songwriterin Laura Carbone und begibt sich mit ihrem aktuellen Album „The Cycle“ auf die Suche nach einem neuen Lebensentwurf, den sie schließlich im nicht endenden Zyklus findet, „den uns die Mutter Natur und der Kosmos sowieso schon im Rhythmus vorgegeben haben“.
Interview von Ullrich Maurer
Ganze sechs Jahre sind ins Land gegangen, seit die Berliner Songwriterin Laura Carbone 2018 mit ihren zweiten Album „The Empty Sea“ den internationalen Durchbruch als Indie-Rock-Künstlerin feierte. Eigentlich hätte die Sache dann nahtlos weitergehen sollen, denn Laura hatte längst begonnen, neue Songs zu schreiben. Als sie dann so weit war, mit ihrer Band ins Studio zu gehen, brach die Pandemie aus. Anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen betrachtete sie diesen Einschnitt aber nicht als Hindernis, sondern als Chance, sich länger und intensiver mit dem neuen Material beschäftigen zu können. Dadurch kam Laura zu der Erkenntnis, dass sie tatsächlich nicht nur an einer neuen Songsammlung, sondern einem Konzept-Album arbeitete, das sich am Kreislauf eines Jahres – und im erweiterten Sinne des ganzen Lebens – ausrichtete; was dann auch den Titel des jetzt vorliegenden Albums „The Cycle“ erklärte.
Anders als bei den vorangegangenen Projekten arbeitete Laura nun nicht mehr mit einem Label zusammen, sondern gründete die Organisation Cosmic Dreaming, die sie – außer als eigenes Label – dazu nutzt, um sich „vollständig
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mit ihren medialen und kreativen Fähigkeiten zu verbinden, sie zurückzufordern, zu studieren und das Handwerk des Mediums zu erlernen“. Heutzutage ist Laura somit weniger eine klassische Songwriterin, sondern ein Medium.
Laura Carbone unter dem Schirm des „Cosmic Dreaming“
Laura erzähle uns doch bitte ein Mal, wie das Label „Cosmic Dreaming“ zustande kam und was das für Dich bedeutet.
Laura Carbone: „Cosmic Dreaming“ – der Name und die Marke – kamen zu Beginn der Pandemie zu mir, als mir klar wurde, dass ich für meinen Wirkungsbereich und das was ich tun will, eine aufgespannten Schirm bräuchte, der wie ein Mobile dann meine ganze Kreativität zeigen kann und wo jeder einzelne Planet genug Raum hat sich auszubreiten. So sehe ich Cosmic Dreaming heute.
Das bedeutet also, dass unter dem Cosmic Dreaming Label dann nicht nur Deine Aktivitäten als Musikerin und Künstlerin, sondern auch jene, die Du als Medium auf der spirituellen Ebene verfolgst, versammelt sind. Es gibt aber natürlich auch Querverbindungen zur Musik: So arbeitest Du ja beispielsweise mit dem Medium Klang auch als Medium – wobei Du Deine Stimme in Kombination mit den Klängen von Kristallschalen einsetzt. Und natürlich wird ja auch auf dem Album „The Cycle“ gesungen. Und die Klänge der Kristallschalen sind auf atmosphärische Weise in das Sounddesign eingewoben. Was hat es denn mit diesen Kristallschalen auf sich?
Laura: Das sind Kristallklangschalen aus fast purem Quarz, mit einigen zugegebenen Mineralien. Technisch funktioniert das so, dass diese gerieben werden, so dass durch die Reibung des Quarz ein Sound entsteht. Ich habe einen Klöppel, der mit Wildleder oder Plastik überzogen ist, damit eine Reibung entsteht, die dann den Ton erzeugt. Man kann die nicht stimmen. Jede Bowl hat nur einen Ton. Das ist aber gerade das Spannende, denn das gibt mir eine neue Betrachtungsweise von Musik, denn wo ansonsten immer alles so komplex und virtuos sein muss, beruft sich eine Bowl auf nur einen Ton – und den als Drone. Das fand ich sehr kraftvoll.
Der Drone-Effekt macht sich ja auch auf einigen der Stücke auf „The Cycle“ bemerkbar. Und zwar in dem Sinne, dass die betreffenden Tracks dann auf nur einem oder wenigen Akkorden basieren. Hängt das damit zusammen, dass Du die Kristallschalen bei den Aufnahmen als Klangkörper mit verwendetest und war das so geplant?
Laura: Das war tatsächlich keine Intention – aber oft braucht es für mich gar nicht viel mehr als einen Ton aus dem sich dann etwas ergibt. Ich habe da gar nicht so den Hang wie andere KünstlerInnen ihn haben, zehn Akkorde in einem Song einzusetzen. Das brauche ich nicht. Mir reicht manchmal einfach ein Ton, auf dem ich mich dann aber austoben und mich hingeben kann.
Kreislauf ohne Anfang und Ende
Das Thema von „The Cycle“ – der Kreislauf des Jahres – wird auf dem Cover ja durch eine Schlange, die sich selbst in den Kopf beißt („Ouroboros“) – und insofern weder einen Anfang noch ein Ende hat dargestellt. Wenn aber das Thema des Albums der Jahreskreis ist – wieso hat das Album dann 13 Stücke?
Laura: „Na zähl doch mal die Monde, die auf dem Ouroboros abgebildet sind – das sind 13, denn ein Jahr hat 13 Monde.“
Das 13. Stück auf dem Album heißt dann ja „Phoenix Rise“ – vermutlich geht es dann darum, dass der Kreislauf durch die Neugeburt des Phoenix dann wieder von vorne beginnt oder?
Laura: Ja, genau.
Viele Deiner Kollegen sagen ja, dass sie sich mit ihrer Musik selbst therapieren wollen – weil Musik eben auch heilenden Kräfte besitzt. Willst Du Dich auch mit Deiner Musik therapieren?
Laura: Ich betrachte Musik als ein Hilfsmittel mit dem ich Dinge, die sich in mir sammeln zum Ausdruck bringen kann. Bei dem Album sehe ich mich aber eher als Medium, weil es da viel weniger um mich geht. Das Album spricht auch über mentale Gesundheit, weil das tatsächlich ein großer Bereich ist mit dem ich mich tief verbunden fühle, da das sehr wichtig für mich ist. Ich habe ja eine schwere Depression gehabt – und davon handelte dann das Album ‚Empty Sea‘. Wenn Du jetzt mal die Credits des neuen Albums liest, siehst Du, dass es da einen langen Paragraphen gibt, in dem ich mich bei meinen TherapeutInnen bedanke und jedem, der mir geholfen hat, durch diese schwere Zeit zu kommen. Ich rate jedem, einen Therapeuten in Anspruch zu nehmen. Nichts ersetzt die Therapie.
Alternativlose Therapie
Na ja – aber ist Musik selbst denn nicht auch eine Therapie? Musik ist doch oft das Einzige, was weiterhelfen kann, wenn Vernunft und Logik eben nicht mehr weiterhelfen können. Beispielsweise wenn es darum geht, mit traumatischen Erlebnisse wie z.B. Todesfällen umgehen zu müssen.
Laura: Ja, das ist ja auch schön so und ich bin auch der Überzeugung dass Musik eine sehr heilende Kraft haben und Menschen betreuen und unterstützen kann. Gleichzeitig weiß ich aber aus eigener Erfahrung, dass es weitere Modalitäten gibt, die Menschen bei so tiefen emotionalen Prozessen unterstützen können. Aber ich bin trotzdem froh, wenn meine Musik zur Unterstützung hinzugezogen wird – das ist großartig, ersetzt aber keine Therapie.
Du sagst, dass Du Dich als Kanal für Deine Musik siehst, die dann durch Dich als Medium fließt. Gibt es aber noch andere Sachen, die Dich inspirieren?
Laura: Ja. Mich hat in dem Prozess von ‚The Cycle‘ zum Beispiel die Arbeit und Malerei von Hilmar Af Klimt sehr stark inspiriert. Das war eine Malerin, die in Form von Séancen visuelle Kunst gemacht hat – in einem Kreis von anderen Medien und vielleicht ein bisschen wie ich auch. Ich habe das große Privileg gehabt, ihre Ausstellung im Guggenheim Museum in New York sehen zu dürfen. Das war ein kompletter Zufall und eine Fügung. Das war dann wie durch einen Tempel mit kanalisierter Kunst zu laufen und es war auch schön zu sehen, wie viel Kraft dahintersteckte. Das war die visuelle Haupt-Inspiration. Und dann gibt es aber auch noch Sängerinnen, an denen ich mich orientiere – wie Mahalia Jackson und Aretha Franklin.
Vor allen Dingen würde ich da gerne auf Mahalia eingehen, weil ich mich während der Pandemie viel mit ihr beschäftigt und viele ihrer Live-Shows angeschaut habe. Ihre Stimme hat mich deshalb so sehr ergriffen, weil die so spürbar war. Mir wurde da klar, wie sehr sie damit verbunden war und ihre Melodien wirklich mit Überzeugung in die Welt trug. Das ist für mich die große Emotion und die große Klasse. Sie hat ja sogar mal eine Pause eingelegt, weil man sie aufgefordert hatte, Blues und Jazz zu singen. Da hat sie sich aber geweigert, weil sie Spirituals singen wollte. Das ist eine starke Haltung.
Es gibt ja Leute, die sagen, dass Künstlerinnen wie Mahalia Jackson bemüht waren, das Göttliche in der Musik anzuzapfen. Ist das auch Deine Intention?
Laura: Ich würde andere Worte dafür benutzen. Ich würde das eher so formulieren, dass ich mich zum Kanal mache für das, was durch mich durchfließen möchte. Ich setze immer eine Intention bevor ich kreativ werde und möchte, dass das, was ich tue zum höchsten Wohle aller ist. Und das ist für mich eine Form der Spiritualität.
Atem ist Leben
Du sagst ja, dass Deine Stimme bei all dem, was Du machst, das wichtigste Instrument, das wichtigste Mittel ist. Das wird auf dem Album „The Cycle“ dann dadurch deutlich, dass dem Gesang in der Produktion besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Was war Dir denn dabei am Wichtigsten?
Laura: Authentizität war mir sehr wichtig. Zum einen habe ich das damit gelöst, dass ich mir für jeden Song einen Tag genommen habe und ich habe das Album natürlich von oben nach unten chronologisch aufgenommen. Dann habe ich mich jeden Tag dem Song gegenüber geöffnet und eingefühlt, worum es da gehen soll. Ich habe mich wirklich eingefühlt. Das waren heftige Tage. Ich weiß noch, dass ich an dem Tag, an dem ich zum Beispiel ‚Red Velvet Fruit‘ eingesungen habe, nachher fix und fertig war. Für mich war es auch wichtig, in die Stimm- und Atemtherapie noch mal tiefer einzutauchen und mal zu schauen, was mir noch im Wege stehen könnte, um mich mit meiner Intention zu verbinden.
Vermutlich hörst Du das – denn es gibt einen großen Unterschied zwischen ‚Empty Sea‘ und ‚Sirens‘ – den Vorgängeralben – und wie sich die Art und Weise des Gesangs verändert hat. Technisch war es mir dabei auch wichtig, dass wir nicht zu viel schneiden. Das sind ganze Linien, die ich da aussinge und dabei ist mit Atem sehr wichtig. Deswegen hörst Du den Atem auf den Aufnahmen – weil Atem für mich Leben bedeutet.
Die Pandemie als Chance für Laura Carbone
Das gilt aber nur für die Gesangs-Sessions. Denn fairerweise muss man ja noch dazu sagen, dass die ursprüngliche Vision, die Songs gemeinsam im Studio einzuspielen, aufgrund der Pandemie so nicht realisiert werden konnte. Die Songs mussten dann also peu à peu im Patchwork-Verfahren eingespielt werden. Das stellte sich für Dich aber eher als Glücksfall heraus, oder? Denn erst in der Beschäftigung mit dem Material kam Dir ja der Gedanke, das Ganze als Konzeptalbum anzulegen. Du hast die Pandemie dann also sogar als Chance gesehen?
Laura: Ja, ich habe mich einfach dazu entschieden, dass es schon seinen Sinn haben würde, dass erst mal eine Pause sein musste.
Das hört man dem Album aber gar nicht an, denn es klingt wie aus einem Guss und so, als sei es live im Studio eingespielt worden.
Laura: Ja danke – aber schau: Die Band und ich waren zusammen auf Tour, wir haben Rockpalast gespielt, wir haben US-Touren gespielt und wir waren einfach super aufeinander eingespielt. Jeder einzelne der Musiker hat seine eigene Qualität – das sind einfach Profis.
Dann war aber vermutlich das Mischen eine große Herausforderung, oder?
Laura: Das ging eigentlich, denn wie Du vielleicht gelesen haben wirst, hat den Mix Collin Dupuis gemacht. Er hat auch den Mix des Albums ‚Ultraviolence‘ von Lana Del Rey gemischt. Das ist für mich – was den Mix angeht – eines meiner Lieblingsalben. Ich hatte Collin schon seit Jahren auf meiner Wunschliste und dann hat sich das ergeben und es war mir irgendwie sehr klar, dass er meine Musik verstehen würde. Der Mix war insofern total easy. Ich war auch keine Helikopter-Mama und habe nur alle paar Wochen ein Update aus Seattle bekommen.
Es ist ja auch wichtig, dass jemand von außerhalb an solch einer Produktion arbeitet, weil man ja auch mal betriebsblind werden kann, oder?
Laura: Klar. Ich habe während der sieben Jahre, seit ich mich mit dem Projekt beschäftige natürlich nicht jeden Tag mit dem Material beschäftigt. Aber jeder Moment, an dem ich gezwungen oder freiwillig von dem Werk zurückgetreten bin, hat mir Klarheit gebracht – weil ich so jedes Mal wieder frisch darangehen und die Sache noch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten konnte. Pausen sind so wichtig. Auch ein Zyklus hat ja Pausen – zum Beispiel im Winter, in dem alles ruht. Und nur so kann dann ein Album wie ‚The Cycle“ dann entstehen – wenn Pausen respektiert werden.
Gibt es denn ein Fazit, dass Du aus diesem Projekt ziehen könntest?
Laura: Ich glaube dass es unserer Welt – jedem einzelnen Individuum und dem ganzen Kollektiv – sehr dient, wenn wir uns überlegen, ob wir weiter dem ‚höher, schneller, weiter‘-Prinzip folgen oder uns für den Zyklus entscheiden – den uns die Mutter Natur und der Kosmos sowieso schon im Rhythmus vorgegeben haben.