Songwriterin Brimheim im Interview

Brimheim by Andre Hansen

„Vor allem bin ich eine Lyrikerin“: So sieht sich die faröisch-dänische Musikerin Brimheim, deren neues Album „Ratking“ am 22.03.2024 erscheint.

Interview von Ullrich Maurer

Eigentlich heißt die faröisch-dänische Musikerin Brimheim mit bürgerlichem Namen ja Helena Heinesen Rebensdorff. Schon als Helena aber 2020 ihre Debüt-EP „Myself Misspelled“ und 2022 ihre Debüt-LP „Can’t Hate Myself Into A Different Shape“ veröffentlichte, war ihr klar, dass sie einen anderen Künstlernamen bräuchte, der der vielschichtigen Komplexität ihrer Musik Rechnung tragen könnte. Und so entschied sie sich für den Namen Brimheim – was in der Übersetzung soviel heißt wie „Heimat der brechenden Wellen“. Das ist zum einen natürlich ein Verweis auf ihre Heimat im stürmischen Atlantik – aber auch eine Metapher dafür, wie sich Brimheim inhaltlich und musikalisch als künstlerische Wellenbrecherin betätigt, was nun auch ihr zweites Album „Ratking“ eindrucksvoll belegt.

Als es uns nach einigen technischen Schwierigkeiten gelingt, Helena in ihrem dänischen Refugium zu erreichen, ist sie Feuer und Flamme dafür, uns die Philosophie des neuen Albums zu erläutern. Was zunächst ein Mal auffällt, ist die Tatsache, dass die Musik – zumindest beim ersten Hören – versöhnlicher und zugänglicher geworden ist als jene des Debüt-Albums und dass statt schroffer Gitarrensounds dieses Mal vielschichtige Arrangements mit unerwartet poppiger Note im Zentrum stehen. Doch das ist dann nur der Anfang.

Die Legende vom Rattenkönig

Ein „Rattenkönig“ ist eine Ansammlung von Ratten, die an ihren Schwänzen verknotet sind und sich nicht mehr voneinander lösen können. Der Legende nach, werden diese Rattenknäuel dann von ihren Artgenossen versorgt – was aber disputiert werden darf, da es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt. Es wurden auch nur wenige „Rattenkönige“ gefunden.

Warum heißt das Album „Ratking“ – zumal doch auf dem Covermotiv Schnecken und in dem Video zu dem Song „Literally Everything“ eher Widder und Pferde eine Rolle spielen?

Brimheim: Das stimmt wohl – da gibt es ziemlich viele Tiere. Es geht da eher um eine

___STEADY_PAYWALL___

intuitive Beziehung zu diesen Bilderwelten, aber wenn ich das beschreiben oder intellektualisieren sollte, dann geht es darum, dass ich dieses Album über meine Impulse – oder vielmehr meine fehlende Fähigkeit, meine Impulse kontrollieren zu können schrieb. Die animalischen Bilder veranschaulichen dabei, dass Du ein Opfer Deiner Instinkte bist, beziehungsweise Dich nicht von diesen loslösen kannst.

Geht es in den bildgewaltigen Videos demzufolge dann um eine Art Personalisierung der Instinkte?

Brimheim: Ja, ich bin nämlich sehr von dem menschlichen Kampf fasziniert, den wir zu führen haben zwischen dem, was wir in der Gesellschaft und in unseren Beziehungen sein oder darstellen sollen – der richtigen Art sich in einer höflichen Gesellschaft zu verhalten also – und den Dingen, die wir in unserem Inneren unterdrücken müssen. Es gibt da einige wahnsinnige, verrückte Dinge, die da vor sich hinköcheln, weil wir sie unterdrücken müssen. In meinen Videos spiele ich mit dieser Art von Kampf. Es geht um Charaktere, die wirklich versuchen, alles irgendwie im Zaum zu halten – aber am Ende es nicht ganz schaffen. 

Die Rolle der Musik bei Brimheim

Halten wir also fest, dass Brimheim mit ihren Texten (und Titeln) den inhaltlichen und konzeptionellen Rahmen ihrer Musik festlegt und in ihren Videos und dem Artwork diesen Rahmen dann visualisiert. Während sie für diese Aspekte alleine verantwortlich zeichnete, arbeitet Brimheim musikalisch mit dem Produzenten Søren Buhl Lassen und dem Gitarristen Robert „Buster“ Jensen zusammen, die beide auch in der dänischen Avant-Jazz-Pop Combo „Blaue Blume“ mitwirken.

Welche Rolle spielt dann die Musik in diesem künstlerischen Konzept – geht es da auch um Impulse zu kontrollieren?

Brimheim: Nun ja – sowohl die Texte wie auch die Musik sind Kunstformen für mich, aber ich denke, dass ich zunächst und vor allem eine Lyrikerin bin. Das liegt mir sehr am Herzen und ist mir sehr wichtig. Ich lasse den Prozess mehr davon leiten als vom musikalischen Material. Ich verwende die Worte und die Themen aber auch bei der Produktion und den Arrangements. Beispielsweise ist das Album auf der musikalischen Ebene sehr dynamisch angelegt und hat große dynamische Verschiebungen – einfach weil die Texte mir schon sehr turbulent erscheinen und das wollte ich auch in der Musik zum Ausdruck bringen. Ich bin eine sehr turbulente und zuweilen auch ungeduldige Person und insofern geht es bei mir immer um Impulse und den Versuch, diese zu kontrollieren.

Was war denn die treibende emotionale Kraft hinter dem neuen Album – das ja in gewisser Weise weniger zornig  als das letzte erscheint?

Brimheim: Mein erstes Album entstand in einer sehr düsteren Phase meines Lebens. Ich litt sehr stark an einer Depression und schrieb damals über diese Gefühle, während ich sie hatte. Aber mit diesem Album habe mich etwas von diesen Themen lösen können, weil ich mit meinem Leben an einem besseren Ort angekommen bin. Ich kann heute also auf meine Vergangenheit zurückblicken und sozusagen meine vergangenen, gescheiterten Beziehungen und meine eigene Rolle bei deren Scheitern überdenken. Ich habe heute mehr Ressourcen dafür, das zu tun, weil ich heute nicht mehr direkt zornig bin. 

In einigen der neuen Songs treffen aber doch dann beide Seiten – also die versöhnliche und die zornige – wieder aufeinander. Ein Beispiel wäre der Song „Fell Into The Ice“, der als New Wave-Pop-Track beginnt, sich dann aber zu einem fast schon dystopisch zu nennenden musikalischen Malstrom auftürmt und zu orchestraler Grandezza aufläuft.

Brimheim zwischen Traum und Phantasie

Brimheim: Ja, das stimmt. Dieser Song ist ein gutes Beispiel für die von mir angestrebten Extreme, weil dieser Song harmonisch und das Arrangement betreffend eine komplette Drehung in eine Jahrmarkts-Spiegelhaus-Albtraumwelt darstellt. Ich mag diesen Song deswegen wirklich sehr. Das ist nun sogar einer meiner Favoriten.

Albtraum ist dabei ein gutes Stichwort, denn viele der neuen Songs spiegeln ja tatsächlich albtraumhafte Szenerien wieder.

Spielen denn tatsächliche Träume irgend eine Rolle im kreativen Prozess?

Brimheim: Nein, nicht wirklich. Ich kann mich nämlich nicht sehr oft an meine Träume erinnern, weil ich sehr starke Medikamente einnehme um schlafen zu können, ich muss mir also meine Träume für meine Songs ausdenken. Ich gebe ja zu, dass sich meine Songs dann zuweilen anfühlen wie Traumszenarien – es handelt sich aber eigentlich um eine Phantasie-Welt, die ich mir ausgedacht habe. 

Die Inspiration für die Extreme

Musikalisch zeigen sich Brimheim und ihre Partner Søren Buhl Lassen und Buster Jensen
auf dem „Ratking“-Album von einer zugänglicheren, versöhnlicheren Seite – auch wenn dabei das Ausloten von Extremen im Zentrum gestanden haben mag. Dabei überrascht das Team insbesondere etwa mit dem geradezu poppigen Sound der Single-Titel „Literally Everything“ (einem Song, mit dem Brimheim ihr Selbstbild in der Öffentlichkeit und ihre Rolle als konfessionelle Songwriterin hinterfragt) und dem mit der Dänischen Kollegin Eee Gee im Duett eingesungenen Track „Brand New Woman“ (der Geschichte einer unterdrückten Hausfrau in einer Beziehung, die sie aufrecht erhält, weil sie es nicht schafft, einen Akt der Selbstermächtigung zu realisieren). Der abrasive Indie-Rock-Sound des Debüt-Albums wurde dahingegen weitestgehend zurück gefahren.

Welche Inspirationsquellen verbergen sich denn wohl hinter diesem konzeptionellen Ansatz?

Brimheim: Ich denke meine Lieblingsband – oder die Band, die ich mir in meinem Leben am meisten angehört habe – ist Radiohead. Das war ein so fester Bestandteil meiner Jugend, dass ich mir mehrere Jahre lang nichts anderes angehört habe. Als junge Person war ich sehr stark von PJ Harvey, Björk und Tori Amos – den großen alternativen Stars der 90er – inspiriert und als ich etwas älter war, war es Karen O von den Yeah Yeah Yeahs, die einen großen Einfluss auf mich ausübte. Vor kurzem war es für mich eine Offenbarung die Künstlerin Mitski für mich zu entdecken – die einen so frischen Ansatz in Sachen Indie-Rock verfolgt, der mich dann angeregt hat, selber anders über meine Musik nachzudenken.

Harmonie statt Langeweile bei Brimheim

Dann ließe sich sicherlich auch noch Torres als zeitgenössische Inspirationsquelle hinzufügen – und dann wären wir bei dem Punkt angelangt, der nahezu alle vorgenannten Acts und Brimheim miteinander verbindet – und das ist der Einsatz ungewöhnlicher, innovativer Harmoniefolgen.

Ist das auch der Anspruch, den Brimheim selbst an ihre Musik hat?

Brimheim: Ja, das ist ganz gewiss richtig. Und das schon alleine deswegen, weil ich mich schnell langweile. Ich will immer etwas, das die Sache für mich selbst interessant macht. Wenn nämlich etwas zu simpel gestrickt ist, dann langweile ich mich, wenn ich das dann mehrfach höre. Also stellt der Gedanke, interessante und ungewöhnliche Harmonien zu finden, für mich eine Motivation dar – auch weil ich ja lange Zeit mit meinen Songs leben muss; etwa wenn ich diese live aufführe.

Was ist denn dann die größte Herausforderung als Songwriterin – ein Mal abgesehen davon, dass es gilt, die Langeweile zu vermeiden?

Brimheim: Es ist an sich ja schon eine große Herausforderung, überhaupt eine Songwriterin zu sein. Mein größtes Problem ist dabei die Beständigkeit – also kontinuierlich am Ball zu bleiben und mich regelmäßig zu üben. Oft habe ich diese turbulenten Phasen, in denen ich sehr produktiv bin und dann gibt es wieder Zeiten in denen fast nichts passiert. Ich wünschte, ich könnte da etwas konsequenter agieren. Es gibt aber auch vieles, was mich beim Songwriting motiviert – auch wenn es grundsätzlich eine Herausforderung darstellt. Was mich am meisten motiviert, ist der Umstand, dass ich als Person zwar ziemlich reserviert bin und mich nur schwer mit meinem inneren Leben arrangieren kann, aber dann mit meiner Musik und in meiner Darbietung ziemlich direkt darauf zugreifen kann. Das ist dann für mich bis dato tatsächlich die einzige Möglichkeit, mein authentischstes Ich sein zu können.

Das Album „Ratking“ erscheint am 22.03. auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label Tambourhinoceros. Im Anschluss daran plant Brimheim ihre erste europäische Headliner-Tour, bei der auch einige Festival-Auftritte auf dem Programm stehen. Weitere Informationen sind auf der Homepage der Künstlerin erhältlich. (Beitragsbild von Andre Hansen)

Kommentar schreiben