Dion DiMucci, kurz Dion, ist seit Jahrzehnten eine der faszinierendsten Stimmen im Blues und traditionellem Rock’n’Roll. Dafür gebührt ihm tonnenweise Respekt, den er unter MusikerInnen zweifelsohne besitzt. Ob sein neues Album voller Kollaborationen mit großartigen Künstlerinnen, die Dion hier als „Girl Friends“ subsumiert, dazu geeignet ist diesen auch unter Musikhörenden zu mehren, kann durchaus bezweifelt werden. von Michael Thieme
Dion DiMucci, Jahrgang 1939, startete seine Karriere in der New Yorker Bronx als dominierender Part der Doo Wop-Gruppe Dion And The Belmonts. Lange vor Hip Hop war der Doo Wop eine Möglichkeit, ohne besondere instrumentale Unterstützung an den Straßenecken seine vokalen Skills zu pflegen – Mitte bis Ende der fünfziger Jahre waren die US-amerikanischen Charts voll mit schmachtenden und romantischen Liebesliedern mit mehrstimmigen Vocals. „A Teenager In Love“ war der signifikanteste Hit der Belmonts.
Anfang der Sechziger bevorzugte DiMucci rauere Sounds, verließ die Belmonts und rockte als Dion ikonisch weiter. „Runaround Sue“ und vor allem „The Wanderer“ hießen seine größten Erfolge, letzterer stand Jahre später Pate für den Film „The Wanderers“, der das Gangleben in der Bronx der Fünfziger aufarbeitete. Dions Einfluss, vor allem auf spätere Musiker seiner Hood wie
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Lou Reed, Bruce Springsteen oder Steven van Zandt, war enorm.
Christ, Protestsonginterpret, Blueskünstler
Durch überwundene Drogenerfahrungen in seiner Jugend wandte sich Dion später leidenschaftlich dem Christentum zu – dem Katholizismus, den Evangelikanen und später zurück zum Katholizismus. In den Siebzigern hatte er eine Phase, in der er auf Bob Dylans Spuren dem Singer/Songwritertum frönte, allerdings fast ausschließlich mit Fremdkompositionen wie „Abraham, Martin and John“ von Dick Holler. Nach einer „Erleuchtung“ produzierte er Gospelsongs. Mitte der 80er meldete er sich mit einem formidablen Rock’n’Roll-Comeback-Album zurück: „Yo Frankie“ rekapitulierte auf zeitgemäße Art den frühen Rock’n’Roll sowie den Doo Wop mithilfe von Bewunderern wie Bryan Adams, Paul Simon oder Dave Edmunds. In den Jahren danach und bis heute verschrieb sich Dion fast ausschließlich dem Blues, den er frisch, originär sowie mit viel Liebe auf zahllosen Alben interpretiert hat.
Enter Joe Bonamassa (und viele andere)
Bereits 2020 veröffentlichte Dion auf Joe Bonamassas Label Keeping The Blues Alive Record seine Sammlung neuer Stücke mit Beteiligung diverser Roots-Rock-Größen wie Van Morrison, Brian Setzer oder Billy Gibbons unter dem Namen „Blues With Friends“. Nun, knapp vier Jahre später, sind die „Girl Friends“ dran – weibliche Hochkaräter aus Blues, Country oder Soul wie Susan Tedeschi, Valerie Tyson, Carlene Carter, Rory Block oder Joanne Shaw Taylor. Zwölf Stücke sind drauf, alle wurden von DiMucci höchstselbst verfasst. Der fast 85jährige glänzt dabei immer noch mit hervorragender Stimme und entspanntem, ausdrucksstarkem Gitarrenspiel. Für Freunde von handwerklich exzellent hergestellter Roots-Music gibt es da nichts zu meckern, das ist großes musikalisches Kino für Genrefreunde. Wenn nur die Texte nicht wären.
Dion und sein Verhältnis zu Frauen
Als Dion DiMucci Anfang der Sechziger seine größten kommerziellen Erfolge einfuhr, war die Zeit eine andere. Toxische Männlichkeit zieht sich durch die gesamte Historie der Rockmusik, erst in den letzten Jahren wird vieles aus dieser Geschichte kritisch gesehen. Nicht zuletzt ein Verdienst durch die zunehmende Sichtbarkeit weiblicher Sichtweisen im Rock. Dass ein Mann wie Dion in den Sechzigern Fame einfuhr mit Texten, in denen über untreue Ladies gejammert wurde („Runaround Sue“) während er sich selber mit den gleichen Eigenschaften brüstet („The Wanderer“) – geschenkt. Dass er in „This Little Girl“ (1963) darüber sang, dass sein „kleines Mädchen keinen Narren aus ihm macht“ und er derjenige ist, der sie „zähmen“ wird, war allerdings bereits ein heftigeres Kaliber (der ganze Text hier).
Nun ist das jedoch 60 Jahre her und sollte keine Rolle mehr spielen, könnte man meinen. Kurioserweise wird allerdings im Anschreiben von der Plattenfirma explizit darauf hingewiesen, dass Dion schon immer von tollen Frauen umgeben war und bezieht seine lyrischen Frauen dabei mit ein: „Sogar meine Musik hat sich stark auf die Damen konzentriert: ‚Runaround Sue‘, ‚Donna the Prima Donna‘, ‚Little Diane‘, ‚Ruby Baby‘. All diese Frauen, echte und imaginäre, haben den Unterschied in meinem Leben ausgemacht“ wird Dion ebenda zitiert.
Dion als „Sugar Daddy“
„They say I’m old fashioned / They say I’m old school / I know that I’m old school but I still got it going on“ preist sich Dion in „Sugar Daddy“ im Verbund mit Christine Ohlman an, in „Don’t You Want A Man Like Me“ balzt er sich in Lustgreismanier Rory Block entgegen, die darauf nur noch entgegnen kann, dass sie „unbedingt einen Mann wie ihn“ braucht. Wie gesagt – Dion DiMucci hat alle Songs dieses Albums selbst verfasst.
Banalitäten wie das mit Carlene Carter vorgetragene „American Hero“, in dem der Held gesucht wird, der „für alle einsteht“ und in dem am Ende leise gehofft wird, dass man ja selber dieser Held sein könnte, runden darüber hinaus einen Longplayer ab, auf dem musikalisch nichts falsch gemacht wird, dessen Inhalte mit „gestrig“ oder „überflüssig“ allerdings noch dezent umschrieben sind. Wer solche Peinlichkeiten ignorieren kann wird an „Girl Friends“jedoch mit Sicherheit viel Freude haben.
„Girl Friends“ von Dion erscheint am 08.03.2024 bei Keeping The Blues Alive. (Beitragsbild: Albumcover)