Dexys: The Feminine Divine

Dexys Credit Sandra Vijandi

Ein Welthit wie „Come On Eileen“ kann belastend sein – und so verlief auch die Karriere von Kevin Rowland nicht immer rund. Knüpft das neue Album seiner Dexys an alte Großtaten an?

von Werner Herpell

Auch heute noch kommt keine gute 80er-Jahre Party ohne den größten (und für viele gefühlt einzigen) Hit dieser Band aus: Mit „Come On Eileen“ entzündeten die Dexys Midnight Runners um den autoritär-selbstbewussten Frontmann Kevin Rowland 1982 ein Feuerwerk aus Northern Soul, Celtic Folk und Punk-Drive, das sich als schier unwiderstehlich erwies. Nach dem dazugehörigen, ebenfalls längst ikonischen Longplayer „Too-Rye-Ay“ gab es zahlreiche Irrungen und Wirrungen in der Geschichte dieser bunten Truppe, so dass heute nur eine Handvoll (allerdings allesamt toller) Studioalben zu Buche stehen.

Pop-Chamäleon Kevin in Hochform

Dexys The Feminine Divine Cover 100% Records

Unter dem verkürzten Namen Dexys kamen nur zwei hinzu: das fantastische

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Konzeptwerk „One Day I’m Going To Soar“ (2012) – und jetzt, hurra, das hochwillkommene neue Lebenszeichen „The Feminine Divine“. Wieder schmachtet, barmt und sprechsingt Kevin Rowland nach Herzenslust und in absoluter Hochform, legt sein Seelenleben offen, geißelt das eigene, bislang offenbar eher schlichte Frauenbild, bereut fehlerhafte Männlichkeitsideale – und präsentiert sich als ewiges Pop-Chamäleon zumindest zeitweise wieder mal von einer ungewohnten Seite.

Musikalisch bietet das diesmal nur neun Songs in gut 40 Minuten Laufzeit umfassende Album in der ersten Hälfte nichts ganz Neues. Mitreißender Pop-Soul ist angesagt, mit wunderbar bläserlastig instrumentierten, perfekt durcharrangierten Stücken, etwa der den Macho in sich karikierende Opener „The One That Loves You“, das zu Recht als Single ausgekoppelte „I’m Going To Get Free“ oder das ähnlich intensive „Coming Home“. Die Dexys knüpfen damit beim elf Jahre alten Vorgänger an, ohne dessen einsame Klasse ganz zu erreichen – eine starke Performance ist es aber dennoch. Und Rowland leuchtet Frauenverächtern schon mal so richtig heim, indem er diesen Unsympathen den Spiegel vorhält.

Eine mutige zweite Albumhälfte

Die zweite, mit dem programmatischen Midtempo-Soul-Schleicher „The Feminine Divine“ startende Albumhälfte ist innovativer, aber für viele Fans der frühen Dexys-Hits vermutlich irritierender. Denn hier kippt die ernstzunehmende Abbitte des Sängers und Songwriters bisweilen ins Bizarre, die Lieder werden zwar mutiger, aber auch sperriger. „My Goddess Is“ lebt von einem 80s-Funk-Groove, rap-artigen Vocals und Rowlands fortgesetztem Unterwerfungs-Gestus. Die inzwischen devote Haltung des einstigen Unterdrückers einer „göttlichen Weiblichkeit“ manifestiert sich in „Goddess Rules“, wenn eine starke Frau dem männlichen Hanswurst zu einem monotonen Riff die neue Welt erklärt: „You will worship me every day, because I’m Your goddess, You understand?“.

Rowland sagte gerade erst dem deutschen „Rolling Stone“ (August-Ausgabe) zum „großen Männer-Erwachen“ in diesen beiden ungewöhnlichen Songs: „Es geht um meine Erfahrung, die teils mit dem übereinstimmt, was ohnehin gerade in der Luft liegt.“ Der fast 70-jährige Musiker nennt die „Goddess“-Tracks später in dem Interview „Schlafzimmerzeugs, ein Rollenspiel, nicht ernst zu nehmen“. Dabei ist seine theatralische Feminismus-Feier aber wohl auch keine Ironie. Er war halt schon immer etwas kompliziert, der Kevin.

Auch die seidige Piano/Streicher-Ballade „My Submission“ (mit einem, nun ja, durchaus gewöhnungsbedürftigen Video) könnte als Schnulze missverstanden werden – wenn sie nicht vom großen Kevin Rowland (dieses irre Falsett!) und den ihm ergebenen Dexys stammte. „Dance With Me“ bildet den in jeder Hinsicht versöhnlichen Abschluss – auch hier orientiert sich der berauschende Synthie-Groove an den frühen/mittleren 80ern, etwa an den ersten Songs von Paul Weller mit The Style Council („Long Hot Summer“) oder an schwülen Prince-Balladen.

Dexys mit Ecken und Kanten

„Eine persönliche, wenn auch nicht streng autobiografische Platte, die einen Mann porträtiert, dessen Ansichten sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt haben“ – so charakterisiert das Dexys-Label 100% Records die erst fünfte Platte mit Originalmaterial von Kevin Rowland und seiner Band seit dem sagenhaften Debüt „Searching For The Young Soul Rebels“ vor 43 Jahren. „The Feminine Divine“ zeigt einen brillanten Singer-Songwriter mit Ecken und Kanten, der sich erst dann zurückmeldet, wenn er etwas zu erzählen hat.

Klar ist aber auch: Diese ambitionierte Platte wird nicht jedem Fan von „Geno“ oder „Come On Eileen“ gefallen. Seinen Legendenstatus (mehr als eine Milliarde weltweiter Streams, drei Top-10-Alben in Großbritannien, zwei Nummer-1-Singles, ein Brit Award) untermauert Rowland angesichts der selbstkritischen aktuellen Texte jedoch allemal. Auf die Deutschland-Konzerte zu dieser famosen Crooner-Soul-Revue im Herbst (02.10.2023 München, 04.10.2023 Berlin, 05.10.2023 Hamburg, 12.10.2023 Dortmund) darf man sehr gespannt sein.

Das Album „The Feminine Divine“ von Dexys erscheint am 28.07.2023 bei 100% Records. (Beitragsbild von Sandra Vijandi)

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