Elena Ferrante: Die Geschichte der getrennten Wege – Roman

 

Turbulente Erwachsenenjahre

Die Wege der beiden Freundinnen Elena Greco und Lila Cerullo trennten sich bereits am Ende des zweiten Bandes von Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga. Während Elena in Pisa ihr Studium abschließt und einen Roman veröffentlicht, bleibt Lila in Neapel hängen, arbeitet zwar unter unmenschlichen Bedingungen in einer Wurstfabrik, befreit sich jedoch vom Martyrium ihrer Ehe mit Stefano Carracci, kehrt ihrem Heimatviertel den Rücken und wohnt gemeinsam mit ihrem Sohn Gennaro und Kindheitsfreund Enzo Scanno in einem anderen Stadtteil.

Mitte der 60er-Jahre endete Die Geschichte eines neuen Namens, für den Zeitraum von gut zehn Jahren bis in die Mittsiebziger führt Elena Ferrante die Freundschaftsgeschichte zwischen Lila und Elena mit Die Geschichte der getrennten Wege fort. Wie der Romantitel es impliziert, wird die Distanz der beiden zunehmend größer, die Lebensentwürfe entwickeln sich entgegengesetzt, führen bei beiden indes zu Verdruss. Kurzfristig macht Elena Karriere als Autorin, ihr Buch wird von der Presse zwiegespalten aufgenommen, bleibt so aber im Gespräch. Im weiteren Romanverlauf heiratet sie ihren Kommilitonen Pietro Airota,  bekommt zwei Kinder und wird in ein unzufriedenes Dasein als Mutter und Hausfrau katapultiert, das sie als Intellektuelle unterfordert, zumal es sie von weiteren Schreibarbeiten zunächst abhält. Elenas generelles Problem ist, dass sie immer überall dabei ist, aber nie mittendrin.

Sounds & Books_Elena Ferrante_Die Geschichte der getrennten Wege_CoverFür ihre einfachen Herkunftsverhältnisse, die ihr immer irgendwie peinlich sind, hat sie es natürlich geschafft. Im familiären und heimatlichen Rione ist sie die „Studierte“ und abgehobenen Schriftstellerin und gleichzeitig auch eine Endfremdete. In ihrer angeheirateten Akademikerfamilie wird sie jedoch höchstens als wohlwollend geduldeter Emporkömmling aus der Unterschicht angesehen. Zwar erfahren die Leser genug über die dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen Italiens in den 60er- und 70er-Jahren (u.a. die gewalttätige Zuspitzung zwischen Kommunisten und Faschisten), doch bleibt Elena eine reagierende Figur, während Lila als Fabrikarbeiterin in Turbulenzen an der Front erfährt. Allerdings gerät Lenas Privatleben in Aufruhr, als ihre große Liebe, der Schwerenöter Nino Sarratore erneut bei ihr aufkreuzt. So ist das Politische bei Elena häufig das Private und führt dort zu gravierenden Veränderungen.

Vielleicht das einzige Manko des dritten Teils, dass Elena in ihrer Strebsamkeit ständig an ihre Grenzen stößt und nicht die Gabe besitzt, sich ins Leben fallen zu lassen. Sie wirkt teilweise wie eine Randfigur, obwohl sie ständig im Mittelpunkt steht. Die zeitgeschichtlichen Umstände hätten mehr Möglichkeiten geboten. Lila hingegen riskiert wie so häufig mehr, ihr Leben ist das interessantere. Elena Ferrantes Erzählfluss ist aber auch in Die Geschichte der getrennten Wege so phänomenal, wie aus den ersten beiden Bänden bekannt. Auf sprachlich hohen Niveau, versteht es die italienische Autorin, süffig, mitreißend und eloquent zu fabulieren. Das hat nach wie vor Stil und Klasse. Jetzt heißt es warten bis Januar, um den vierten und letzten Band Die Geschichte des verlorenen Kindes in voller Pracht zu genießen.

Elena Ferrante: „Die Geschichte der getrennten Wege“, Suhrkamp, aus dem Italienischen übersetzt von Karin Krieger, Hardcover, 540 Seiten, 978-3518-42575-6, 24 €.  

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