M. Ward im Interview

Mit „Supernatural Thing“ legt der US-Folkrock-Songwriter M. Ward eines seiner besten Alben vor. Im Interview geht es um die neuen Songs, ihre Inspirationen und eine spannende Karriere.

Interview von Werner Herpell

Unter all den großartigen US-amerikanischen Singer-Songwritern klingen seine Stimme und seine Lieder unverwechselbar. Die Musik von Matthew Stephen Ward (49) – als Künstler ganz bescheiden M. Ward – hat eine besondere Atmosphäre, eine Art Patina, als wehte sie aus einer lange zurückliegenden Pop-Ära (den Vierzigern? den Fünfzigern?) zu uns herüber. Am meisterlichsten bekam er die Mixtur aus Old-Time-Folk, Blues, knarzigem Rock und traumverlorenen Balladen auf dem Album „Hold Time“ (2009) hin. Aber auch die jüngeren Werke des tollen Sängers und Gitarristen aus Portland/Oregon – „Migration Stories“ und die Billie-Holiday-Hommage „Think Of Spring“, beide von 2020 – waren sehr hörenswert.

Nach einem umjubelten Konzert im Berliner Prachtwerk sprach M. Ward mit „Sounds & Books“ über das hier bereits sehr positiv rezensierte neue Album „Supernatural Thing„, seine Inspirationen und seine ungewöhnliche Karriere (unter anderem auch im Pop-Duo She & Him mit Zooey Deschanel und im

___STEADY_PAYWALL___

All-Star-Quartett Monsters Of Folk).

Hallo Matt, schön, mal wieder „face to face“ mit Dir sprechen zu können – Danke dafür! Zunächst mal: Das war ein wunderbares Konzert gestern Abend im „Prachtwerk“. Du hattest offenbar viel Spaß an und mit Deinem Berliner Publikum. Viele amerikanische Künstler sagen ja, dass es ein großes Vergnügen sei, vor deutschen Zuhörern zu spielen – weil die wirklich zuhören.

Die deutschen Fans und ihr „Spirit“

M. Ward: Ja, ich liebe es, nach Berlin zu kommen! Das Publikum ist hier immer so warmherzig und zugewandt, es hat immer den richtigen „Spirit“. Die Leute genießen es nicht nur – sie absorbieren die Musik geradezu. Das macht Deutsche irgendwie zu den perfekten Zuhörern. Ich habe noch nichts Konkretes, aber ich werde bestimmt mit Band zurückkommen, Ende dieses Jahres oder nächstes Jahr.

Darauf freue ich mich schon. So, dann lass uns mal über Dein neues Album „Supernatural Thing“ sprechen. Wieder ein brillantes Werk, finde ich, Dein bestes seit „Hold Time“, mit ähnlich traum-ähnlicher Atmosphäre. Wie lässt es sich mit Deinen vorherigen Platten vergleichen?

M. Ward: Das Album blickt ein bisschen mehr nach draußen. „Migration Stories“ war eine nach innen gewandte Platte. Wenn ich „Supernatural Thing“ vergleichen sollte, dann mit „Transistor Radio“. Weil es die gleichen obsessiven Ideen verfolgt wie damals, als ich jenes ältere Album machte. Es ging und geht nun wieder darum, eine Erinnerung in ein Album zu verwandeln – von meinem ersten Kontakt mit dem Radio und diesem Gefühl eines Geheimnisses dahinter. Das ist für mich auf ewig inspirierend. „Supernatural Thing“ liegt auf genau dieser Linie.

„Transistor Radio“ wurde 2005 veröffentlicht – Deine neue Platte ist also eine Fortsetzung nach 18 Jahren?

„Kapitel ein- und desselben Buchs“

M. Ward: Ja, dahinter steht die Idee, dass alle meine Platten Kapitel ein- und desselben Buchs sind. Auch wenn ich der einzige bin, der die Verbindungen sieht – für mich ist es wichtig, Verbindungen zwischen einzelnen Alben herzustellen, wie auch Verbindungen innerhalb eines Albums. Das hilft mir, alles irgendwie zusammenzubinden.

Also hat „Supernatural Thing“ eine Art übergeordnetes Konzept?

M. Ward: Es ähnelt „Transistor Radio“ darin, wie ich meine ganz frühe Faszination durch das Radio wieder heraufbeschwören wollte. Außerdem ist es Musik über Musik, es sind Songs über Songs. Mein erster Kontakt zur Musik ging ja Hand in Hand mit dem Kontakt zum Radio, im Alter von acht oder neun Jahren. Das hat mein Leben verändert. Und Musik verändert mein Leben auch weiterhin. Warum gibt es sie, welche Bedeutung hat sie? Wichtige Fragen, von denen ich hoffe, dass sie nie ganz beantwortet werden, weil ich so sehr vom Mysterium drumherum fasziniert bin.

Was hat „The King“, also Elvis Presley, auf dem Album und im Titelsong zu suchen? Er spielt ja auch in dem Video eine ziemlich prominente Rolle.

Ein euphorischer Traum von Elvis

M. Ward: Dieser Song ergab sich durch einen Traum, dass ich Elvis treffe, direkt nach meiner ersten Anti-Covid-Impfung. Das Gefühl, wieder reisen zu können, war so euphorisch. Und es war ein euphorischer Traum, den ich direkt in einen Song verwandelte, in dem Elvis zu mir sagt: „You can go anywhere You please“. Es dauerte nur 30 Minuten, das Lied zu schreiben. Wir sind jetzt alle durch diesen Corona-Mist durchgegangen, und ich bin gespannt, welche Filme und welche Musik daraus noch entstehen wird.

„Dedication Hours“, der neue Song mit Neko Case, könnte direkt aus den Fifties kommen. Magst Du dieses Jahrzehnt besonders?

M. Ward: Ich habe viel Musik dieser Zeit geradezu aufgesaugt, und wenn man das tut, kommt es irgendwann wieder zum Vorschein. Der Einfluss für dieses Lied? Das Piano-Spiel meines Freundes Gabriel Kahane hat es auf ein Level gehoben, das ich nicht erwartet hatte. Und dann der Geist von „I Only Have Eyes For You“ dahinter – ein Song, von dem ich auf ewig besessen sein werde.

Wer ist diese „Mr. Dixon“ des Liedes mit Shovels & Rope? Vermutlich doch ein Blues-Mann, oder?

M. Ward: „Viele Amerikaner sind ignorant“

M. Ward: Ja, Willie Dixon, der Mitte des vorigen Jahrhunderts populär wurde. Er ist bekannt als einer der Architekten des Blues. Später führte er Prozesse gegen Led Zeppelin und andere Künstler, die seine Musik an sich genommen hatten, ohne ihn zu erwähnen. Es gibt immer noch so viele Leute in Amerika, die sich nicht scheren um die Schuld gegenüber afroamerikanischen Künstlern, ihrer Kultur, ihrer Musik. Black Lives Matter öffnete mir die Augen dafür, wie ignorant viele Amerikaner sind. Daher kam das Lied.

Auf diesem neuen Album, wie auf anderen von Dir davor, sind tolle Gäste zu finden: First Aid Kit, Neko Case, Scott McMicken, Jim James. Wie ergab sich das? Hast Du einfach das Telefon genommen und sie angerufen?

M. Ward: Nein, es geht mit einer E-Mail los (lacht). Was First Aid Kid betrifft – sie zu  hören und im Studio zu treffen war ein toller Thrill. Als Schwestern sind sie geborene Harmony-Sängerinnen. Ich fühle mich geehrt, dass sie auf zwei meiner neuen Songs dabei sind, auf „Too Young To Die“ und „Engine 5“. Sie haben diese Lieder auf ein anderes Level gebracht. Ich will auf  jeden Fall nochmal mit ihnen zusammenarbeiten.

Als Solo-Künstler bist Du ziemlich bekannt in Folk-Kreisen, aber nicht so sehr in der breiten Öffentlichkeit. Viel mehr Menschen kennen Dich vom Projekt She & Him mit der Schauspielerin Zooey Deschanel. Könnte sich daran noch etwas ändern?

She & Him und der Schneeball-Effekt

M. Ward: Ich denke, was ich mit She & Him erreicht habe, steht auf einem anderen Blatt. Es ist möglich, auf beiden Feldern gleichzeitig unterwegs zu sein. Ich liebe das, was Zooey macht – sie ist eine unglaubliche Sängerin und eine goße Songwriterin, aber für uns beide ist das Projekt kein Fulltime-Job. Das ist auch der Schlüssel zu seiner Langlebigkeit. Ursprünglich wollten wir eine Platte machen, und das war’s dann. Aber es gab einen Schneeball-Effekt. Die Reaktionen waren super, es ergaben sich immer mehr gemeinsame Platten – überraschend für uns alle. Zugleich ist es für mich auch mal nett, nicht auf dem Fahrersitz zu sein.

Also wird es weitere Alben von She & Him geben?

M. Ward: Das denke ich doch. Aber noch ist nichts geplant. Vermutlich wird die nächste Platte nach dem Beach-Boys-Cover-Projekt wieder eine mit She & Him-Originalen sein. 

Es gab noch ein anderes Projekt, die Promi-Band Monsters Of Folk. Können wir auf ein weiteres Album von Jim James, Conor Oberst, Mike Mogis und Dir hoffen?

M. Ward: Wir sind im Gespräch. Ich sehe die Jungs vielleicht ein, zwei Mal im Jahr, wir sind weiterhin befreundet. Das letzte Gespräch drehte sich um ein Re-Issue des gemeinsamen Albums (von 2009). Vielleicht fügen wir ein paar Songs hinzu.

Matt, Du wirst im Oktober 50. Gibt es etwas, das Du unbedingt noch als Solo-Künstler ausprobieren möchtest – zum Beispiel ein großes Hit-Album, oder einen Film-Score?

M. Ward will auch weiterhin „überraschen“

M. Ward: Ich habe da keine besonderen Ziele, außer mit offenem Visier weiter zu tun, was ich tue, um mich zu überraschen – reisen oder mit anderen Sängern arbeiten, mit spanisch- oder französischsprachigen. Meine Mutter ist Mexikanerin, daher ist Spanisch ein Teil von mir.

Also keine Ambitionen, doch noch ein Superstar zu werden?

M. Ward: Überhaupt nicht. Das war nie meine Absicht. Ich habe nichts gegen das gelegentliche Rampenlicht, will aber darin nicht auf Dauer leben.

Danke, Matt, für dieses ausführliche Gespräch.

„Supernatural Thing“ von M. Ward ist am 23.06.2023 bei Anti- Records erschienen. (Beitragsbild: M. Ward by Jacon Boll)

Kommentar schreiben