Lloyd Cole im Interview

Lloyd Cole credit Mark Dellan

Nach dem von der Kritik (und auch den meisten Fans) gefeierten Synth-Pop-Album „Guesswork“ bleibt Lloyd Cole diesem Kurs auf „On Pain“ treu. Sounds & Books sprach mit dem Singer-Songwriter.

Interview von Werner Herpell

Es ist ein langer Weg von den Folkrock- und Gitarrenpop-Songs mit den Commotions auf dem längst legendären Debüt „Rattlesnakes“ (1984) bis zu den eleganten Synth-Pop-Tracks seiner neueren Alben. Hohe bis höchste Qualität war jedoch zu jeder Karrierephase ein Markenzeichen des Briten Lloyd Cole. Auch „On Pain“, der am Freitag (23.06.2023) erscheinende Nachfolger des gefeierten „Guesswork“ (2019), ist eine schöne, reife Platte geworden, die statt klingelnder Gitarren erneut auf melancholische Keyboard-Sounds setzt. Sounds & Books hat sich mit dem inzwischen 62-jährigen, seit langem in den USA  lebenden Cole via Zoom unterhalten – und traf auf einen freundlichen, erstaunlich

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jung und (dank Golfspielen und Radfahren) sehr fit wirkenden Musiker.

Hallo Lloyd, schön, Dich endlich mal wieder zu einem Interview zu treffen. Von wo aus sprichst Du gerade?

Lloyd Cole: Ich sitze in meinem Studio in Massachusetts, hier habe ich im Wesentlichen auch das neue Album gemacht.

Ich bin echt überrascht – Du siehst so viel jünger aus, als ich es von manchen neueren Bildern erwartet hatte. Was ist zum Beispiel mit Deinem Bart passiert?

Lloyd Cole hält sich fit mit Golf und Radfahren

Lloyd Cole: Gut beobachtet. Ja, ich rasiere mich jetzt wieder öfter, denn wenn ich es nicht tue, dann wächst mein Bart sehr stark und wird weiß, und das sieht einfach nicht gut aus. Außerdem bin ich zuletzt viel Rad gefahren.

Ja, ich sah es auf Twitter, dass Du viel mit dem Rennrad unterwegs bist. Also tatsächlich, Du siehst viel jünger aus… Okay, ich blicke jetzt mal zurück: Im März vor drei Jahren habe ich Dich mit dem Gitarristen Neil Clark in Berlin live gesehen – es war mein letztes Konzert vor dem Corona-Lockdown. Wie hast Du diese schwierige Zeit als Künstler überstanden? Und hat sich durch Covid wenigstens Dein Golf-Handicap verbessert?

Lloyd Cole: Nein, das leider nicht (lacht). Aber immerhin, es hat meiner Gesundheit sicher gut getan, Golf zu spielen, während auch ich ja Distanz zu anderen Menschen wahren musste. Außerdem konnte ich wie gesagt Radfahren, zeitweise zwar mit Maske auf den Radwegen, aber immer noch besser als nichts zu tun. Also das sind sowieso meine beiden Hobbys, daher hatte ich noch Glück. Zu Deiner Frage wegen des Berlin-Konzerts: Danach haben wir noch ein paar Konzerte gespielt, irgendwann waren wir in Hamburg, dann fuhren wir nach Göteborg in Schweden, und da kam der Lockdown.

Schon dadurch habe ich Geld verloren, weil die Tournee abgebrochen werden musste, und danach hockte ich zwei Jahre lang zuhause mit null Einkommen rum. Also musste ich im Internet eine Patreon-Crowdfunding-Seite starten, für Memorabilia oder Songnotizen und derartige Dinge für meine Abonnenten. Heute frage ich mich, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe. Auch diese Patreon-Sache und die Gemeinschaft mit meinen Fans haben mich wirklich davor bewahrt, meine Gesundheit einzubüßen.

Wie ging es dann weiter, wie kam es zum Album „On Pain“?

Lloyd Cole: Das war zunächst schwierig, weil ich in der Covid-Zeit gar kein Momentum, keinen Schub dafür entwickeln konnte. Erst Anfang vorigen Jahres, als ich wusste, dass es zwei Jahre nach Göteborg wieder Konzerte geben würde, ging es voran. Ich kam von Auftritten mit Neil (Clark) hierhin zurück, arbeitete einige Monate an dem Album und mixte es im September und Oktober mit Chris Hughes im UK.

„On Pain“ ist wieder ein brillantes Album geworden, eine Fortsetzung von „Guesswork“ mit all diesen subtilen elektronischen Rhythmen und warmen Keyboard-Sounds. Die Website Allmusic schreibt dazu lobend: „Cole found a middle ground between the storytelling of his vocal albums and his growing body of electronic projects.“ Bist Du damit einverstanden?

Scott Walker statt The Smiths

Lloyd Cole: Ja, so etwas hatte ich mit „Guesswork“ erreichen wollen. Viele Jahre gab es bei mir eine Abgrenzung: Wenn ich singe auf einem Album, dann sollte es nicht so elektronisch sein. Das hatte ich 1993 bei „Bad Vibes“ mal anders gemacht, und es war ein Desaster. Aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich elektronische Musik gehört, ich hatte sie schon immer gemocht. Heute höre ich zum Beispiel nicht mehr The Smiths oder Morrissey, die ich in den 80ern geliebt habe – sondern eher den späten Scott Walker, oder derzeit eine amerikanische Komponistin namens Kali Malone, die kaum Melodien produziert, sondern fast nur noch Sound.

Also wollte ich ein Album machen, das der Musik ähnelt, die ich selber hören mag. „Guesswork“ unterschied sich daher sehr von meinen früheren Sachen. Und als das erreicht war, dachte ich: Okay, das geht also, nun schauen wir mal, wie wir das weiterentwickeln können. Das war dann die Idee für „On Pain“ – mit „Guesswork“ als Startpunkt in alle Richtungen extremer zu werden. Das minimalistische Zeug sollte noch minimalistischer werden, das poppige Zeug noch poppiger, das abstrakt klingende Zeug noch abstrakter.

Deine neuen Songs sind wieder ziemlich melancholisch, auch traurig – etwa das Titelstück oder der Closer „Wolves“. Einiges erinnert mich an die Schotten The Blue Nile, speziell an ihre Platte „Hats“ von 1989. Kannst Du mit diesem Vergleich was anfangen?

Lloyd Cole: Paul Buchanan, der Mastermind von The Blue Nile, hat damals etwas sehr Schlaues und auch Sonderbares getan für jemanden, der noch so jung war. Niemand sonst außer Scott Walker hat als junger Sänger solche Melodien gehabt. The Blue Nile haben außerdem eine neue Art Minimalismus erfunden, gerade auch mit „Hats“. Ja, diese Musik war für mich sehr inspirierend. Und daher habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn meine aktuellen Sachen mit „Hats“ verglichen werden – das ist für mich ja immerhin die beste Platte überhaupt von einer schottischen Band.

„The Idiot“ ist ein ganz großartiger Song, auch textlich. Ich bin alt genug, um die Geschichte dahinter – David Bowie und Iggy Pop in Berlin Mitte der 70er Jahre – zu kennen. Magst Du auch unseren jüngeren Lesern mal von der Idee dieses Liedes erzählen?

„The Idiot“ als Geschichte gegenseitiger Rettung

Lloyd Cole: Klar, gern. Ich habe übrigens schon mit Leuten gesprochen, die diese Verbindung gar nicht gesehen haben. Das ist für mich auch okay, denn eigentlich mag ich es gar nicht so sehr, dass ein Song immer von einer bestimmten Sache handeln muss. Wer also nichts von David und Iggy weiß, hört darin halt etwas Anderes, und ich hoffe, das funktioniert trotzdem. Für mich geht es zunächst mal um zwei Menschen, die sich gegenseitig retten vor einem fast sicheren Tod. Bowie war davor ja schon mal leblos in seinem Haus gefunden worden, und Iggy Pop lebte zeitweise auf der Straße. Es ist einfach eine schöne Sache, dass beide dann 1976/77 (in Berlin) zusammen lebten und sich gegenseitig retteten.

Deine Singstimme ist fantastisch gealtert, sie klingt besser denn je auf dem neuen Album. Hast Du dafür Unterrichtsstunden genommen, oder hängt es nur mit wachsender Erfahrung zusammen?

Lloyd Cole: Zunächst mal freue ich mich natürlich sehr, dass Du das sagst. Ich hatte einmal Unterricht, das war 1985. Die Lehrerin sagte mir zwar, dass ich eigentlich mit meinem Gesangsstil alles falsch machte, dass ich aber doch lieber dabei bleiben sollte. Und dafür zeigte sie mir einige Übungen, um meine Stimme stärker zu machen, wenn sie sich schwach anfühlt. Ungefähr vor 20 Jahren habe ich das Rauchen eingestellt, vielleicht hat das geholfen, keine Ahnung. Meine Bandbreite zwischen hohen und tiefen Tönen ist eigentlich nicht mehr so groß wie früher. Aber ich habe ja einen Vocal-Synthesizer, mit dem ich meine Stimme behandeln kann wie jedes andere Instrument. Und ich scheue auch nicht mehr davor zurück, dies zu tun.

Es gibt auch gute Nachrichten für Fans Deiner ersten Band The Commotions, denn Neil Clark und Blair Cowan spielen auf „On Pain“ mit. Wie kam es dazu? Und gibt es auch eine besondere Freundschaft mit Joan Wasser von Joan As Police Woman, die diesmal auf „Wolves“ und auch schon früher Vocals zu Deinen Alben beigesteuert hat?

Joan, Neil und Blair sind zurück auf „On Pain“

Lloyd  Cole: Also Joan kenne ich schon lange durch meinen Freund Dave Derby, der bereits „Broken Record“ von 2010 produziert hatte. Ich bin ein großer Fan von ihr, besonders von ihrem Debüt „Real Life“. Wir wurden Freunde, obwohl wir weit voneinander entfernt leben und uns nur selten sehen, aber wir mailen und tauschen uns aus. Neil und Blair waren beide schon auf „Guesswork“ vertreten, und eigentlich wollten wir auch für „On Pain“ wieder gemeinsam im Studio arbeiten – aber dann kam Covid, und die Plänen mussten geändert werden.

Du wurdest mal zitiert, dass „On Pain“ eine Art kommerzieller Selbstmord sein könnte. Glaubst Du wirklich, es gibt heute keine Zuhörer mehr für solche eleganten, starken Lieder?

Lloyd Cole: Das bezog sich eher auf die Idee eines Albums an sich in der heutigen Zeit, wo es doch vor allem um Streaming-Plattformen geht und um Playlists und um einzelne Tracks. Daher dachte ich zeitweise, das Album als Kunstform könnte bald tot sein. Aber andererseits gibt es die Wiederauferstehung der Vinylplatte, und dies wird die Idee eines Albums irgendwie doch am Leben halten. Und außerdem, wenn ich an meiner Musik arbeite, dann geht es mir ohnehin nicht um kommerzielle Erwägungen, dann denke ich gar nicht an so etwas – das wäre auch nicht gut für meine Karriere.

Wenn das Album dann fertig ist, dann muss ich natürlich an die ökonomischen Dinge denken, an Promotion und Tourneen und so, um meine Musik zu den Menschen zu bringen. Und da kann ich erfreulicherweise sagen, dass die Rezeption von „On Pain“ in den Medien bisher schon extrem positiv ist, gerade auch in meiner Heimat UK.

Du bist vor zwei Jahren 60 geworden, hast jetzt 16 Alben veröffentlicht, die allermeisten zumindest von den Kritikern bejubelt. Denkst Du nun über Deine Zukunft als älterer Singer-Songwriter nach? Kommt also demnächst – ich zitiere Dich selbst – noch mehr „music that brings beauty into your life“?

Lloyd Cole: Meine Musik soll das Leben bereichern

Lloyd Cole: Das will ich doch hoffen, es ist jedenfalls mein Ziel. Ich will das Leben von anderen Menschen bereichern, so wie die Musik mein Leben bereichert hat. Das ist eigentlich eine ganz einfache Ausrichtung für die Zukunft. Ich bin jedenfalls definitiv noch nicht fertig und habe schon einige tolle Ideen für mein nächstes Projekt.

„On Pain“ von Lloyd Cole erscheint am 23.06.2023 bei earMUSIC/Edel. Eine Album-Review bei Sounds & Books folgt.

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