Gar nicht so einfach, im überbevölkerten Feld der folkigen Singer-Songwriterinnen noch hervorzustechen. Katy Kirby schafft es mit ihrer zweiten Platte „Blue Raspberry“ allerdings locker.
von Werner Herpell
Sie habe einfach versucht, „objektiv schöne Musik zu machen, was immer das auch heißen mag“, sagt die in New York lebende Singer-Songwriterin Katy Kirby über ihr zweites Album „Blue Raspberry“. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn egal wieviel man über die elf Lieder, ihre Entstehungsgeschichte und ihren thematischen Hintergrund weiß – diese Platte ist ohne Wenn und Aber eine sehr schöne.
Folkpop mit Country- und Jazz-Noten
Wer Singer-Songwriter-Pop mit dezenten Country-Folk-Noten und gelegentlich jazzigen Arrangements mag, wird sich vom Opener „Redemption Arc“ bis zum Closer „Table“ sofort heimisch fühlen in Kirbys Klanggemälden. Zumal eine gewisse Nähe zu den Beatles und eine mehr als nur angenehme Folk-Stimme (in beidem der wunderbaren Aimee Mann oder den derzeit so angesagten Kolleginnen Angel Olsen und Julia Jacklin nicht unähnlich) den Wellness-Faktor noch zusätzlich erhöhen.
„Blue Raspberry“, Kirbys erstes Album für das Auskenner-Label ANTI-, zeichnet zum einen die Beschränkungen einer Jugend als zu Hause unterrichtete evangelikale Christin (die Musikerin stammt aus dem erzkonservativen US-Bundesstaat Texas) nach. Zum anderen schildern die Lieder Kirbys befreiendes Coming-Out und ihre erste lesbische Liebesbeziehung (was sich auch im Cover-Artwork widerspiegelt).
„Songs wie Perlen auf einer Schnur“
„Diese Platte ist viel persönlicher, als ich es beabsichtigt hatte“, erzählt sie. „Ich war in einer Phase, in der ich mit meiner Art zu schreiben experimentierte, und was dabei herauskam, war ein Song über eine Frau, über eine imaginäre Frau. Ich dachte nicht, dass ich als oder über mich selbst schreibe, aber diese Art von Songs kamen immer wieder heraus, mit Fragmenten von sich überschneidenden Texten, die sie wie Perlen auf einer Schnur miteinander verbinden. Sie schienen dieselbe Welt zu bewohnen.“
Der Titelsong ist das älteste Stück des Albums. „Ich fing an, ihn zu schreiben, etwa einen Monat bevor mir klar wurde, dass ich queer bin“, sagt Katy Kirby. Im Hintergrund stehe „eine Tradition der Sehnsucht in Country-Liebesliedern“. Für diesen und andere Tracks von „Blue Raspberry“ – insgesamt eine deutliche Weiterentwicklung des auch schon ziemlich abgefeierten Debüts „Cool Dry Place“ (2021) – entwickelte Kirby zusammen mit ihrer Band und Arrangeur Rowen Merrill einen opulenten, fast orchestralen Sound für zusätzliche Tiefe und Magie.
Objektiv schöne Musik von Katy Kirby
Ob das nun zwingend „queere Liebeslieder, die die Künstlichkeit zelebrieren“, sind oder schlicht und einfach zeitlose, textlich hochsensible Songjuwelen, tut letztlich nichts zur Sache. Katy Kirby ist schon mit ihrer zweiten Platte ein Aushängeschild der Singer-Songwriter-Kunst geglückt. „Objektiv schöne Musik“ halt.
Das Album „Blue Raspberry“ von Katy Kirby ist am 26.01.2024 bei ANTI-/Indigo erschienen. (Beitragsbild von Emma Montesi)