Gruff Rhys live in Berlin 2024

Gruff Rhys live Berlin 2024 Badehaus by Werner Herpell Sounds & Books

„Live strebe ich eine euphorische Melancholie an“, hat Gruff Rhys für seine Tournee zum neuen Album „Sadness Sets Me Free“ angekündigt. Bei einem Berliner Konzert liefert der Waliser.

Text und Fotos von Werner Herpell

Dass Gruff Rhys ein brillanter Songwriter, aber auch ein ziemlich schräger Vogel ist, wusste man ja schon länger. Seine Karriere nach den großen Erfolgen mit der Britpop-Band Super Furry Animals seit Mitte der 90er war stets unvorhersehbar – experimentelles Frickelzeug neben orchestralen Alben, walisische Texte (schon auf dem Solo-Debüt „Yr Atal Genhedlaeth“ von 2005) neben englischen, wirre Späße neben hoher Seriosität stehen in dieser Diskografie nah beieinander. Auch das Berliner Konzert des 53-Jährigen am 28.02.2024 im überschaubar großen, aber ausverkauften Club Badehaus wird als entspannte Feier des nerdigen Humors bei sehr ernsthafter, sehr guter Musik in

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Erinnerung bleiben.

„Sadness Sets Me Free“ als Motto

Mit einem großen Schild entert Rhys die kleine Bühne, wie seine vier Mitstreiter an Schlagzeug, (Stand-)Bass und zwei Keyboards in einen weißen Monteursanzug gekleidet. „Sadness Sets Me Free“ steht auf dem Plakat – das Motto des Abends, abgeleitet vom Titel des neuen Albums, das derzeit allerorten (auch bei Sounds & Books) tolle Kritiken einfährt. Los geht’s mit „I’ll Keep Singing“, dem Closer des als süffige Sixties-Pop-Hommage angelegten aktuellen Werks. Es folgen mit dem Titelsong und dem eingängigen „Bad Friend“ weitere Tracks daraus. Da diese noch wenig vertrauten Lieder so wunderbar melodisch und zugänglich sind, hat das mit Rhys‘ Schaffen offenkundig eng verbundene Publikum keine Probleme, schnell warm zu werden.

„Pang!“ vom gleichnamigen 2019er Album ist das erste Stück der Setlist, in dem Walisisch gesungen wird – später kommen noch ähnlich regionalexotische Lieder wie „Taranau Mai“ oder „Gyrru Gyrru Gyrru“ hinzu. Zwischendurch nuschelt Rhys ein paar Worte ins Publikum, die zwar wohl auf Englisch, aber kaum besser verständlich sind. Auch optisch ist der Frontmann kein Selbstdarsteller – mangels frontal wirksamer Lightshow bleibt sein Gesicht meist im Halbdunkel unter einer Basecap verborgen. Der sympathisch unangepasste Charme dieses Sängers und Gitarristen blitzt dennoch immer wieder auf – Rhys ist ein ganz Netter, der sich trotz seines im UK fast schon legendären Rufs nicht zu schade ist, in Deutschland vor 250 Leuten den Clown mit den genialen Geistesblitzen zu geben.

Gruff Rhys hat Spaß – die Fans auch

Rund 20 Stücke umfasst das letztendlich mit knapp zwei Stundem ziemlich lange, aber nie langweilige Berliner Konzert – Altes und Neues, Psychedelisches in Pink-Floyd-Nähe (die frühen, mit Syd Barrett!) und opulenter Pop der klassischen 60er/70er-Schule (The Beach Boys, The Kinks), Abgedrehtes und Berührendes. Die Band um den US-amerikanischen Top-Schlagzeuger Clifton Thomas „Kliph“ Scurlock (früher The Flaming Lips) und Huw Williams am Bass spielt hervorragend, der Sound im „Badehaus“ ist ein bisschen schrammelig, aber nie nervig.

Am Ende holen Rhys und Scurlock ein Papierschreddergerät auf die Bühne und zerkleinern darin unter Gejohle die vorher erbetenen Wunschlisten ihrer Fans – ein augenzwinkernder Spaß. Der Albumtitel „Sadness Sets Me Free“ lässt vermuten, dass Gruff Rhys eine Krise mit einem Befreiungsschlag hinter sich gelassen hat – die neuen Songs „fühlen sich melancholisch an oder sie handeln von beschissenen Dingen“, sagt er selbst. In Berlin ist die Laune jedenfalls bestens, bei der Band und beim Publikum. „Live strebe ich eine euphorische Melancholie an“, hat der Waliser vor der Tournee angekündigt. Volltreffer! Ein feines Konzert eines großen Britpop-Individualisten.


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