Colson Whitehead: Die Regeln des Spiels

Colson Whitehead credit Madeline Whitehead

In herausragender Art setzt Colson Whitehead seine mit „Harlem Suffle“ begonnene Ray-Carney-Story mit „Die Regeln des Spiels“ fort

von Gérard Otremba

Die Jackson 5 sind schuld. Schuld am Rückfall Ray Carneys ins Ganovenmilieu. Bereits im 2021 erschienenen Roman „Harlem Shuffle“ von Colson Whitehead war Carney die von einem ruhigen, bürgerlichen Leben träumende, von seinem Cousin Freddie in krumme Geschäfte verwickelte Hauptfigur. Aber Ray Carney hat den Absprung geschafft. Hat vier Jahre lang mit seinem Möbelladen auf ehrliche Weise Geld verdient und der Hehlerei abgeschworen. Und jetzt möchte seine Tochter May unbedingt zum ausverkauften Konzert der Jackson 5 in den Madison Square Garden. Und seiner Tochter kann Carney als fürsorglicher Vater natürlich keinen Wunsch abschlagen. Was also tun in der Not?

Ray Carney und ein korrupter Polizist

Colson Whitehead Die Regeln des Spiels Cover Hanser Verlag

Ray Carney gräbt alte Seilschaften aus und wendet sich an den korrupten Polizisten Munson, der ihm zwar die Ticktes verspricht, indes ganz eigene Vorstellungen seiner nahen Zukunft hegt. Eher eine im Ausland, weg aus dem „Ghetto“ New York, wie er den Big Apple im Jahr 1971, dem Beginn der Handlung von „Die Regeln des Spiels“, sieht, weg von seiner eigenen unrühmlichen Vergangenheit als Cop. Munson zwingt Carney, ihm bei seinem gewalttätigen Amoklauf durch New York als Fahrer und somit Handlanger zu helfen und schon findet sich Whiteheads Protagonist mittendrin in der kriminellen Szene New Yorks, in die er nie wieder rutschen wollte. Wie bereits in „Harlem Shuffle“ erzählt Colson Whitehead in drei größeren Teilen die Zeitspanne von fünf Jahren aus dem Leben Ray Carneys. Diesmal stehen exemplarisch die Jahre 1971, 1973 und 1976 auf Whiteheads Agenda.

Colson Whitehead verknüpft drei Geschichten

Es sind drei von Colson Whitehead exzellent miteinander verknüpfte Geschichten, die getrennt gelesen bereits sehr gut funktionieren, als Teile den Roman zu einem weiteren herausragenden Werk in der Vita der 1969 in New York geborenen Schriftstellers werden lassen. Dreht sich im Jahr 1971 alles um die aufsehenerregende Rückkehr Ray Carneys in die kriminellen Gefilde, wird 1973 sein Möbelladen Drehort eines Blaxploitation-Filmes, während zahlreiche Brände in Harlem für Whitehead das Jahr 1976 prägen, von denen auch Ray Carneys Familie nicht verschont bleibt.

Colson Whitehead und das heruntergekommene New York der 70er

Colson Whitehead beschreibt New York in diesen Jahren als einen heruntergekommenen, kriminellen Moloch, eine Weltstadt im Niedergang begriffen. „Dass die Stadt den Bach runterging, merkte man daran, dass allmählich auch schon die Upper East Side beschissen aussah“,  heißt es zu Beginn des dritten Kapitels des ersten Teils. Und das Bild wird im Verlauf des Romans kein besseres. Jedoch versteht es der mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Autor wie schon im Vorgängerroman mit humoristischen Passagen, erneuten popkulturellen Anspielungen – diesmal reicht die Skala von „Planet der Affen“ bis Lenny Bruce –, und feinen Beobachtungen uns die Stadt, die niemals schläft, und sein Personal nicht wirklich zu vergraulen.

Schließlich sind seine Figuren zumeist immer noch liebenswerte Antihelden, die nicht immer ganz freiwillig in die Bredouille geraten sind und aus einem positiven Antrieb zu illegalen Mitteln greifen. Man kann nur hoffen, dass recht bald eine weitere Fortsetzung der Carney-Story erscheinen möge und Whiteheads superbe Gesellschaftsbeschreibung viele lesende Menschen erreicht.

Colson Whitehead: „Die Regeln des Spiels“, Hanser, übersetzt von Nikolaus Stingl, Hardcover, 384 Seiten, 978-3-446-27754-0, 26 Euro. (Beitragsbild von Madeline Whitehead)   

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