Beirut live in Berlin 2024

Beirut live Berlin 2024 Tempodrom by Werner Herpell Sounds & Books

Dreimal hintereinander ein ausverkauftes Tempodrom – das muss man erstmal hinkriegen. Das grenzenlose Indiefolk-Projekt Beirut von Zach Condon brilliert in Berlin.

Text und Fotos von Werner Herpell

Anna und Lukas sind viereinhalb Stunden aus Wroclaw (Breslau) angereist. Für das polnische Paar ist dieses Konzert in Berlin „ein sehr emotionales Erlebnis“. Georgia und Jack haben sich aus der englischen Grafschaft Kent auf den Weg in die deutsche Hauptstadt gemacht. Als sie sahen, dass ihre Lieblingsband in Berlin – und wirklich nur in Berlin – spielt, zögerten sie nicht lange und buchten einen Flug.

Wunderschöne „Weltmusik“ von Beirut

Wenn man sich fragt, warum ein etwas nerdiger Indie-Musiker ohne echte „Hits“ wie Zach Condon mit seinem Projekt Beirut erstaunlicherweise an drei Tagen hintereinander das mit rund 4000 Plätzen nicht ganz kleine Berliner Tempodrom füllt, muss man mit Leuten

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wie Anna, Lukas, Georgia und Jack sprechen. Ihre Begeisterung für die wunderschöne „Weltmusik“ des US-Musikers aus Santa Fe/New Mexico – seit Jahren Wahl-Berliner – spricht Bände.

Condon hat Fans, die mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf Reisen gehen. Seine eskapistische, grenzenlose Musik lädt dazu ein. Auch das Konzert am 16.02.2024 – der mittlere der drei Beirut-Auftritte im Tempodrom – ist also ausverkauft, die Zuschauer aus Berlin selbst sind klar in der Minderheit.

Mit dem „Gulag Orkestar“ fing es an

Das Sprachengewirr ist so international wie die Inspirationen von Beirut, die schon mit ihrem Sensations-Debüt „Gulag Orkestar“ (2006) Balkanmusik und Indie-Pop kongenial verbanden. Später kamen auch Einflüsse französischer Chansons, Walzer, Klezmer, Mariachi und diverse Spielarten hochmelodischen Folkpops dazu, zuletzt beim großartigen Album „Hadsel“ (2023) ergänzt durch Orgelklänge aus einer norwegischen Kirche.

Zach Condon ist ein musikalischer Weltenbummler, und egal ob er all diese Orte und ihre spezifischen Sounds nun selbst unmittelbar erlebt hat oder nicht – er macht daraus herrliche Songs. Das muss freilich live nicht zwangsläufig genauso gut funktionieren wie auf Platte. Tut es aber.

Der schüchterne Typ

Am Charisma des gerade 38 Jahre alt gewordenen Frontmann der neunköpfigen Band liegt es nicht, dass das Berliner Konzert ein solcher Erfolg wird. Condon ist eher der schüchterne Typ, mehr als ein paar dankende Worte auf Deutsch bringt er nicht zustande. Also keine näheren Erläuterungen, wie er auf Beirut-Songtitel wie „Nantes“, „Gallipoli“, „Spillhaugen“ oder „Postcards From Italy“ kam (die Reihe mit Ortsnamen ließe sich noch fortsetzen).

Condon konzentriert sich darauf, hervorragend Trompete und Ukulele zu spielen – und mit seiner leicht affektierten Stimme fabelhaft zu singen. Das ist auch ohne große Show-Effekte eindrucksvoll – ebenso wie die prächtig auf die Atmosphäre im Tempodrom-Zeltbau ausgerichtete Lightshow und das Top-Niveau der Beirut-Band. Keine Gitarren, dafür Keyboards, Bass und Schlagzeug, drei Bläser (inklusive Condon) und drei Streicher – der Sound im Tempodrom ist üppig, fast bigband-artig, dabei kristallklar und „crisp“.

Euphorie für Beirut in Berlin

Die Melancholie dieser inzwischen auf sieben Beirut-Studioalben ermüdungsfrei dargebotenen Crossover-Musik ist allgegenwärtig. Oft schwingt eine Abschiedsstimmung mit („Un dernier verre pour la route“ heißt eines der Lieder), oder Condon beklagt die nicht verwirklichten Pläne der Vergangenheit („So Many Plans“). Und doch wird hier nicht Trübsal geblasen – dafür ist diese unverwechselbare Folk-Worldmusic-Mixtur einfach zu mitreißend.

Nach knapp zwei Stunden ist Schluss. Euphorischer Jubel. Für Anna und Lukas aus Polen, für Georgia und Jack aus England waren Beirut in Berlin definitiv die lange Reise wert.

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