Songwriterin Lisa Who im Interview

Lisa Who credit Hannes Casper

Wo die Musik Zeit zum Atmen hat: Songwriterin Lisa Who im Gespräch mit Sounds & Books über Inspirationsquellen und ihr aktuelles Album „Ein neuer Beginn“

Auf „Ein neuer Beginn“ geht Madsen-Keyboarderin Lisa Who unbeirrt den Weg weiter, auf dem sie bei ihrem Solo-Debüt „Sehnsucht“ gestartet ist. Die Berlinerin verwebt sphärische Gesangsbögen mit einer meist leichtfüßigen, beizeiten auch rumpelnden Instrumentierung zu ungewöhnlichen Harmonieteppichen. Wir von Sounds & Books haben erst kürzlich das siebeneinhalbminütige Epos „Er hat mich wieder nicht gesehen“ zum Song des Jahres 2021 gekürt. Mehr als ein Grund, persönlich mit Lisa zu sprechen.

Lisa Who hebelt Konventionen aus

Auf der Suche nach der Zauberformel für den perfekten Pophit, sind Musikwissenschaftler fündig geworden. Als Akkordfolge empfehlen sie: A-Moll, F-Dur, C-Dur, G-Dur. Der Gesang sollte schnell einsetzen und möglichst bald im Refrain münden, der (Vierviertel-)Takt einen rhythmischen Puls haben. Wer in Lisa Whos Zweitwerk hört (ich denke, man kann „Werk“ sagen statt „Album“), findet dort Musik, die diametral entfernt ist von der zuvor genannten Hit-Formel. Neben Taktwechseln überrascht die gebürtige Berlinerin mit immer wieder neuen Akkordfolgen, minutenlang bauen sich instrumentelle Intros auf. Konventionen? Werden ausgehebelt.

Einflüsse von Jazz, über Paul McCartney bis zu Pink Floyd

Blickt man auf die Referenzen, die im Presseinfo angegeben werden, verwundert das nicht. Es ist ein wilder Mix an Musik, den Lisa Who mag. Neben Paul McCartney gibt sie als Einflüsse Jazz an („das macht einfach ganz viel mit mir“); auch Instrumentalmusik wie z. B. Khruangbin gefällt ihr oder Pink Floyd, die in Rezensionen immer wieder als Ankerpunkt herangezogen werden, seien ein großes Vorbild. Das hört man zweifellos. Bei „Leichtigkeit“, dem zweiten Song des Albums, startet der Gesang erst nach über 2 Minuten. Sie liebe es, wenn die Musik einfach mal Zeit hat – auch in einem Pop-oder Indie-Gewand. Und sie schreibt die Musik, die sie mag. „Das ist mein Musikgeschmack, darauf möchte ich nicht verzichten, nur um einem Trend gerecht zu werden“, sagt sie. Wie zum Trotz hat sie „Leichtigkeit“ als erste Single ausgekoppelt. Der Song sei – überraschenderweise – trotz seiner Länge auf diversen Spotify-Playlists gelandet.

Lisa Who an der Ostsee

Das Austüfteln neuer Songs ist indes nicht immer ganz einfach. Von der sprichwörtlichen Muse geküsst wird Lisa in ihrem Songwriting-Prozess jedenfalls selten. Er ist vielmehr mit Aufwand verbunden. Mit einem Rechner, Gitarre und Keyboard ist sie eine Woche lang an die Ostsee gefahren, um dort Songs zu schreiben für „Ein neuer Beginn“. Meistens lese ich oder höre Musik, um in den Flow zu kommen. „Das inspiriert mich total“, sagt Lisa.

Das Ziel: Jeden Tag ein Lied.

Und das Texten? „Glücklich ohne dich“, „Ein neuer Beginn“, „Er hat mich wieder nicht gesehen“, „Freundschaft“ – wer nur die Titel der Songs auf ihrer Platte liest, könnte meinen, dass sich Lisas Texte oft um Herzschmerz oder verflossene Liebe drehten. Das sei jedoch gar nicht der Fall. „Auf meinem Album geht‘s vielmehr um die Beziehung zu mir selber oder zu anderen Menschen “, erklärt sie. In diesem Umfeld spüre sie zudem neue Themen auf. Natürlich seien manche Gefühle allgegenwärtig. Es ließe sich jederzeit problemlos ein trauriges Liebeslied schreiben, weil man diesen Schmerz natürlich schon mal erlebt habe.

„Ich mag es total gerne, wenn im Kopfhörer etwas von links nach rechts wandert“

Entstanden ist die neue Platte im Madsen-Studio im Wendland und in einem Kreuzberger Studio. Unterstützt haben sie ihr Freund, der hauptamtliche Madsen-Sänger Sebastian, und Tobias Siebert. Die Zusammenarbeit im Trio war offenbar fruchtbar. Immer wieder tauchen die Klänge ungewöhnlicher Instrumente auf, die Sounds alter Synthies und analoger Bandmaschinen. Auch in der Produktion geht das Trio eigene Wege. Das Schlagzeug von „Glücklich ohne dich“ ist im Soundspektrum z. B. ganz nach links gemixt. „Ich mag es total gerne, wenn im Kopfhörer etwas von links nach rechts wandert“, sagt Lisa. Sie möge es, die Räume, die man zur Verfügung habe, auch zu nutzen.

Allerdings …

Nachdem das halbe Album aufgenommen war, brach Corona über das Land herein. Ein herber Rückschlag und schwerer Anschlag auf Lisas Kreativität. Sie habe regelrecht ihre Pläne verloren und sei auch mit ihrem Management auseinandergegangen. „Ich war erst einmal total planlos“, gesteht sie. Eine gebuchte Tour wurde – wie natürlich bei vielen anderen Bands auch – abgesagt. Eine stressige Zeit. Darüber hinaus ist naturgemäß auch der Zustrom an externen künstlerischen Impulsen versiegt. Neben den abgesagten Konzerten, schlossen die Museen.

Ein eigenes Label

Große Schritte hat sie in jener Zeit allerdings auf der geschäftlichen Seite getan. Sie habe keine Lust mehr gehabt, irgendwo Mails hinzuschreiben und darauf zu hoffen, dass sie irgendwer bei ihrer Musik unterstützt. „Ich finde meine Musik gut, wollte sie rausbringen und wollte vor allen Dingen nicht, dass mir irgendwer reinquatscht“, erzählt Lisa. Konsequenterweise gründete sie ihr eigenes Label „The Shit Records“. Mit durchaus lehrreichem Effekt. Sie wisse nun auch, wo man Kosten habe und wo nicht, wie viel man für etwas investieren muss oder kann, zum Beispiel für Promo etc.

Der organisatorische Aufwand war überschaubar, da sie „The Shit Records“ als Sublabel des Labels eines Freundes anmelden konnte. Neben ihrer eigenen Platte, hat sie inzwischen die Musik ihres Gitarristen und der Künstlerin Lea Mirzanli über das Label veröffentlicht.

Info: Die Videoversion des gesamten Interviews steht auf der Youtube-Seite unseres Autors Jens Krüger bereit.

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