Percival Everett: Die Bäume

Percival Everett credit Dan Tuffs Alamy Stock Photo

Ein literarisches Highlight dieses Jahres: Percival Everett schaut in „Die Bäume“ hinter die rassistischen Kulissen von Money, Mississippi.

Der letztes Jahr in deutscher Sprache veröffentlichte, und auch von Sounds & Books rezensierte Roman „Erschütterung“ hinterließ bereits mächtigen Eindruck. Mit „Die Bäume“ übertrifft Percival Everett die ihm gegenüber entwickelte Erwartungshaltung. Der preisgekrönte amerikanische Schriftsteller (PEN USA Literary Award 2006, Academy Award for Literature, Booker-Prize-Nominierung für „Die Bäume“, 2022) verschlägt die Leser mit seinem neuen Buch in das in Mississippi liegende und von einer brutalen Mordserie heimgesuchte Städtchen Money. Die Besonderheit: Neben den toten weißen Männern liegt auch jeweils die Leiche eines schwer entstellten Schwarzen. Offensichtlich handelt es sich dabei auch immer um dieselbe tote Person, schließlich verschwindet sie stets auf wunderliche Weise, um am nächsten Tatort wieder in Erscheinung zu treten.

Percival Everett greift den Emmett-Till-Fall auf

Percival Everett Die Bäume Cover Hanser Verlag

Alles zunächst sehr rätselhaft für die ermittelnden weißen Cops vor Ort, die nach dem ersten Mord Hilfe von den beiden schwarzen Beamten des MBI (Mississippi Bureau of Investigation) Ed Morgan und Jim Davis erhalten. Bald wird klar, dass sich Percival Everett in der Auswahl seiner Figuren auf einen realen Fall bezieht, der 1955 für Schlagzeilen sorgte und als Paradebeispiel für den Rassismus in den Südsaaten der USA gilt. Damals wurde der 14-jährige Schwarze Emmett Till aufgrund von einer Falschaussage von zwei weißen Männern getötet, die vom zuständigen Gericht freigesprochen worden sind. Trotz der jahrzehntelangen zeitlichen Diskrepanz zum Till-Fall stehen die ersten beiden Opfer nicht zufällig im engen Zusammenhang mit dessen Ermordung. Der Rassismus der hinterwäldlerischen Rednecks in Money ist noch immer allgegenwärtig, Perccival Everett lässt ihn mit satirischen Mitteln jedoch sehr alt aussehen.

Everetts humoristische Ader

Wenn der afroamerikanische Autor die Unfähigkeit des heimatlichen Ku-Klux-Klans schildert, ihren Anführer demokratisch zu wählen und sie beim Anzünden des Kreuzes scheitern lässt, wähnt man sich in einer Vorlage für einen Film der Coen-Brüder. An Humor fehlt es Everett als trotz des schwer verdaulichen Sujets wahrlich nicht. Dem Rassismus in Money sind auch Morgan und Davis ausgesetzt, die allerdings mit einer intellektuellen Überlegenheit und nonchalanten Coolness auf den rückschrittlichen Wortschatz der Money-Bewohner reagieren.

Denn, und hier müssen alle, die – ähnlich wie die Ulmer Lehrerin Jasmin Blunt, die mit ihrer Weigerung, den überragenden Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen (der für seine literarischen Verdienste eigentlich posthum den Literaturnobelpreis erhalten sollte, sofern dies möglich wäre) aufgrund der Verwendung des „N-Wortes“ im Unterricht nicht zu lesen, für Aufruhr im deutschen Literaturbetrieb und der Politik sorgte – denken, dass allein die Benutzung jenes Wortes in einem Roman Autor und Werk verdächtig werden lassen, müssen jetzt ganz stark sein. Percival Everett verwendet nämlich das Wort „Nigger“ im Kontext des Sprachgebrauchs unter bestimmten Weißen in Mississippi unzählige Male. Im Verlauf des Romans weitet sich die Mordserie in weitere Bundesstaaten der USA aus und jede einzelne Tat steht stellvertretend für zahlreiche, rassistisch motivierte und unbestrafte Verbrechen.

Relevante Literatur

„Die Bäume“ von Percival Everett gehört zweifellos zu den literarischen Highlights dieses Jahres. Dem 1956 in Georgia geborenen Schriftsteller gelingt ein grandioses satirisches Lehrstück zum Thema Rassismus. Der Roman lebt von seinen geschliffenen Dialogen, Everetts eingeflochtenen, teils offensichtlichen und teils versteckten Hinweisen zur afroamerikanischen Geschichte und seinem schlicht mitreißenden literarischen Stil. Gesellschaftsanalyse mit Krimihandlung, von Percival Everett schonungslos, aber mit viel Witz aufs Papier gebracht. Überaus relevante, zeitgenössische Literatur.

Percival Everett: „Die Bäume“, Hanser, übersetzt von Nikolaus Stingl, Hardcover, 368 Seiten, 978-3-446-27625-3, 26 Euro. (Beitragsbild-Credit: Dan Tuffs / Alamy Stock Photo)        

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