Paul Ricœur: Wege der Anerkennung

Paul Ricœur Wege der Anerkennung cover Suhrkamp Verlag

Mit seinem Werk „Wege der Anerkennung“ schließt der französische Philosoph Paul Ricœur eine Lücke

Dass sich die Philosophie dem Phänomen der individuellen und gesellschaftlichen Anerkennung bislang kaum gewidmet hat, ist mindestens mal überraschend. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass Anerkennung im Kontext von zum Beispiel gesellschaftlichem Zusammenleben, Beziehungsaufbau, Arbeitsteilung, Selbstbewusstsein und -erkenntnis doch durchaus eine bedeutende Rolle spielen dürfte. Doch der französische Philosoph Paul Ricœur hat zurecht auf diese Lücke hingewiesen und mit seinem Spätwerk „Wege der Ankernennung“ selbst den Versuch unternommen, diese Lücke zu schließen.

Die semantische Analyse von Paul Ricœur

Paul Ricœur Wege der Anerkennung cover Suhrkamp Verlag

Die vorliegende Untersuchung ist aus drei Vorträgen hervorgegangen, die Paul Ricœur am „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ in Wien und im Husserl-Archiv in Freiburg gehalten hat. Ricœur beginnt seine Untersuchung mit einer semantischen Analyse des Wortes reconaissance. Denn „Anerkennung“ ist nur eine von über 20 Bedeutungen dieses Wortes. Ricœur schreibt selbst, dass er verblüfft gewesen sei angesichts des semantischen Status des Wortes im philosophischen Diskurs, dass ihm diese Verblüffung aber Anlass für den gewagten Vorsatz wurde, „für das verstreute Auftreten des Begriffs in der Philosophie die Kohärenz einer geregelten Polysemie zu finden, die derjenigen auf der lexikalischen Ebene ebenbürtig wäre“. Die semantische Analyse ist von den philosophischen Fragestellungen im zweiten Teil des Buches klar getrennt, liefert aber bereits wertvolle Erkenntnisse.

Das Erkennen individueller Merkmale

In „Wege der Anerkennung“ führt Paul Ricœur die Leser:innen von der „reconnaissance“ als unterscheidendem Identifizieren über die „reconnaissance de soi“ (ein Sich-Erkennen des Subjekts) bis zur „reconnaissance mutuelle“, jener wechselseitigen Anerkennung, die Basis zwischenmenschlicher Kooperationshandlungen ist. Ricœur schreibt selbst dazu: „Anerkannt werden, wenn es denn jemals geschieht, hieße für jeden, dank der Anerkennung seines Reichs von Fähigkeiten durch andere die vollständige Gewissheit seiner Identität zu erlangen.“ Der Kerngedanke ist dabei so verblüffend wie einfach: Schon im reinen Erkennen eines Gegenstandes wird seine Einzigartigkeit anerkannt. Er wird erkannt, dass es anders ist als alles andere. Das lässt sich erst recht auf Personen übertragen. Das Erkennen von individuellen Merkmalen, an denen Personen einander identifizieren können wird so zur Anerkennung.

Annäherungsschritte an das Phänomen der Anerkennung

„Wege der Anerkennung“ ist – wie der Name es sagt – eine Beschreibung mehrere Annäherungsschritte an das Phänomen der Anerkennung. Semantisch hergeleitet, entwickelt Ricœur Navigationshilfen zu zentralen Fragen rund um dieses Phänomen. Er vernetzt seine Ausführungen mit Ideen von Edmund Husserl, Emmanuel Lévinas und Marcel Proust, Immanuel Kant und Hans Jonas, Augustinus, John Locke, Henri Bergson und Hannah Arendt – und stellt seine Ausführungen auch so auf sichere Füße. Eine anregende und stark sensibilisierende Lektüre.

Paul Ricœur: „Wege der Anerkennung“, Suhrkamp Verlag, aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann und Barbara Heber-Schärer, Taschenbuch Wissenschaft, 335 Seiten, 978-3-518-29994-4, 20 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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