No-Man: Housekeeping – The OLI Years 1990-1994

No-Man Housekeeping The OLI Years Cover

Steven Wilson ist heute wohl der wichtigste Musiker im zeitgemäßen Prog-Rock und Artpop. Seine frühen Jahre im Trio No-Man zeichnet nun ein üppiges „Book-Set“ nach. Eine wahre Schatzkiste.

von Werner Herpell

Wer sich heute die Weltstar-Karriere und die in manchen Musik-Communitys fast gottgleiche Stellung von Steven Wilson anschaut, erinnert sich vielleicht kaum noch daran – aber: Seine Version von Artpop und Progressive-Rock war nun wirklich nicht der letzte Schrei, als der Brite Ende der 80er Jahre zunächst solo und bald darauf im Trio-Projekt No-Man startete (zunächst unter dem halbwegs witzigen, dann doch eher hinderlichen Bandnamen No Man Is An Island (Except The Isle Of Man).

Zusammen mit dem Sänger Tim Bowness und dem Geiger Ben Coleman schuf

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der Multiinstrumentalist Wilson schon damals eine ganz eigene Klangwelt, die immer wieder zu ehrenvollen Vergleichen einlud. Selbstbewusst, fast schon sturköpfig verfolgte diese Band in den Zeiten von Madchester-Britpop, Hip-Hop-Mainstreamisierung und aufkommender Grunge-Rock-Welle ihre künstlerische Vision – mit leider nur arg sporadischen Veröffentlichungen bis heute (zuletzt „Love You To Bits“ von 2019).

„Take them to your heart“

No-Man Housekeeping The OLI Years Cover

Eine hübsche Beschreibung der exquisiten Musik von No-Man findet sich als Kritiker-Zitat im großzügig ausgestatteten neuen Box-Set „Housekeeping – The OLI Years 1990-1994“ (5 CDs remastered im vinylformatigen „Mediabook“): „Pitch them somewhere between The Aphex Twin and Frank Sinatra, Pink Floyd, Prefab Sprout, Curtis Mayfield and God; take them to your heart.“ Kantige Elektronik und Crooner-Vocals, klassischer 70s-Prog, englischer Sophisticated Pop, Motown-Soul und eine als Muse behilfliche höhere Macht – diese raffinierte Mischung konnte man wahrhaftig ins Herz schließen. Auch die beiden großen Davids der 70er und 80er Jahre, Bowie und Sylvian, sowie Roxy Music, The Blue Nile oder Tears For Fears kann man heute in den ersten Alben von No-Man als Einflüsse heraushören – ebenso eine Affinität für Jazz und Ambient.

Steven Wilson ist laut Albumcredits für die „Instruments“ zuständig – seine Beherrschung von Keys, Bass, Gitarren unter anderem beeindruckt bis heute. Colemans prachtvolle Violine findet sich oft sehr präsent im Mix. Und Bowness ist, abgesehen von einigen weiblichen Gesangs-Samples, der uneingeschränkte Vokalist – seine schöne Stimme erinnert schon auf der bestens kompilierten CD 1 des Boxsets („Lovesighs – An Entertainment“, 1991-1994) zeitweise an David Sylvian und Bryan Ferry, mehr noch an Paddy McAloon (daher der Prefab-Sprout-Vergleich).

Viele fantastische Gastmusiker bei No-Man

Hinzu kommen mit CD 2 („Lovesblows And Lovecries – A Confession“, 1993/1994) und CD 3 („Singles“, 1992/1993) fantastische Gastmusiker der Artpop-Szene wie Keyboarder Richard Barbieri, Sylvian-Bruder Steve Jansen am Schlagzeug und Bass-Genie Mick Karn. Auf CD 4 (das „Flowermouth“-Album von 1994) spielen auch Prog- und Jazzrock-Koryphäen wie Robert Fripp (Gitarre, Frippertronics), Mel Collins (Saxophon), Lisa Gerrard (Vocals) und Ian Carr (Trompete) mit. CD 5 enthält schließlich Radio-Sessions, überwiegend bei der BBC, von 1992 bis 1994.

Soviel zum üppigen Angebot mit etlichen Stunden No-Man-Frühphase – jenseits der technischen Daten und des beliebten Namedroppings gibt es hier allerfeinste Popmusik zu hören. Wer diese Band bisher als die zartere, balladigere Vorläufer-Version von Wilsons Sound mit Porcupine Tree oder als Solist eingeordnet hatte, wird über die vielen tanzbaren, muskulösen, mit Soul, Funk und Electro spielenden Tracks auf den fünf CDs vielleicht etwas überrascht sein („Only Baby“ etwa, vom offiziellen 1993er Studio-Debütalbum, oder die Maxi-Single „Taking It Like A Man“ grooven höllisch). Aber auch melancholische, rhythmisch komplexe Synthpop-Stücke wie „Sweetheart Raw“, „Lovecry“ oder „Beautiful And Cruel“, in denen Bowness den hauchigen Schmelz seiner immer irgendwie traurigen Stimme voll zu entfalten weiß, sind gut gealtert – man merkt diesen Liedern die rund 30 Jahre ihrer Existenz kaum an.

Eine Schatzkiste mit No-Man-Juwelen

Warum nun „The OLI Years“ im Untertitel von „Housekeeping“? No-Man brachten auf dem einflussreichen britischen Label One Little Indian (OLI), damals unter anderem Heimat von Björk, Chumbawamba, Skunk Anansie oder The Shamen, ihre frühen Alben und eine ganze Reihe Singles heraus. Diese Veröffentlichungen fuhren allesamt hervorragende Reviews ein – einige davon sind im hochwertigen Booklet abgedruckt. Den gesamten Output jener Jahre versammelt das „Book-Set“ nun in faszinierender Form, inklusive Outtakes, Alternativ-Fassungen von Songs, den schon erwähnten BBC-Auftritten, seltenen Fotos und Memorabilia.

„A lovingly compiled tribute to the creative anomaly that is (and was) No-Man“, wirbt die Album-PR. Das ist keineswegs übertrieben. „Housekeeping“ kann schon jetzt zu den besten, wichtigsten Reissue-Projekte des Jahres gezählt werden. Diese fünf Silberlinge sind eine wahre Schatzkiste mit mehr als 50 Juwelen edler, experimentierfreudiger Popmusik.

Das 5-CD-Remaster-Boxset „Housekeeping – The OLI Years 1990-1994“ von No-Man erscheint am 26.01.2024 bei One Little Indian/Bertus. (Beitragsbild: Box-Albumcover)

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