Mina Richman: Grown Up

Mina Richman credit Jan Haller

Ein so starkes Debüt von einer Singer-Songwriterin aus Deutschland erlebt man nicht alle Tage. Mina Richman singt beeindruckend und hat etwas zu sagen.

von Werner Herpell

Der Titel dieses Debütalbums gibt die Richtung schon ein Stück weit vor: „Grown Up“ – es geht ums Aufwachsen, um einen in zehn Songs gegossenen Coming-of-age-Prozess. Kann man mit „Aufgewachsen“, aber auch mit „Erwachsen geworden“ übersetzen. Und als erwachsene Künstlerin präsentiert sich die 25-jährige Deutsch-Iranerin Mina Richman (der Nach- ist ein Künstlername) hier tatsächlich sehr eindrucksvoll. Sie erzählt von ihrer Selbstfindung als Frau, von ihrer Herkunft, von ihrem feministischen und sonstigen politischen Aktivismus.

„Kein apolitisches Leben“

Mina Richman Grown Up Albumcover

„Ich glaube, dass das eine nicht ohne das andere geht“, sagte Mina Richman kürzlich in einem ausführlichen Interview von Sounds & Books auf die Frage, ob sie Persönliches und Politisches überhaupt trennen könne. „Ich kann als

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queere Frau mit Migrationshintergrund gar kein apolitisches Leben führen. Dinge, die Teil meines Seins sind, werden politisiert, sind politische Themen. Insofern kann ich mich dem gar nicht entziehen, wie das vielleicht ein weißer CIS-Mann, der in Deutschland geboren ist, könnte. Der muss sich halt mit Themen wie Sexismus nicht auseinandersetzen, weil er es ja nicht so erlebt.“ 

So habe sich „Baba Said“, ihre Hommage an die von Frauen geprägte Revolution im Iran, „einfach aus dem Moment heraus“ nach dem Tod von Jina Mahsa Amini ergeben: „Ich habe es einfach nicht ausgehalten, nichts zu tun.“ Und „Song Of Consent“ sei „aus einer Wut heraus entstanden, als mir bewusst wurde, dass ich nicht eine einzige Frau kenne, die nicht irgendwann einmal einen sexuellen Übergriff erlebt hat. Also nicht eine einzige Frau – und ich kenne einige Frauen.“ Angesichts so engagierter Texte ist es keine Überraschung, dass Mina Richman ihren aktuellen PR-Texten das Motto „Ehrlich. Queer. Selbstbestimmt“ voranstellt.

Ein Soul-Pop-Opener zum Staunen

Dass die Sängerin und Songschreiberin aus dem Ostwestfälischen auch musikalisch etwas Besonderes ist, wird sofort mit dem Opener ihres ersten echten Studioalbums mehr als deutlich: „Nearly To The End“ ist ein groovender Soul-Pop-Song, der so spielerisch leicht und zugleich selbstbewusst auf den Spuren großer Stimmen wie Amy Winehouse, Brittany Howard (Alabama Shakes), Anna Calvi oder Joan Wasser (Joan As Police Woman) daherkommt, dass man nur noch spontan staunen kann.

Für „Grown Up“ haut die in Berlin geborene Musikerin auch nach dem Glanzstart alles raus, was an Talent da ist – also eine ganze Menge. Die Platte pendelt zwischen fingerschnippendem Sixties-Soul (im sehr persönlichen Song „Referee“ über Streit in ihrer Familie), Reggae („Something To Rely On“), Folkpop (der Solidaritäts-Song „Baba Said“), Balkan-Swing („Song Of Consent“) und der Piano-Ballade „The Woman I Am Now“, die passenderweise als Beschreibung der eigenen Gegenwart ans Ende gesetzt wurde.

Mina Richman: Starke Stimme als Sahnehäubchen

Das stilistische „Alles ist möglich“-Prinzip beschreibt Mina Richman in dem S&B-Interview so: „Gerade auch wegen des Titels des Albums, der ja alle Aspekte des Erwachsen-Werdens, des Frau-Werdens und des Mensch-Werdens anspricht, dachte ich mir, dass es doch nicht einheitlich klingen müsse – denn das ist ja auch kein einheitlicher Prozess.“ Zumal „wir ja auch kein Label haben, das sagt, dass alles nach Chart-Musik klingen müsse. Das ist die kreative Freiheit, die wir haben.“ 

Das Sahnehäubchen auf einer top-professionellen Albumproduktion (Tobias Siebert) ist letztlich die kraftvolle Stimme von Richman, die schon mit ihrer ersten EP „Jaywalker“ von 2022 als beste Newcomerin für den PopNRW-Preis nominiert wurde. „Ich habe super viel selbst gesungen – immer versucht, alle Songs von Pink auswendig zu lernen, und habe damit auch meine Stimme trainiert“, erzählt sie im Interview. „Dann habe ich mal einen Song von Adele in der Küche gesungen und meine Mutter meinte: Oh das ist gar nicht so schlecht. Wie wäre es mal mit Gesangsunterricht?“ Großes Talent als Sängerin und ein Händchen für eindringliche, durchaus auch mal politische Texte – macht zusammengenommen ein richtig starkes Einstiegsalbum.

Das Album „Grown Up“ von Mina Richman erscheint am 15.03.2024 bei Ladies&Ladys/Cargo/Zebralution. (Beitragsbild von Jan Haller)

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