Radiohead und Elliott Smith sind Künstler, die Marika Hackman offenkundig verehrt. Man hört es auch ihrer neuen Platte an – die aber dennoch wunderbar eigen klingt.
von Werner Herpell
Der Titel dieses Albums – „Big Sigh“, also tiefer Seufzer – ist sicher kein zufällig gewählter. Denn Marika Hackman sagt selbst, dass diese Songsammlung „die härteste Platte“ sei, die sie je gemacht habe. Und die Erleichterung war wohl groß, dass ihre Kreativität trotz massiver Angstzustände und Blockaden während der Pandemie nicht versiegte. „Es hat lange gedauert, dieses Album zu machen“, resümmiert die bald 32-jährige britische Sängerin und Multiinstrumentalistin. „Es war nicht einfach, und als ich am Ende angelangt war, war ich ruhig.“
Ein großer Seufzer nach der Krise
Ende gut, alles gut
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also – denn „Big Sigh“ ist nicht nur rein subjektiv ein gelungener Ausdruck von Selbstbefreiung aus einer Krise, sondern auch ganz objektiv ein herausragendes Album geworden. Was Hackman auf dem allseits hochgelobten, sexuell/queer aufgeladenenen Vorgänger „Any Human Friend“ (2019) und auf dem „Covers“-Intermezzo (2020) mit ihren Versionen weniger bekannter Lieblingsstücke von Radiohead, The Shins, Air, Sharon Van Etten, Alvvays und Elliott Smith bereits andeutete, führt sie hier zu einem wirklich meisterhaften Mix aus filigranem Indie-Folk, kühlem Electropop und düsterem Rock zusammen. Die genannten Namen der gecoverten Künstler ergeben damit übrigens auch Sinn als Koordinaten für die „Big Sigh“-Einflüsse.
Wie Hackman für diese Platte bohrende Zweifel und quälende Sorgen über ihren weiteren Weg in ein selbstbewusstes 35-minütiges Statement umwandelte, klingt also mehr als eindrucksvoll. Zumal sie kaum Hilfe von außen in Anspruch nahm. So spielte sie alle Instrumente außer den virtuos arrangierten Bläsern und Streichern auf „Big Sigh“ allein und produzierte die Songs zusammen mit Sam Petts-Davies (Thom Yorke, Warpaint) und ihrem langjährigen Mitstreiter Charlie Andrew (alt-J). „Mit diesem Album kam ich an einen Punkt, an dem ich merkte, dass ich gelernt hatte und wusste, was zu tun war“, sagt die künstlerisch immer schon hochinteressierte und begabte Tochter einer Engländerin und eines Finnen.
Marika Hackman: Vielseitig, aber nie chaotisch
Zarte Piano-Stücke wie der an David Sylvian („Forbidden Colours“) erinnernde Opener „The Ground“ oder „The Lonely House“, der Titel-Track mit treibenden Grunge-Gitarrensounds, versonnene elektronische Klangspielereien wie „Vitamins“, unkomplizierte (aber nie unterkomplexe) Indiepop-Songs wie „No Caffeine“, „Hanging“ und „Slime“ – das könnte ein buntes, chaotisches Durcheinander ergeben. Tut es aber dank der stilsicheren Produktion und der alles wunderbar zusammenbindenden, warmen Altstimme von Marika Hackman nicht.
Fazit und Ausblick: Ein Musikjahr, das mit einem so spannenden Album wie „Big Sigh“ beginnt, kann eigentlich nur ein gutes werden.
Das Album „Big Sigh“ von Marika Hackman erscheint am 12.01.2024 bei Chrysalis/Cargo. (Beitragsbild von Steve Gullick)