Indie-Pop mit Zuckerguss – Albert-Luxus-Frontmann Matthias Sänger im Interview

Albert Luxus Pressefoto

Das Duo Albert Luxus legt mit „YinYin“ sein viertes Studioalbum vor. Wir haben mit Frontmann Matthias Sänger gesprochen

Wenn es so etwas gibt wie den Gegenpol zum Glamrock der 80er Jahre, Albert Luxus kämen in die nähere Auswahl. Weiter entfernt vom Ins-Rampenlicht-drängen mit Testosteron, schwitzigem Brusthaar und nietenbesetzten Lederhosen geht jedenfalls kaum. Albert Luxus fühlen sich immer ein wenig nach Understatement an. Das fängt schon an beim Artwork des aktuellen Albums. Darauf zwei saftige Orangen in größtmöglicher grafischer Schlichtheit. Matthias Sänger erklärt mit breitem Grinsen: „Das klingt jetzt vielleicht blöd und pathetisch, aber ich hatte wirklich einen Traum von zwei riesigen Orangen.“ Nun denn.

Vielschichtig instrumentierter Sound

Dagegen ist der Sound, den Albert Luxus auf „YinYin“ fahren, zwar auch schlicht und kompakt im Arrangement, aber äußerst vielschichtig in der Instrumentierung und meistens sphärisch und warm. Es tönt auch mal ein kratzendes Gitarrenriff aus der Box, begleitet von einem pumpenden Bass und einer meist zurückhaltend getupften Snare. Wie Zuckerguss überzieht dieses Pop-Rock-Konstrukt jedoch – neben einem flirrenden 70er Synthie – die ruhige Stimme Matthias Sängers.

Vergleiche zu anderen Bands? Das Presseinfo nennt Die Höchste Eisenbahn als Referenz, „SUV“ erinnert mich persönlich von der Gesangslinie ein wenig an Bilderbuch und bei „Earl Grey“ klingen auch mal Gitarren der frühen Pink Floyd durch. Den Nagel auf den Kopf trifft aber keiner dieser Vergleiche – und sie würden dem individuellen Sound von Albert Luxus auch nicht gerecht.

Musikalisch sozialisiert wurde Matthias Sänger vom Grunge-Rock der 90er, auch wenn er anstrebt, etwas moderner und zeitgemäßer zu klingen.

Aydo Abay hilft Albert Luxus

Ausgearbeitet hat der Frontmann „YinYin“ im eigenen Studio in Köln-Dellbrück; stets im Austausch mit Drummer Andreas Kiwitt, der 150 Kilometer entfernt im Hunsrück wohnt und dort – ebenfalls im eigenen Studio – die Schlagzeug-Tracks aufgenommen hat. „Wir stehen nie gemeinsam im Studio und das jetzt schon seit zwölf Jahren“, erklärt Matthias Sänger. Er könne sich aber vorstellen, in Zukunft auch einmal anders vorzugehen.

Zweieinhalb Jahre hat der Albert-Luxus-Frontmann an „YinYin“ gearbeitet. Allerdings nicht nur. Parallel hat er gemeinsam mit seinem Kölner Kompagnon Aydo Abay das Psychedelic-Rock-Projekt Freindz gestemmt. „High Times in Babylon“ war bereits im Sommer veröffentlicht worden. Dem Multi-Instrumentalisten Matthias Sänger darf man also gehörige Schaffenskraft attestieren. Auch wenn bei Freindz die ersten kreativen Impulse meist Ex-Blackmail-Frontmann Abay gegeben habe. „Aydo singt seine Ideen aufs iPhone, wir haben dann gemeinsam Akkorde dazu gesucht“, erklärt Matthias Sänger. Beide Projekte sind übrigens nicht nur in Sängers Studio entstanden, es waren auch die gleichen Instrumente im Einsatz. Die Soundästhetik, findet Sänger, sei ein bisschen ähnlich.

Bei der Freindz-Platte konnte sich Matthias Sänger allerdings vor einem Arbeitsschritt drücken, der ihm schwerfällt. Die Lyrics zu „High Times in Babylon“ hat Aydo Abay geschrieben hat. Für die Albert Luxus-Texte zeichnet Sänger hingegen verantwortlich. Die sind dezent abstrakt, jederzeit aber verständlich und handeln von den Zwängen, Kämpfen und Widrigkeiten des Lebens. Die Texte entstünden meist zum Schluss, oft beim Fahrradfahren auf dem Weg ins Studio.

Kreative Ideen auch bei den Video-Clips

In der Musikproduktion fühlt er sich hingegen komplett Zuhause. Seine Ausbildung zum Mediengestalter hat ihm zweifellos dabei geholfen. Und nicht nur das: Auch die Clips von Albert Luxus überzeugen mit kreativen Ideen. Sie sind dem Kölner wichtig, um die Songs auch visuell zu stützen und „anders zu verkörpern“. Zu Beginn durchaus als DIY-Regisseur/Kameramann. „Ich hab mir irgendwann von Freunden eine Kamera ausgeliehen und damit rumexperimentiert, das Material am Ende auch selbst geschnitten“, erklärt er. Schließlich aber gemerkt, dass das sehr zeitaufwendig und energieraubend sei. Da er sich auf seine Musik konzentrieren möchte, habe er das Thema schließlich abgegeben. So wie bei den Single-Auskopplungen von Gott vs. Tinder und Himalaya, die Filmemacher Michael Binz umgesetzt hat. Auch von „SUV“ ist ein Video bereits abgedreht und soll bald veröffentlicht werden.

Wer Albert Luxus live sehen möchte, muss sich hingegen gedulden. Eine Tour ist noch nicht geplant. Im Frühjahr seien die Clubs bereits alle ausgebucht, weil viele Konzerte aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden sein. Matthias Sänger setzt derzeit auf vereinzelte Konzerte oder die Festival-Saison.

Das neue Albert-Luxus-Album „YinYin“ ist am 26.11.2021 bei Backseat erschienen

Info: Die Videoversion des Interviews steht auf der YouTube-Seite unseres Autors Jens Krüger bereit.

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