Gemma Ray: Gemma Ray & The Death Bell Gang

Gemma Ray by Joe Dilworth

Es gibt kaum etwas, was Gemma Ray nicht kann. Punkt.

Die Singer/Songwriterin aus Berlin (ursprünglich: Essex) arbeitete mit Koryphäen wie Alan Vega, den Sparks, Howe Gelb oder ganz alleine – sie tourte vor Jon Spencer oder Kris Kristofferson (oder eben alleine).  Den Respekt, den sie verdient für ihre vollkommen eigenständige Art, Vintage-Gitarrensounds zu verbinden mit moderner Elektronik sowie eingängigem bis schrägerem Songwriting, bekam sie dabei nicht oft genug gezollt. Alben, die nachhaltig was können, nimmt sie anscheinend im Vorübergehen auf – so z.B. in diesem Fall. Ein kleiner Spaziergang durch den Studiokomplex in Berlin Tempelhof, ein zwangloser Besuch bei einem musizierenden Nachbarn dort und schwupps, da haben wir ein paar Monate später einen Tonträger –  einen sehr schönen mal wieder, der bekannte Trademarks ihres Sounds in Erinnerung ruft (Diese Twang-Gitarre! Diese Schmacht-Stimme!), aber eben auch neue Klangfarben addiert (Field Recordings! Oder besser, wie sie selber im Promozettel zitiert wird: „Aufnahmen von Aufnahmen“!).

Teufelszeug Tee

Gemma Ray & The Death Bell Gang Cover Bronzerat Records

Der Musikant im Studio nebenan war Ralf Goldkind, der Arbeiten in seiner Vita vorweisen kann mit den Fanta 4 oder Lucilectric, mit Kiev Stingl oder Crime & The City Solution. Da ist der Weg kurz zu Leuten wie dem Gitarristen Kristof Hahn (Swans) oder zu dem Schlagzeuger Andy Zammit, der ohnehin häufig an Rays Seite musiziert und es dabei sogar schafft, Drums & Tasten gleichzeitig zu bedienen, wenn es sein muss (wie Rockstage Riot berichtete). Wie klingt das also, wenn Gemma Ray „auf eine Tasse Tee“ zu Goldkind schlurft und man dabei auf die Idee kommt, Sounds zu sammeln sowie digital zu verfremden, um daraus dann die hier vorliegenden 10 Stücke zu zimmern?

Weit weniger schräg als man vermuten möchte nach obiger Beschreibung. Angeschrägt genug jedoch, um heraus zu ragen aus der Masse an ubiquitären, atmosphärisch ambitioniertem Post-dies- und Neo-das- Soundwänden, die ja auch nicht ohne Reiz sind. Aber sich unterm Strich eben sehr ähneln. Hier ähnelt sich kaum was, noch nicht mal Song 1, 2 oder 3-10.

Gemma Ray und ihr kleines Orchester

Wie ein kleines Orchester schaffen die Protagonisten einen spannenden Durchlauf voller Klangfarben, die neugierig auf das nächste Stück machen und am Ende das Bedürfnis wecken wieder von Vorne zu beginnen, falls man was Wichtiges verpasst hat (was sicherlich der Fall war). Die Totenglockengang schafft vom ersten Stück an eine unheilvolle, nihilistische Grundstimmung, nach der sich viele Post-Punks die Finger lecken dürften, bis der von Gemma Ray bekannte Noir-Sound mit Sixties-Twang, Morricone-Pfeifen und Dark-Doo-Wop im zweiten Stück „Procession“ leichte Erinnerungen wachruft an Rays Geniestreich „Down Baby Down“ (2013).

Es folgen: Streicher sowie ein abgeklärter, trockener Bass bei „Be Still“, eine mehrstimmige Gemma Ray beim fast schon umarmenden „Howling“, minimalistisches wie stimmungsvolles Georgel bei „Come Oblivion“, elektronische Soundmalereien bei „Tempelhof Desert Inn“ oder der rifflastige Wahnsinn von „All These Things“: man kann das eine oder andere Kapitel diese Sammlung gerne weniger mögen als das davor, dafür ist es ja so abwechslungsreich. Wer Lust hat auf ein zutiefst cinefiles wie faszinierendes Hörerlebnis sollte sich jedoch nicht davor scheuen, auch mal zum Tee vorbei zu kommen. Hammerzeug, anscheinend.

Gemma Ray: Gemma Ray & The Death Bell Gang von Gemma Ray erscheint am 20.01.2023 bei Bronzerat / PIAS / Rough Trade. (Beitragsbild von Joe Dillworth)

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