Verena Prantl: Glas

Verena Prantl by Marc Kroll

Ein intensives Lese-Erlebnis: Die österreichische Autorin Verena Prantl fasziniert mit ihrem Debütroman „Glas“

von Gérard Otremba

Auf der ersten Seite ihres Debütromans „Glas“ wagt Verena Prantl einen philosophischen Exkurs in die Aufklärungswelt Immanuel Kants, stellt die Frage nach den Grenzen der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Und kaum hat man als Leser und Rezensent einmal den Faden aufgenommen und verstrickt sich in eigenen Überlegungen, konfrontiert uns die österreichische Autorin auf den kommenden Seiten mit einem brutalen Angriff eines Mannes auf eine Frau, bei dem einem der Atem stockt. Und schon beginnt Prantls Verwirrspiel, denn ob der Angriff tatsächlich so stattfand, nur ein Traum oder gar eine Wahnvorstellung war, bleibt offen.

Verena Prantl mahnt zur Aufmerksamkeit

Verena Prantl Glas Cover Septime Verlag

Mit fließend ineinander wechselnden Perspektiven mahnt die 1996 in Tirol geborene und in Wien lebende Schriftstellerin bereits zu Beginn von „Glas“ zu höchster und gebotener Aufmerksamkeit, denn nur wenige Seiten später erneut eine tätliche Attacke auf die Protagonistin Eva, wohl von ihrem Stalker Eden durchgeführt, mit der Folge eines Krankenhausaufenthalts. Nur weshalb behauptet ihre Freundin Mirjam, bei der sie am Vorabend zu Besuch war und mit deren Auto sie heimfuhr, sie habe einen Verkehrsunfall gehabt? Für Eva kann es nur Eden gewesen sein, der immer wieder auftaucht und ihr droht, und ihr offensichtlich sogar Blumen mit verstörendem Kartentext ins Krankenhaus schickt. Vielleicht entpuppt sich aber Aaron, der neue Mann in ihrem Leben, der sie auch verletzt aufgefunden hat,  als Rettung? In „Glas“ stellt Verena Prantl mit Eva, als krasses Gegenteil ihrer Freundin Mirjam, eine Hauptfigur voller Selbstzweifel und Verunsicherung vor.

Eine Person, die zwischen Verlorenheit, Verzweiflung und Verwirrung lebt, geplagt von inneren Dämonen sowie paranoiden Träumen und Wahnvorstellungen. Eine Figur, für die jeder Tag einen neuen Kampf darstellt und die mit Tagebucheintragungen gegen den drohenden Verlust ihrer Persönlichkeit anzugehen versucht.

Mächtig viel Stoff

Verena Prantl lotet die Schmerzstellen ihrer Protagonistin aus, die umhüllt von einer permanenten Dunkelheit zwischen Apathie und Alleinsein changiert. Gleichzeitig verstörend wie faszinierend taucht die Romandebütantin in eine Welt voller Abgründe ein. Biblische Anspielungen, philosophische Fragen und, teilweise durch Glas- und Spiegelmotive in Szene gesetzte Identitätskonflikte. Verena Prantl packt mächtig viel Stoff in ihr eher schmales Buch. Und spielt trotz des tief gehenden Sujets manchmal gar auf humoristisch-selbstironische Weise mit dem Schriftstellerdasein und dem Schreiben: „Auf jeden Fall kann ich mich nicht mehr erinnern, wie sie sich damals getrennt haben, weshalb wir ihn einfach in die Dunkelheit gehen lassen, das hat etwas, das gefällt mir, und sollte in jedem Roman einmal vorkommen.“ Ein intensiver, ungewöhnlicher und die Sinne fordernder Roman einer talentierten Newcomerin.

Verena Prantl: „Glas“, Septime Verlag, Hardcover, 216 Seiten, 978-3-99120-027-7, 24 Euro. (Beitragsbild von Marc Kroll)       

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