Stuart Hall: Das verhängnisvolle Dreieck

Stuart Hall Das verhängnisvolle Dreieck Cover Suhrkamp Verlag

Präzise Sprache, messerscharfe Gedanken und erhellende Thesen: Der Band „Das verhängnisvolle Dreieck“ von Stuart Hall liegt nun als Taschenbuch vor

von Sebastian Meißner

Als Stuart Hall die hier wiederveröffentlichten Vorträge im April 1994 in Harvard hielt, hatte Gelehrte längst das Konzept von „Rasse“ als soziales Konstrukt entlarvt, das mehr mit Macht als mit Biologie zu tun hat. Hall ging über diese Diskussion hinaus. In einer sich schnell globalisierenden Welt war er fasziniert von der anhaltenden Bedeutung und Wirkung von „Rasse“ als Kennzeichnung angeblich wesentlicher biologischer Unterschiede. Seine These: Selbst wenn wir wissen, dass „Rasse“ als wissenschaftliches Konzept eine Fiktion ist, können wir nicht ignorieren, dass Menschen immer noch Unterschiede in Hautfarben, Haartexturen und anderen physischen Merkmalen sehen und darauf reagieren. Es ist schwer, sie davon abzuhalten, voreilige Schlüsse über die Ursprünge dieser Unterschiede zu ziehen und was sie bedeuten könnten. Das reicht von angeblichen genetischen Unterschieden im IQ bis hin zur Vorstellung, dass bestimmte Gruppen natürlicherweise besser für die Kulturproduktion und Zivilisation geeignet seien – eine Idee, die so alt ist wie die Aufklärung.

Eine „Kette der Äquivalenzen“

Stuart Hall Das verhängnisvolle Dreieck Cover Suhrkamp Verlag

Diese schädliche Melange spielte über Jahrhunderte hinweg in unsere tiefsten menschlichen Instinkte hinein, indem sie uns dazu brachte, uns selbst durch einige der offensichtlichsten, oft „messbaren“ Unterschiede zu definieren, wie etwa die Farbe unserer Haut, die Größe unseres Schädels, die Breite unserer Nase oder andere körperliche Merkmale, die willkürlich alle unter dem Begriff „Rasse“ zusammengefasst wurden. Durch das, was Hall als lose, aber verheerende „Kette der Äquivalenzen“ bezeichnete (ein Konzept, das er vom argentinischen Philosophen Ernesto Laclau entlehnte), wurden hierarchische Strukturen jeglicher Art aufgebaut, in denen die Mächtigen die Autorität beanspruchten, das Wissen darüber zu erlangen, was diese willkürlich auferlegten Unterschiede zwischen Menschen bedeuten, und sich dann entsprechend diesen Unterschieden oder Ketten von Unterschieden verhielten – mit verheerenden realen Auswirkungen.

Ein Neuanfang mit Stuart Hall

Stuart Hall trat nicht einfach auf, um, wie er es in seiner ersten Vorlesung ausdrückte, die fortbestehenden Konzepte von Rasse, Ethnizität und Nation – das, was er als das „verhängnisvolle Dreieck“ im Titel seiner Vorlesungsreihe bezeichnete – zu hinterfragen und zu destabilisieren, sondern auch, um neue Wege aufzuzeigen, wie wir das Selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert definieren können. Hall lehrte nicht nur, dass diese überholten Differenzkategorien die Vielschichtigkeit menschlicher Existenz und die zahlreichen Überlappungen von Identitäten, Vergangenheiten und Hintergründen nicht erfassen können, sondern er machte auch klar, dass sie durch den Anspruch, klare Grenzen zwischen Gruppen zu ziehen, Unterdrückungsgeschichten verstärken und ein gefährliches Gruppendenken aufrechterhalten, während sie gleichzeitig hierarchische Vorstellungen kultureller Unterschiede bestätigen. Ein Neuanfang war daher unerlässlich, und Hall hielt den Schlüssel dazu in der Hand.

Stuart Hall als brillanter Denker

Die Grundlage seiner Intervention bildeten die drei W.E.B. Du Bois-Vorlesungen, die er im Raum 105 des Emerson Hall auf dem Campus der Harvard University hielt. Halls Sprache ist maximal präzise, seine Gedanken sind messerscharf und seine Thesen erhellend. Hall ist ein brillanter Denker mit Courage und Haltung. Und diese hier versammelten Vorträge sollten Pflichtlektüre sein.

Stuart Hall: „Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation“, Suhrkamp, übersetzt von Frank Lachmann, Taschenbuch, 212 Seiten, 20 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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