Niels Frevert im Interview

Niels Frevert credit Dennis Dirksen

Alle drei bis fünf Jahre bringt Niels Frevert ein neues Album heraus – und man kann fast sicher sein, dass es zu den besten des Jahres gehört. Ein Sounds & Books-Interview mit dem Hamburger Singer-Songwriter über sein jüngstes Meisterstück „Pseudopoesie“, seine lange Karriere und einiges mehr.

55 Jahre alt ist Niels Frevert im November geworden – gut 30 davon geachtet und weithin auch verehrt als einer der besten deutschen Singer-Songwriter und Live-Musiker. Zunächst mit der Band Nationalgalerie, seit dem Solo-Debüt von 1997 dann unter eigener Flagge, hat der gebürtige Hamburger inzwischen einen praktisch makellosen Katalog an klugen, melodiesatten deutschsprachigen Platten auf seinem Kreativ-Konto. Nach den begeisternden Liedermacher-Werken „Zettel auf dem Boden“ (2011) und „Paradies der gefälschten Dinge“ (2014) veröffentlichte Frevert kurz vor der Corona-Pandemie das eher gitarrenrockige „Putzlicht“, dem er Ende dieses Monats beim Herbert-Grönemeyer-Label Grönland Records das wunderbar betitelte und ebenso toll klingende Album „Pseudopoesie“ folgen lässt (ausführliche Besprechung bei Sounds & Books zum Veröffentlichungstermin 24.03.2023).

Hallo Niels, wo treffe ich Dich gerade an – als „echten Hamburger und Teilzeit-Berliner“, wie Du in unserem letzten Interview 2019 sagtest?

Niels Frevert: Es hat sich nicht so wahnsinnig viel geändert. Auch die neue Platte ist wieder in Berlin entstanden. Ich wohne aber weiterhin in Hamburg, im Schanzenviertel. Da zieht man nicht so schnell um, wenn es nicht unbedingt sein muss, weil

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das sonst woanders kaum mehr bezahlbar ist.

Keine Schreibblockade wegen Corona

Wie ist es Dir ergangen, seit wir vor vier Jahren über Dein damaliges Album „Putzlicht“ miteinander sprachen? Damals sagtest Du mir: „Ich hatte eine kleine private Krise. Wenn ich mich an die Gitarre setzte, kamen nicht so viele tolle Sachen dabei raus. Ich war auch ein bisschen weg vom Schreiben.“ Du hattet das Gefühl, Deine Sprache verloren zu haben. Wie hast Du dann erst die Pandemie überstanden, die ja ein echter Downer war?

Niels Frevert: Für mich zumindest nicht schreibetechnisch. Da ich viel Zeit hatte zum Lesen, habe ich Halt gefunden an den Klassikern, an meinen Lieblingsbüchern, auch an meinen Lieblingsplatten. Zudem habe ich das Medium Hörbuch für mich entdeckt. Insofern kann ich nicht klagen. Das war natürlich auch für mich eine trübe und trübselige Zeit, aber zum Songschreiben war sie gar nicht so verkehrt.

Welche Bücher und Platten waren es, die Dir in dieser Zeit Halt gegeben haben – außer Rachmaninow, dem Du sogar ein neues Lied gewidmet hast?

Niels Frevert: Natürlich meine Joni-Mitchell-Alben. Also wirklich so die Klassiker-Klassiker, die ganz großen Sachen halt. Es gab ja auch nicht so viel Aktuelles zeitweise, da erschien erstmal gar nichts. Und ich bin dazu gekommen, „Schuld und Sühne“ von Dostojewski als Hörbuch zu genießen – 26, 27 Stunden, nicht am Stück, im Pandemiewinter draußen beim Laufen. Das geht schon tief.

Zügig mit neuem Album auf Tournee

Wieviel Corona-Erfahrung, auch damit verbundene Melancholie oder Trauer, ist in dieses neue Album eingeflossen? Oder konntest Du Dich davon freimachen?

Niels Frevert: Ich glaube schon, dass ich mich davon freimachen konnte. Das ist auch nicht der Stoff, den die Hörerinnen und Hörer draußen gerade brauchen. Es gibt ein Lied auf dem neuen Album, das in diese Richtung geht, es heißt „Klappern von Geschirr“. Das sollte es dann aber auch gewesen sein. Die Pandemie ignorieren konnte ich nicht, aber ich wollte sie auch nicht zu stark thematisieren. Außerdem ist das zu trübsinnig, wenn man eine Tournee plant und möchte, dass die Menschen gern hinkommen. Ich wollte ja zügig wieder auf Tour gehen, daher brauchte ich recht schnell ein neues Album.

Auf den rätselhaften Titel „Putzlicht“, der viele Deiner Fans zum Googeln gebracht haben dürfte, folgt nun ein noch rätselhafterer. Warum also „Pseudopoesie“ – ausgerechnet von einem, der inzwischen als Inbegriff des deutschen Songpoeten gilt, also sicher nicht als „Pseudopoet“?

Niels Frevert: Es gab zuerst den Song. Und irgendwann musste ein Albumtitel her. Da lachte „Pseudopoesie“ mich an, und ich dachte, das ist doch mal ein unverfänglicher Albumtitel. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass der nun so viele fragende Gesichter hervorruft. Die Plattenfirma meinte: Ja, Du kannst Dir so einen Titel erlauben. Andere Kollegen würden sich damit vielleicht ein Bein stellen (lacht). Und nicht zuletzt ist „Pseudopoesie“ ein wirklich schön anzuschauendes Wort.

Niels Frevert geht zurück zu den Anfängen

Kommen wir zu den Songs im Einzelnen. Das erste Stück des Albums, „Weite Landschaft“, ist gleich mal ein Statement mit seinem wuchtigen Piano-Einstieg und dem treibenden Gitarren- und Schlagzeug-Sound, danach das große Streicher-Arrangement, und ein typischer, nachdenklicher Frevert-Text. Für mich schließt das nahtlos bei den rockigeren Songs von „Putzlicht“ an.

Niels Frevert: Ich glaube, das ganze Album ist der nächste Schritt. Ich habe ja nach drei mehr oder weniger akustisch gehaltenen Alben inklusive „Paradies der gefälschten Dinge“ bereits einen Schritt zurück zur E-Gitarre gemacht, den bin ich jetzt noch etwas weitergegangen. Noch mehr zurück zu den Anfängen, zum ersten Soloalbum, zu „Seltsam öffne mich“. Ich habe wieder richtige Demos gemacht mit kleinen Synthesizer-Flächen und so weiter. Ich wusste, ich musste zügig vorankommen – dann hilft so ein Synthesizer-Sound schon mal weiter und bringt einen auf die nächste Idee.

Wie, wo und mit wem ist das neue Album dann entstanden? Du sagtest bereits, in Berlin, und dass es relativ schnell ging.

Niels Frevert: Genau. Die Aufnahmen wurden von einem Mann produziert, den ich ehrlich gesagt bis Mitte letzten Jahres noch gar nicht so richtig kannte: Tim Tautorat. Er wurde mir irgendwann empfohlen, und ich habe geguckt, was der so gemacht hat. Und dann sah ich: Provinz, aha … Tristan Brusch, aha … Mir fiel auf, das sind Sachen, die ich verstehe. Bei einem Treffen stellte sich heraus, dass sich Tim mit meiner Diskografie sehr gut auskennt und große Lust hatte, mit mir zusammenzuarbeiten – und dass er sehr schnell arbeitet. Mit zwei Liedern vom neuen Annett-Louisan-Album hat er mich dann endgültig gekriegt. Das war kurz vor Weihnachten 2021. Die Aufnahmen waren dann entscheidungsfreudig, denn Entscheidungsfreudigkeit war gefragt. Ich habe dafür meine tolle Live-Band ins Studio geholt, mit denen geht’s jetzt auch wieder auf Tour – das ist also anscheinend was Ernstes. Für die Konzerte kann ich einiges versprechen.

Ein Sound, der zum Tanzen einlädt

Auch danach bleibt es mit „Fremd in der Welt“ textlich verschattet melancholisch, musikalisch aber sehr nahbar. Willst Du raus aus den Clubs, in die mittleren und größeren Hallen?

Niels Frevert (lacht): Mit vollen Clubs bin ich erstmal sehr zufrieden, gerade in diesen Zeiten, wo man wenig Planungssicherheit hat. Natürlich war klar, dass zu dem Text von „Fremd in der Welt“ soundmäßig was kommen muss, sonst funktioniert die Pointe nicht. Wenn man schon in einer fröhlichen Weltuntergangsstimmung singt, sollte der Sound wenigstens zum Tanzen einladen. Das hat Tim Tautorat ziemlich schnell erkannt und mein Demo nochmal sechs Striche schneller gemacht.

„Kristallpalast“, das mich persönlich an Wolf Maahn oder einen hochdeutschen Wolfgang Niedecken erinnert, ist ebenfalls mitsingbar. Du gehst da erneut raus aus Deiner Komfortzone.

Niels Frevert: Ja, auch hier habe ich was Neues probiert. Viel Text, viel Geschichte, und damit es nicht zu kopflastig wird, ist es dann gut, wenn man sich dazu bewegen kann. Es gibt auch noch ein paar andere Songs, die mehr an den Geschichtenerzähler Frevert erinnern. Aber „Kristallpalast“ spielt ja nun offensichtlich in einem überfüllten Jazzclub, den es übrigens noch nicht gibt – das ist eher der Jazzclub, den ich aufmache, wenn ich mal reich werde.

„Rachmaninow“, Russland und die Zerrissenheit

Wie kam es zum Song über „Rachmaninow“ und das in Klassik-Kreisen berühmte dritte Klavierkonzert? Hast Du keine Sorge, dass man Dir da eine Bildungsbürger-Attitüde unterstellen kann?

Niels Frevert: Ja, ganz leichte Sorgen habe ich deswegen schon. Aber eigentlich stehe ich auch nicht unter dem Verdacht, der Vorzeige-Intellektuelle zu sein. Ich habe es damit nie übertrieben. Statt „Rachmaninow“ könnte das Lied übrigens auch „Schostakowitsch“ heißen, oder „Dostojewski“. Es geht um russische Kultur im weitesten Sinne, die dem Protagonisten des Songs durch den Kopf schwirrt.

In der heutigen Zeit, mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, steht russische Kultur ja wieder in einem ganz neuen Spannungsfeld. Teilweise werden Rachmaninow-Stücke aus den Programmen genommen. Das ist wahrscheinlich etwas, das Du mit dem Lied noch gar nicht verbunden hattest, als Du es schriebst.

Niels Frevert: Doch. Es geht da tatsächlich um ein Gefühl von Zerrissenheit. Weil mir dieser Krieg auch deswegen so unter die Haut und an die Nieren geht, weil ich eben mit der russischen Kultur so sympathisiere. Weil ich russische Schriftsteller bewundere, weil ich russische Komponistinnen und Komponisten bewundere, weil mein Lieblingsautor Joseph Roth ukrainischer Herkunft ist. Weil ich dabei so viel fühle.

Bei Niels Frevert war „so ein Mumpf weg“

Mit „Tamburin“ hast Du ein wunderbar harmonisches Gitarrenpop-Stück auf dem Album, das mich an große britische Singer-Songwriter wie Lloyd Cole oder Roddy Frame erinnert.

Niels Frevert: Natürlich gehören die beiden Genannten zu meiner musikalischen Sozialisation. Es gab Jahre, da habe ich als Heranwachsender sehr viel von Lloyd Cole und Roddy Frame gehört. Ich setze mich aber nie hin und sage: Jetzt schreibe ich mal einen Song, der so klingt wie… Funktioniert einfach nicht. Das war mein Problem in den 90er-Jahren, als junger Musiker – ich war nie zufrieden mit meinen Alben, weil ich immer versucht habe, an meine Vorbilder heranzureichen. Erst als ich mich ungefähr mit 30 davon freigemacht und mein erstes Soloalbum aufgenommen habe, habe ich verstanden, dass ich mich davon lösen muss. Ab dem Punkt war ein Schleier, so ein Mumpf weg.

Mit „Ende 17“ ist ein autobiografischer Song auf dem Album, mit Erinnerungen an Blixa Bargeld und Johnny Thunders, an Deinen ersten Plattenvertrag. Du singst: „Ich denk nur selten an früher/War ich für alles zu jung?“. Magst Du uns ein bisschen über dieses sehr persönliche Lied erzählen?

Niels Frevert: Das ist tatsächlich meine Geschichte zu der Zeit, also etwa 1985. Ich war damals zu früh dran, habe mich eigentlich überfordert, weil ich ein Spätentwickler war. Ich stand also mit 17 spät nachts in irgendwelchen Musikertreffpunkten herum und wusste gar nicht, wie mir geschah, ich hatte nichts zu melden. Ich habe dann meine ersten Demos auf Deutsch verschickt, da sagten die Plattenfirmen: Was singst Du denn auf Deutsch – sing Englisch! Zu früh dran also. Auch in den 90er-Jahren standen wir als Band immer wieder vor verschlossenen Türen und haben daran gerüttelt. Bands wie Wir Sind Helden sind dann durch solche Türen leichter hindurch gegangen.

Für Niels Frevert hat Erfolg „verschiedene Parameter“

Du hast jetzt sieben Soloalben und insgesamt inklusive Nationalgalerie sogar bereits zwölf Platten veröffentlicht. Wo siehst Du Dich und Deine Karriere jetzt, mit 55 Jahren? Was erwartest Du von „Pseudopoesie“? Wieder nur ein Kritiker-Erfolg für Niels Frevert?

Niels Frevert: Weißt Du, wir leben in einer Zeit, wo Erfolg sehr an Zahlen, an Clicks abgelesen wird. Ich würde fast von einer Superkommerzialisierung der Popmusik reden. Das kenne ich gar nicht, dass so gnadenlos diese Zahlen verglichen werden. Erfolg ist also auch relativ, hat verschiedene Parameter, es geht doch auch um die Langstrecke. Ich kann nur erinnern an Rio Reisers „Junimond“ – das Lied war, glaube ich, nie in den Charts.

Ich kann nur hoffen und Dir wünschen, dass Du mit Deiner Art, Musik zu machen, gut über die Runden kommst. Dass Du auch als toller Live-Künstler einen Weg findest, mit Deiner Musik unter die Leute zu kommen. Viel Glück also mit dem neuen Album. Und herzlichen Dank für dieses Gespräch.

„Pseudopoesie“ von Niels Frevert erscheint am 24. März 2023 bei Grönland Records. (Beitragsbild von Dennis Dirksen)

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