Lingua Ignota: Sinner Get Ready

Lingua Ignota by Lisa Birds

Die amerikanische Songwriterin Lingua Ignota füllt große Fußstapfen auch mit „Sinner Get Ready“ mit Leichtigkeit

Als altem Extrem-Metalfan umtrieb mich lange die Suche nach immer derberem Zeug zum Hören. Bands die optisch eine Nähe zu Horrorfilmen hatten waren für mich immer interessant, verloren mein Interesse jedoch schnell, wenn die musikalische Umsetzung die Versprechungen nicht einhielt. Sounds, die die Eltern aus dem Zimmer jagten, waren durchaus beim Death-Metal, Grindcore oder Black-Metal zu finden; bloßes Höher-Schneller-Weiter verlor allerdings rasch seinen Reiz. Irritationen oder Ausweitungen der Hörgewohnheiten fanden woanders statt: Im freien Jazz, z.B., oder in der elektronischen Avantgarde. Das Album, welches mir beim ersten Hören im Dunkeln wahrhaft Angst einjagte, war eines von Diamanda Galás, auf dem sie sich mehrsprachig selber als Antichristen darstellte („The Divine Punishment“, 1986) und gegen die damals noch relativ neue Seuche Aids ansang.

Lingua Ignota bei Sargent House

Lingua Ignota Sinner Get Ready Cover Sargent House

Was das mit Lingua Ignota zu tun hat? Nun, man möge mir mein egozentrisches Intro in dieser Review verzeihen, aber: Wenn irgend jemand in den Jahren nach 1986 das Zeug hat, ähnliche Beklemmungen auf mythologischer bzw. religiöser Basis  bei den Hörenden zu erzeugen, dann ist das Kristin Hayter alias Lingua Ignota, die passenderweise genau in dem Jahr geboren wurde, als „The Divine Punishment“ erschien. Hayter wuchs katholisch geprägt auf  und studierte Piano sowie Gesang, unter anderem. Nach Jahren in einer gewalttätigen Beziehung verarbeitete sie ihre Erfahrungen zuerst mit einer selbst-veröffentlichten Platte 2017, auf die das Metallabel Profound Lore aufmerksam wurde und dies einer breiteren Hörerschaft zugänglich machte. Nun ist die Verehrerin von Kurt Cobain oder Blixa Bargeld, die ebenso von der Noise-Ikone Jarboe beeinflusst scheint, bei Sargent House gelandet – einem weiblich geführten Label mit einem erstklassigem Katalog genresprengender Künstler:Innen wie z.B. Emma Ruth Rundle, Chelsea Wolfe oder Russian Circles.

Kein klassischer Feminismus

Entstanden wie geprägt von Land, Mystik sowie Instrumentarium von Pennsylvania, verstört Lingua Ignota einmal mehr mit Adaptionen dort heimischer Legenden wie etwa die vom Eisenfabrikanten, der seine Hunde den Flammen übergab und von diesen daraufhin in die Hölle gezogen wurde – den Clip dazu drehte Hayter übrigens komplett alleine. Wut und Vergeltung sind auch auf diesem Tonträger wieder vorherrschende Themen, diese werden mitunter jedoch (nicht weniger bedrohlich) subtiler vor moll-lastigem Piano performt, zu sanften Banjoklängen oder weiterem volkstümlichen Instrumentarium. Mit klassischem Feminismus hat Hayter dabei nicht viel am Hut: Bei ihr bekommt das frauenverachtende Patriarchat den gleichen unzensierten Hass vor den Latz geknallt, den es sich permanent erlaubt zu fabrizieren um damit Gleichgesinnte oder Ignoranten zu unterhalten.

Morbider Schönklang

Der fast zehnminütige Einstieg „The Order Of Spiritual Virgins“ erinnert instrumental noch am ehesten musikalisch an die Vorgänger, „I Who Bend The Tall Grasses“ als zweites tut dies vor Kirchenorgel-Sounds vokal. Wer bis hierhin „durchhielt“ darf sich anschließend in morbidem und zuweilen verstörendem („Many Hands“) Schönklang suhlen. Eine Technik, die Diamanda Galás übrigens gerne auf ihren Konzerten anwandte: Erstmal den Saal mit Blut und Krach halb leer performen, um dann mit den Würdigen in stiller Andacht weiterzufeiern. Große Fußstapfen, die Lingua Ignota bisher mit all ihren Veröffentlichungen mit Leichtigkeit füllt.

„Sinner Get Ready“ von Lingua Ignota erscheint am 06.08.2021 bei Sargent House / Cargo Records. (Beitragsbild von Lisa Birds)

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