Hans Platzgumer: Bogners Abgang – Roman

Hans Platzgumer credit Chris Laine

In seinem neuen Roman „Bogners Abgang“ erzählt der österreichische Autor Hans Platzgumer auf faszinierende Weise vom Scheitern einer Künstlerexistenz

Hans Platzgumer, Jahrgang 1969, wurde als Musiker, Komponist und Autor von Romanen, Essays und Hörspielen bekannt. Seit der Jahrtausendwende allerdings hat sich der Schwerpunkt seiner Arbeit deutlich auf das Feld der Literatur verschoben. Bogners Abgang ist Platzgumers achter Roman und ein komplexes Erzählexperiment über eine schicksalhafte Verkettung von Umständen und deren psychologische Auswirkungen. Bemerkenswert ist, dass der Roman augenscheinlich Unvereinbares kunstvoll verknüpft: Obwohl Handlungszusammenhang, Figurengeschichte und -psychologie mit jedem Kapitel komplexer entfaltet werden, bleibt das Erzählen eine stringente Entwicklung der Ausgangssituation, die, wie bereits der Titel ahnen lässt, auf die schlimmstmögliche Wendung zutreibt. Diese stringente Entwicklung ist es auch, die dem Roman seine Spannung verleiht.

Der Unfalls eines Kritikers

Hans Platzgumer Bogners Abgang Cover Zsolnay Verlag

Die Ausgangssituation ist ein nächtlicher Unfall an den Ausläufern der Innsbrucker Innenstadt. Ein Mann wird von einem Auto angefahren, an den Straßenrand geschleudert und so schwer verletzt, dass er bald darauf stirbt, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen. Gleich mehrere Personen sind schuldhaft in diesen Unfall verwickelt; sie sind zugleich die Hauptfiguren, um deren Erleben herum die Romanhandlung aufgebaut ist: Der nach Anerkennung dürstende und von Selbstzweifeln geplagte Künstler Andreas Bogner, die Studentin Nicola Pammer, die in dieser Nacht – entgegen ihrer Gewohnheit – mit Freunden ein wenig über die Strenge geschlagen und den Unfallwagen gesteuert hat, und schließlich das Opfer, das zugleich durch eine vernichtende Kritik an Bogners Arbeit den Stein ins Rollen und damit das eigene Schicksal in gewisser Weise besiegelt hat: der Kunstkritiker mit dem sprechenden Namen Klaus Niederer.

Was wir von ihm wissen, wissen wir durch seine nicht immer unplausiblen, jedoch die eigene Machtposition inszenierenden (Selbst-)Darstellungen. Wir erleben ihn in seinen an die kunstinteressierte Öffentlichkeit gerichteten Worten, damit aber stets von außen, was – im Gegensatz zu den beiden anderen Hauptfiguren – eine enorme Distanz schafft.

Hans Platzgumer und der Anfang und das Ende einer Kausalreihe

Was in dieser das Erzählen in Gang bringenden und durch das Erzählen in seiner vielfachen Ursächlichkeit entfalteten Extremsituation deutlich wird, ist das objektive Geschehen in seiner Komplexität: Einerseits ist der Unfall eine Verkettung unglücklicher Umstände, andererseits das Resultat einer unabsehbaren Reihe mehr oder minder bewusster Handlungen. Beides liegt darin: der Anfang und das Ende einer Kausalreihe. So lassen sich auch im Roman die Zeitebenen vor und nach dem unglücklichen Geschehen nicht wirklich trennen; dass sie vielmehr ineinanderfließen, lässt ein Gefühl von Beklemmung entstehen, das sich von den Figuren auf den Leser überträgt. Dass der Autor sehr nah an der Wahrnehmungsperspektive der Figuren erzählt und – als ‚objektives‘ Pendant – weitere Darstellungsformen simuliert (wie die Protokolle von Bogners Therapiesitzungen, Pressemitteilungen, Kurznachrichten, Zeugenaussagen), lässt das objektive Geschehen in seiner subjektiven Gebrochenheit hervortreten – und umgekehrt.

Hans Platzgumer stellt die Frage nach Schuld und Verantwortung

Für den Künstler Andreas Bogner wie auch für die Studentin Nicola Pammer bedeutet der Unfall eine Ausnahmesituation, die sie auf ungeahnte Weise mit sich selbst konfrontiert. (Eine Ausnahme- und Grenzsituation überdies, die Bogner einige Zeit vor dem Unglück mit dem Ziel der künstlerischen Inspiration herzustellen versucht, was allerdings misslingt.) Verantwortung für das eigene Handeln zu tragen – Platzgumer führt es deutlich vor Augen – bedeutet immer auch, die Verantwortung für das Nicht-Intendierte zu tragen. Schuld sein hat immer auch die Dimension, jemandem etwas schuldig zu sein: der Gesellschaft, welche die Tat strafrechtlich verfolgt, dem Opfer, dessen Leben zerstört wurde, und – nicht zuletzt: sich selbst.

Für Bogner gewinnt seine Verstrickung in den Tod Niederers Symbolkraft: Diese „blinde Tat“, wie er seinen nächtlichen Angriff auf Niederer nach einem öffentlichen Verriss seiner Arbeit nennt und durch den der Kritiker schließlich auf die Straße gestoßen und vom Auto erfasst wird, wird zur Chiffre seines Scheiterns als Künstler:

„Ich arbeite […] nicht mehr. Ich habe das Arbeiten aufgegeben. Der Druck, der immerzu auf mir lastete, kreativ und produktiv zu sein, ist von mir abgefallen. Mein ganzes Leben widmete ich meiner Arbeit. Doch sie führte mich nirgendwohin, außer in eine blinde Tat.“

Bogners „Abgang“

Das Ende des Romans, Bogners „Abgang“, wirft Fragen auf, wie etwa die nach dem Verhältnis von Kunst und Leben, die den gesamten Roman durchzieht; die Frage, was einen ‚wahren‘ Künstler, was ‚wahre‘ Kunst ausmacht. Und wie als Antwort auf diese Frage – und obwohl wir Bogner bei den Vorbereitungen zu seinem letzten Schritt zuschauen – wird einmal mehr das Tragikomische dieser Figur deutlich, das in Bogners verzweifeltem Wunsch gründet, über ästhetische Formen in existentielle Dimensionen vorzudringen, die allein der Erfahrungswelt des Künstlers vorbehalten sein sollen, und aus dieser Sonderexistenz des Künstlers gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen. Bogner aber bleibt diese Anerkennung versagt, er ist als Künstler wie als Mensch in gewisser Weise ‚außer sich‘, getrieben von Erwartungen, die der Kunst äußerlich sind. – So schmal Bogners Abgang ist, so gehaltvoll ist es auch. Eine faszinierende Lektüre.

Hans Platzgumer: „Bogners Abgang“, Zsolnay, Wien 2021, Hardcover, 144 Seiten, 978-3-552-07204-6, 20 Euro. (Beitragsbild von Chris Laine)

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