Franzobel: Die Eroberung Amerikas – Roman

Franzobel credit Julia Heimburger

Zu einem satirischen Festakt gerät der neue Roman des österreichischen Schriftstellers Franzobel

Der New Yorker Anwalt Trutz Finkelstein verklagt die USA auf die „Rückgabe der Vereinigten Staaten von Amerika an die Indianer, einschließlich Hawaii und Alaska.“ Finkelstein ist ein kurz vor der Pleite stehender Rechtsvertreter der Armen und Ausgestoßenen, der Prostituierte und Kleinkriminelle ohne finanzielle Gegenleistung vertritt und dringend einen juristischen Großerfolg benötigt. Für Franzobel der Ausgangspunkt seines neuen Romans „Die Eroberung Amerikas“, in dem er den spanischen Konquistador Hernando de Soto in den Mittelpunkt stellt. Dieser war an den Eroberungszügen in Panama, Nicaragua und Peru beteiligt, von denen er als reicher und gemachter Mann, manche sagen als Held, nach Spanien zurückkehrte. Die Aussicht, möglicherweise ähnliche Schätze in Florida zu finden und das Streben nach Ruhm und Ehre, wie sie den Kollegen Pizarro und Cortés nach den Eroberungen von Perus und Mexikos zu Teil wurden, ließ ihn 1538 das Abenteuer wagen, eine groß angelegte Expedition in die „Neue Welt“ anzuführen.

Franzobel betrachten die Vergangenheit mit dem heutigen Wissen

Franzobel Die Entdeckung Amerikas Cover Zsolnay Verlag

Franzobel heftet sich an de Sotos Fersen und entwirft ein über 500-seitiges Panorama aus kauzigen Protagonisten, eingefangen in einer bilderreichen und von satirischen Bonmots überbordenden Sprache. Ähnlich wie im mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichneten und für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominierten Vorgängerromans „Das Floß der Medusa“ von 2017 benutzt der österreichische Schriftsteller als gewiefter Erzähler die „Wir“-Form und erlaubt sich die Freiheit, einige Passagen in Cliffhanger-Manier miteinander zu verknüpfen und die knapp fünfhundert Jahre zurückliegenden Geschehnisse mit heutigem Wissen zu betrachten. Einen Trupp von 800 Menschen, darunter Soldaten, Gelehrte, Köche, gesuchte Banditen, zwielichtige Geschäftsleute und  Abenteurer, stellt Ferdinand Desoto, wie der Hauptprotagonist, nach dem im 20 Jahrhundert eine Automobilmarke benannt worden ist, bei Franzobel heißt, zusammen.

Kein Eldorado

Die Odyssee durch das heutige Florida bis zum von Desoto entdeckten Mississippi gerät jedoch zum Gegenteil des erhofften Eldorados, wo sie Expeditionsteilnehmer Gold in Mengen erhofften. Was sie finden, ist die raue Wirklichkeit aus harschen kriegerischen Konflikten mit den einheimischen Indianerstämmen, mit Krankheiten, widrigen Wetterbedingungen und einer unwirtlichen Naturwildnis, die vielen Expeditionsteilnehmern als „Hölle“ erscheint. Die wenigsten indigenen Stämme unterwerfen sich kampflos den  neuen Herren und ihrer Religion des Kreuzes. Und wenn doch, erwarten sie einen baldigen Beweis der göttlichen Macht in Form von Regen nach wochenlanger Dürreperiode.

Franzobel entwickelt einen Humor zwischen Monty Python und den Coen-Brüdern

Aus einer der erfolglosesten Eroberungsexpeditionen aller Zeiten entwickelt Franzobel eine göttlich-menschliche Komödie und findet trotz all der ekligen Kriegsszenen häufig Zeit für seinen sarkastischen Humor („Bald darauf tanzten auf der anderen Flussseite dreihundert rotbemalte Krieger. Sie zeigten, was sie von ihrer Errettung hielten, reckten ihre nackten Ärsche in Richtung Spanier, furzten und lachten. Sie benahmen sich wie bekiffte Hippies vor Börsenmaklern.“), der in seinen besten Momenten an Monty Python oder die Coen-Brüder erinnert. Die so erfolglose Story des Fernand Desoto In Nordamerika, die nach viereinhalb Jahren Irrfahrt 1542 mit seinem krankheitsbedingten Tod endet, wertet Franzobel in seinem Roman zukunftsperspektivisch auf. Wir werden Zeugen von für die USA bahnbrechenden Erfindungen wie die des Popcorns, des Hamburgers, des American Football oder Coca Cola und sehen den Beginn und nehmen am „Beginn der Globalisierung“ teil.

Ein großer Humanist

Des Weiteren flicht der Autor popkulturelle Momente zwischen „Woodstock“ und „Apocalypse Now“ in das Romangeschehen ein und transportiert aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen in die Vergangenheit, wenn beispielsweise ein Indianerstamm von Frauen regiert wird, der in der Sprache nur das weibliche Geschlecht kennt („Wörter wie Erlebnis, Mandelbaum oder Bemerkung heißen hier Sielebnis, Frauedelbaum, Bemsiekung“) und sich Frauen Männern gegenüber übergriffig zeigen („Er beschuldigt sie , ihm auf den Hintern geklopft zu haben. Andere sprechen davon, dass sie ihre Position ausgenützt und Männer genötigt habe. Mitu ist das Wort dafür.“). Franzobels Doppelspiel mit Gegenwart und Vergangenheit gerät zu einem satirischen Festakt. Und spätestens mit dem Ausgang der Finkelstein-Klage-Situation erweist sich der 1967 geborene und mit diversen Literaturpreisen bedachte Schriftsteller als ein großer Humanist.

Franzobel: „Die Eroberung Amerikas“, Zsolnay, Hardcover, 544 Seiten, 978-3-552-07227-5, 26 Euro. (Beitragsbild von Julia Heimburger)

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